Der Allgemeinheit Milliarden gestohlen

Manon Aubry von der Fraktion The Left im EU-Parlament fordert Taten statt Worte gegen den Steuerbetrug

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Europaparlament muss sich in dieser Woche wieder einmal mit Steuer-Leaks beschäftigen. Es geht um die »Pandora Papers«, die Anfang Oktober veröffentlicht wurden und deutlich zeigen, wie einfach die Steuerflucht für wohlhabende Europäer ist. Gab es auf EU-Ebene bereits Reaktionen auf die Veröffentlichungen?

Ja, aber ganz anders, als wir uns das erhofft hatten. Nur zwei Tage nachdem die »Pandora Papers« veröffentlicht wurden, haben die EU-Finanzminister die Schwarze Liste der Steueroasen überarbeitet. Sie haben aber nicht etwa alle Staaten hinzugefügt, die in den Leaks genannt werden. Im Gegenteil: Drei Länder, darunter die Seychellen, wurden von der Liste entfernt. Dabei stehen die Seychellen im Zentrum der Enthüllungen. Auf der Schwarzen Liste sind nur neun Länder geblieben. Darunter findet sich keine der wirklich wichtigen Steueroasen.

Interview
Die Französin Manon Aubry (La France insoumise) ist Ko-Vorsitzende der Fraktion The Left im Europäischen Parlament. Die ehemalige Oxfam-Mitarbeiterin engagiert sich seit mehr als zehn Jahren für mehr Steuergerechtigkeit. Mit ihr sprach für »nd« Fabian Lambeck.

Warum tut sich die EU so schwer, die Steuerschlupflöcher zu schließen? Schließlich verlieren die Mitgliedsstaaten alljährlich Milliarden an Steuereinnahmen.

Nehmen wir das Beispiel der EU-Finanzminister und der Schwarzen Liste. Unter ihnen war auch der niederländische Finanzminister, der selbst in den »Pandora Papers« auftaucht, weil er Geld über eine Offshore-Firma transferiert hat. Was die »Pandora Papers« noch deutlicher zeigen als je zuvor: Diejenigen, die die Regeln machen und vermeintlich Steuerhinterziehung bekämpfen, sind selbst Steuerbetrüger. Es wird sich also definitiv nichts ändern, solange es solche Leute sind, die uns regieren. Wenn wir ihnen nicht ihre Macht nehmen, werden sich die Regeln nicht ändern. Was eine Schande ist, denn natürlich gibt es Lösungen gegen Steuerflucht, die allesamt schnell umzusetzen wären.

Was müsste auf europäischer Ebene passieren, um Steueroasen trocken zu legen?

Zuallererst müsste die EU-Kommission endlich aktiv werden. Das Parlament drängt immer wieder darauf, Steuerflucht zu einer politischen Priorität zu machen, aber die Kommission ist einfach zu langsam. Sei es bei der Errichtung eines europäischen Transparenzregisters, der Schwarzen Liste der Steueroasen oder beim »Country-by-Country Reporting« (einer öffentlichen Berichtspflicht, Anm. d. Red.). Die Vorschläge liegen seit Jahren auf dem Tisch, aber die EU-Kommission blockt. Im Europäischen Parlament sind natürlich auch Abgeordnete, die Interessenkonflikte haben, weil Politiker ihrer Parteien in den »Pandora Papers« auftauchen.

Mittlerweile fordern selbst die Konservativen im Parlament Maßnahmen gegen Steuerflucht. Warum passiert trotzdem nichts?

Ich arbeite seit mehr als zehn Jahren für Steuergerechtigkeit, schon lange bevor ich ins Europäische Parlament gewählt wurde. Ich kenne die Reden und ich muss sagen, dass ich es nicht mehr hören kann. Nach jedem neuen Skandal sagen selbst die konservativsten Politiker, dass etwas passieren müsse. Sobald der Skandal nicht mehr in den Schlagzeilen ist, machen sie weiter wie vorher, denn sie wollen das System nicht ändern. Sie wollen keine Steuergerechtigkeit. Sie wollen den Steuerwettbewerb um immer niedrigere Steuersätze nicht beenden, an dem sich alle Staaten beteiligen. Dieser Wettlauf nach unten muss umgekehrt werden. Wir brauchen Länder, deren Regierungen sagen: Stopp, wir machen da nicht mehr mit. Wir werden einen Mindeststeuersatz einführen und Steuerflucht beenden. Wenn ein großes Land damit anfangen würde, würden andere folgen. Aber es ist viel einfacher, sich hinter anderen zu verstecken und zu sagen: Alleine geht das nicht, wir brauchen dafür die USA. Was noch, brauchen wir auch noch den Mond und den Mars? Ich sage es ganz klar: Es braucht nur den politischen Willen.

Ihre Fraktion The Left fordert im Parlament nun einen Untersuchungsausschuss zu den »Pandora Papers«. Was kann ein solcher Ausschuss bewirken?

Ein Untersuchungsausschuss hat andere Möglichkeiten zu ermitteln, als normale Ausschüsse dies können. Nach dem letzten Steuerskandal, den »Lux Leaks«, haben wir im Ausschuss für Steuerfragen gefordert, einen Vertreter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers und den luxemburgischen Finanzminister zu einer Anhörung einzuladen. Beide haben abgelehnt, und das war’s. Das ist bei einem Untersuchungsausschuss anders. Bei den »Pandora Papers« sind 35 aktuelle oder ehemalige Staatschefs involviert sowie rund 330 hochrangige Politiker aus über 100 Ländern.

Glauben Sie, dass sich andere Fraktionen Ihrer Forderung anschließen? Sie bräuchten ja ein Viertel der Abgeordneten für einen solchen Untersuchungsausschuss.

Es ist unwahrscheinlich, dass wir für unsere Forderung die erforderliche Mehrheit bekommen werden. Es ist immer dasselbe. Die Konservativen, aber auch Teile der Sozialdemokraten, betonen, wie wichtig der Kampf gegen Steuerflucht sei, aber sie tun nichts dagegen. Wir alle wissen: Es wird wieder passieren. Wir werden wieder eine Anhörung fordern und nichts wird passieren. Jedes Jahr werden Milliarden Euro gestohlen, die der Allgemeinheit gehören. Wir können das nicht länger hinnehmen. Ein Untersuchungsausschuss wäre ein Zeichen, dass die anderen Fraktionen wirklich etwas gegen Steuerflucht unternehmen wollen.

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