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  • Berlin
  • Kältehilfe für Obdachlose in Berlin

Notsystem als Dauerlösung

Zum Start der Kältehilfe beklagen Sozialverbände Verwaltungsträgheit und fehlende medizinische Versorgung

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Arzt Christian von Wissmann zeigt ein 6-Bett-Zimmer, das im Rahmen der Kältehilfe in den kommenden Monaten nachts obdachlosen Menschen zur Verfügung steht.
Der Arzt Christian von Wissmann zeigt ein 6-Bett-Zimmer, das im Rahmen der Kältehilfe in den kommenden Monaten nachts obdachlosen Menschen zur Verfügung steht.

Christian von Wissmann erklärt ruhig, aber energisch die Abläufe. »Wer regelmäßig kommt, bekommt das gleiche Bett im gleichen Zimmer«, sagt der Arzt, der seit über 45 Jahren im Dienst der Johanniter-Unfall-Hilfe steht, die Gepflogenheiten in der Notübernachtung in der Ohlauer Straße 22 in Kreuzberg. Hier können auch in diesem Jahr ab Montag knapp 100 Menschen von 19 bis 7 Uhr unterkommen, wenn sie kein eigenes Bett für die Nacht haben.

Berliner Kältehilfe in der Saison 2021/2022

Der Wärmebus des Deutschen Roten Kreuzes wird bis Ende März täglich von 18 bis 24 Uhr auf den Straßen der Hauptstadt unterwegs sein. Er fährt in den Wintermonaten jeden Abend Plätze an, an denen sich erfahrungsgemäß häufig wohnungslose Menschen aufhalten. Außerdem wird Hinweisen aus der Bevölkerung nachgegangen, wenn telefonisch Adressen mitgeteilt werden, an denen sich offenkundig bedürftige Menschen aufhalten. Die Helfer*innen verteilen vor Ort Kleidung, Isomatten, Schlafsäcke und heißen Tee. Bei Bedarf und nach Absprache werden Betroffene auch in Notunterkünfte gebracht.

Die Berliner Stadtmission, die neben zwei ganzjährigen Einrichtungen mit 150 Plätzen auch insgesamt 265 Plätze in drei Kältehilfe-Notübernachtungen zur Verfügung stellt, schickt in dieser Saison drei Kältebusse auf die Straße - statt bisher zweien. Zudem fährt einmal wöchentlich eine Ambulanz umher, um Bedürftigen eine medizinische Versorgung zu ermöglichen. Achtung: Die Telefonnummer zur Anforderung des Kältebusses hat sich geändert und lautet nun: 030-690 333 690.

Das Projekt Frostschutzengel ist ein mehrsprachiges Beratungsangebot für wohnungslose Menschen in Tagesstätten, Notunterkünften und sonstigen Einrichtungen. Vor allem EU-Bürger*innen werden zu ihren rechtlichen Ansprüchen auf eine bezirkliche Unterbringung und gesundheitliche Versorgung unterstützt. Eine telefonische Beratung ist auch möglich: Deutsch/Englisch: 0173-657 89 12, Bulgarisch: 0176-178 79 416, Polnisch: 0173-436 76 50, Russisch: 0176-178 79 414. Der Wochenplan zu Beratungen in Unterkünften findet sich auf der Seite www.frostschutzengel.de. clk

Für Hundebesitzer*innen gibt es auf der Frauenetage wie auf den Männerstockwerken einzelne »Hundezimmer«, abends erhalten die Gäste eine warme Mahlzeit, morgens ein Frühstück. Die Badezimmer atmen wie alle Mehrbettzimmer den Charme der ehemaligen Gerhard-Hauptmann-Schule mit ihren großen, kahlen Räumen. Über die Betten sind Nummern gemalt, die die Klient*innen auch in Form farbiger Bändchen zugeordnet bekommen, so dass sie ihre Sachen einschließen lassen und sie am Morgen, wenn sie die Unterkunft verlassen müssen, wieder ausgehändigt bekommen können. Den Tag verbringen sie ohne Obdach, in U-Bahn-Gängen, manchmal in öffentlichen Gebäuden oder Tageseinrichtungen - und auf der Straße.

Manche, erzählt von Wissmann, vor allem EU-Bürger*innen, verlassen die Unterkunft aber auch, um zur Arbeit zu gehen. Eine Arbeit, die ihnen keine soziale Sicherung, geschweige denn genug Geld einbringt, mit der sie eine eigene Unterkunft bezahlen können. Rechtliche Schritte gegen die dafür verantwortlichen Arbeitgeber einzuleiten, würde das Vertrauensverhältnis zu den Betroffenen untergraben, die auch auf dieses miserable Einkommen angewiesen seien, erklärt von Wissmann bei einer am Montag in der Kreuzberger Unterkunft abgehaltenen Pressekonferenz der Berliner Sozialverbände zum Saisonstart der Kältehilfe in der Hauptstadt.

Der ausgebildete Diabetologe sorgt sich vor allem um die Gesundheit obdachloser Menschen, die aus der Regelversorgung her-ausfallen. Neben schweren und chronischen Erkältungskrankheiten litten viele von ihnen an Magen-Darm-Infekten, die sich mit dem Leben auf der Straße selten gut kurieren ließen. Ob bei schweren Fällen eine Aufnahme in die Klinik gelingt, hänge von den behandelnden Ärzt*innen ab, so von Wissmann: »Ich nutze jahrzehntealten Beziehungen.«

Die meisten Mediziner, die im Rahmen der Obdachlosenhilfe tätig sind, böten dies zusätzlich und außerhalb ihrer Sprechzeiten an und seien »jenseits der 80«, beklagt er den Umstand, dass der Großteil des Engagements allein auf ehrenamtlichen Schultern ruht.

Die medizinische Versorgung Obdachloser erfolge durch ein zumeist defizitäres System kleiner Ambulanzen, weiß auch Caritas-Direktorin Ulrike Kostka. »Wir brauchen jedoch ein stabil ausfinanziertes und gut strukturiertes medizinisches Angebot mit tragfähigen fachlichen und personellen Standards.« Der kirchliche Träger betreibt eine Krankenwohnung, in der 20 obdachlose Menschen unterkommen können. Aber auch hier fehlten Pflegefach- und Hilfskräfte, erklärt Kostka.

Wie in jedem Jahr stünden die Mitarbeiter*innen der Kältehilfe vor denselben Problemen: Wohin mit Menschen, die an Sucht-, psychischen oder anderen Erkrankungen leiden? »Sie haben meist keine sozialrechtlichen Ansprüche, sind nicht krankenversichert und können deshalb nicht ins Regelsystem vermittelt werden«, kritisiert die Caritas-Vertreterin weiter.

»Kältehilfe holt keinen einzigen Menschen von der Straße, sie sorgt nur dafür, dass keiner erfrieren muss«, sagt Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Seit 1989 sei es vor allem Ehrenamtlichen zu verdanken, dass die Versorgung mit mittlerweile bis zu 1500 Plätzen in Notübernachtungen sowie Lebensmitteln obdachlose Menschen erreiche. Sie sei von einer Notfallidee zum Dauersystem geworden. Die Bezirke kämen ihrer Verantwortung für die Unterbringung nicht nach. »Statt großer Vorhaben wie dem Masterplan zur Beendigung von Wohnungslosigkeit brauchen wir operatives Handeln«, fordert Schlimper.

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