Grenzkontrollen nur schädlich

Landtag lehnt Antrag der AfD zur Abwehr von Flüchtlingen ab

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Seine Rede für die Sondersitzung des brandenburgischen Landtags am Mittwochmorgen schrieb der Abgeordnete Matthias Stefke (Freie Wähler) bereits am vergangenen Donnerstag – und sie passte haargenau auf die Äußerungen der AfD. Diese Partei sei »ziemlich ausrechenbar«, erklärte Stefke. 2015 habe es der AfD geholfen, Angst vor Flüchtlingen zu verbreiten, und darauf setze sie nun wieder. Zwischenzeitlich habe die Partei von der Flüchtlings- auf die Coronakrise umgeschaltet. Jetzt, wo das Ende der pandemischen Lage bevorstehe, »switchen sie wieder um«, sagte Stefke. Das »politische Geschäftsmodell« der AfD sei »Krawall«.

Die AfD hatte die Sondersitzung verlangt, um über ihre Forderungen zu beschließen: Brandenburg sollte den Bund unverzüglich ersuchen, die Grenze zu Polen gegen Flüchtlinge zu sichern, die seit August über den Umweg Belarus nach Deutschland gelangen. Notfalls sollte Brandenburg mit eigenen Polizeikräften handeln und die Einreisenden kontrollieren. Außerdem verlangte die AfD tägliche Lageberichte.

»Sie glauben doch nicht im Ernst, dass wir ihrer Forderung nach täglichen Lageberichten zustimmen werden, mit der sie nur ihre Anhänger mobilisieren wollen?«, fragte Stefke. Er erinnerte, dass die AfD allerdings tägliche Corona-Lageberichte für überflüssig hielt, weil diese angeblich nur der Panikmache dienten.

AfD-Fraktionschef Christoph Berndt hatte zu Beginn der Parlamentssitzung von einer »dramatischen« Situation gesprochen, sein Parlamentarischer Geschäftsführer Dennis Hohloch von »ungezügelter Masseneinwanderung«. Angeblich versuchten die anderen Parteien, die Probleme zu vertuschen.

Innenminister Michael Stübgen (CDU) kann aber nachweisen, dass er frühzeitig über die neue Fluchtroute informiert hatte. Am Mittwoch nun informierte er über 2670 Neuzugänge in der Erstaufnahme für Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt. 2444 davon seien über Belarus gekommen – zunächst vornehmlich Männer aus Irak, inzwischen auch Menschen aus anderen Staaten, darunter Frauen und Kinder. Verantwortlich ist nach Überzeugung von Stübgen der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko. Der habe im Juni die Wahlen so gefälscht, als hätten 70 Prozent der Bürger für ihn gestimmt. Als die Bevölkerung gegen diese Fälschung protestierte, habe er seine »Schlägertrupps« losgeschickt. Wegen dieser Menschenrechtsverletzung sei Belarus von der EU mit Sanktionen belegt worden. Die Reaktion Lukaschenkos: Flüchtlinge einfliegen und sie nach Polen, Litauen und Lettland schicken, um damit die Europäische Union in Schwierigkeiten zu bringen und zur Aufhebung der Sanktionen zu zwingen. Stübgen nannte das unverdrossen: »Menschen als Waffe in einer hybriden Kriegführung einsetzen.«

Unverdrossen deshalb, weil ihn die Abgeordnete Andrea Johlige (Linke) am Mittwochmorgen wegen dieser schon früher gebrauchten Wortwahl gewarnt hatte: »Wer den Krieg heraufbeschwört, der braucht sich nicht wundern, wenn die AfD das aufgreift und Nazis Selbstjustiz üben«, hatte sie kritisiert. »Wir sind nicht im Krieg!« Man müsse der Bevölkerung im Gegenteil signalisieren: »Wir schaffen das.« So wie es Kanzlerin Angela Merkel (CDU) 2015 in einer viel schwierigeren Situation als jetzt getan habe. In jenem Jahr habe die damalige rot-rote Koalition in Brandenburg versprochen, wegen der Flüchtlinge nirgendwo anders zu kürzen. Nun aber plane die rot-schwarz-grüne Koalition, Mittel zu streichen und dies sogar bei den Zuschüssen für die Integration in den Kommunen. Das sei unverantwortlich. Das sollten die Regierungsparteien bei ihren anstehenden Klausuren überdenken, mahnte Johlige. »Wagen sie mehr Merkel und weniger Stübgen!« Was die Forderungen der AfD betreffe, so zeige sich, dass diese Partei die Ursache von Fluchtbewegungen nicht begriffen habe. Natürlich werde ein Fluchtweg genutzt, bei dem Menschen nicht in der Wüste verdursten oder im Mittelmeer ertrinken.

In der Frage der Finanzierung der Integration deutete CDU-Fraktionschef Jan Redmann ein Umdenken an. Selbstverständlich werde man sich über den Haushalt 2022 Gedanken machen und ihn an die aktuelle Lage anpassen. »2015 darf sich nicht wiederholen«, sagte Redmann außerdem. Er versicherte: »2015 wiederholt sich gerade nicht.« Er berichtete von einem Telefonat mit dem polnischen Botschafter, bei dem er erfahren habe, dass Polen sich keine für die Wirtschaft schädlichen Staus durch deutsche Grenzkontrollen wünsche. Diese seien auch nicht nötig, betonte Redmann, da Polen nun selbst sehr engagiert seine EU-Außengrenze zu Belarus schütze.

Dass Staus an der deutschen Grenze massive Auswirkungen auf den Pendler- und Warenverkehr hätten, darauf machte die Abgeordnete Marie Schäffer (Grüne) aufmerksam. Schließlich kommen täglich zahlreiche polnische Ärzte, Krankenschwestern und Lkw-Fahrer zur Arbeit nach Brandenburg. Ohne sie stünden das Gesundheitswesen und die Belieferung der Geschäfte auf der Kippe. Das hatte sich gezeigt, als die Grenze in der Coronakrise zeitweise dichtgemacht wurde.

Nach anderthalb Stunden endete die Debatte, weil abgesehen von der AfD alle Fraktionen auf die ihnen noch zustehende Redezeit verzichteten. Der Landtag lehnte den Antrag der AfD ohne Enthaltung ab. Nur die 19 anwesenden AfD-Abgeordneten votierten in namentlicher Abstimmung für den Antrag. Der einstige Marktschreier Lars Hünich – gelernt ist gelernt – rief sein »Ja« besonders laut nach vorn. Ex-Soldat Daniel Freiherr von Lützow schmetterte: »Jawoll.«

Parlamentspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) ermahnte für die Zukunft, man stimme hier ab mit »Ja, Nein und Enthaltung und nicht mit anderem«. Dann schloss sie die Sondersitzung. Eine Sitzung, in der Innenminister Stübgen geschildert hatte, was der Bund schon unternehme: Es seien acht Hundertschaften der Bundespolizei, Hubschrauber mit Wärmebildkameras und Reiterstaffeln an die polnische Grenze verlegt worden.

Am Dienstag hatte Stübgen eine Grundsatzvereinbarung mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zu einem Ein- und Ausreisezentrum am Flughafen BER in Schönefeld abgeschlossen. In der Vereinbarung geht es um das umstrittene, weil im Schnelldurchlauf abgewickelte Flughafen-Asylverfahren sowie um Abschiebungen. »Die aktuelle Lage zeigt eindrücklich, welche bedeutende Rolle die Migrationspolitik auch zukünftig spielen wird«, hatte Stübgen dazu erklärt.

Die Linke-Landtagsabgeordnete Johlige nannte es eine »Zumutung«, dass der Innenminister dem Parlament wichtige Informationen dazu vorenthalte und Tatsachen schaffe, während eine neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP in der Migrationspolitik vielleicht bald die Weichen anders stelle. Die Politikerin lehnte ein »Abschiebe-Drehkreuz« ab.

Die Grünen-Abgeordnete Schäffer reagierte, für ihre Fraktion gelte glasklar der Koalitionsvertrag mit SPD und CDU, »dass in Brandenburg keine Abschiebehaftanstalt entsteht«. Schäffer fügte hinzu: »Solange wir die inhaltlichen Details und die finanziellen Ausmaße des Projekts nicht kennen, lehnt unsere Fraktion dieses klar ab.«

Während rechte und konservative Politiker überlegen, wie sie Schutzsuchende fernhalten können, machte sich am Mittwoch ein Hilfstransport des in Brandenburg gegründeten Vereins »Wir packen’s an« auf den Weg ins ostpolnische Białystok. Schlafsäcke, Winterjacken und Nahrung sollen dort an Freiwillige der »Grupa Granica« (Gruppe Grenze) übergeben werden, damit sie diese Hilfsgüter an Flüchtlinge verteilen – Flüchtlinge, die hungernd und frierend umherirren und von Polen teilweise mit Knüppeln zurückgetrieben, aber von Belarus nicht mehr aufgenommen werden. So zumindest wurde die Lage am Mittwoch im Landtag geschildert.

Die belarussische Botschaft hat kürzlich verbreitet, im September und Oktober sei in der Heimat mehr als 30 Reisebüros, die systematisch gegen die Gesetze verstießen, das Recht entzogen worden, Touristenvisa für Bürger aus Migrations-Risikoländern wie Iran, Syrien und Türkei zu beantragen. Am Flughafen in Minsk seien 100 Passagiere mit gefälschten Visa gestellt worden.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.