- Berlin
- Verdrängung in Berlin
Ausgerechnet ein Kinderladen
Verdrängung macht auch vor dringend benötigter Infrastruktur nicht halt
In der Werkstatt des Kinderladens Irgendwie Anders basteln die Kinder kleine Drachenlaternen für den Widerständigen Laternenumzug, der jedes Jahr von Bizim Kiez und anderen stadtpolitischen Initiativen organisiert wird und traditionell an bedrohten Projekten vorbeiführt. »Dieses Jahr kommt der Kiezdrache zu uns«, erzählt Nina Hofeditz, Leiterin der Einrichtung. Eigentlich ein schönes Ereignis, doch dass der Laternenumzug am 13. November samt Drachen am Kinderladen Irgendwie Anders vorbeiführen soll, verheißt nichts Gutes: Die Kita, in der 22 Kinder von vier Erzieher*innen betreut werden, ist akut in ihrer Existenz bedroht.
»Der Vermieter will unsere Miete stark erhöhen und das können wir nicht finanzieren«, erklärt Hofeditz. Seit zehn Jahren existiert der Kinderladen nun schon in der Oppelner Straße 20 in Kreuzberg. »Wir haben hier alles selbst gemacht, die Wände, die Böden, die komplette Einrichtung«, sagt die Pädagogin. Der Mietvertrag wäre zum Ende des Jahres ausgelaufen, hätte sie nicht von einer Option Gebrauch gemacht, die es ihr erlaubt, den Vertrag um weitere fünf Jahre zu verlängern. »Diese Option garantiert zwar, dass wir noch fünf Jahre bleiben können, aber beinhaltet auch eine neue Festlegung des Mietpreises«, sagt Hofeditz. Der Vermieter habe dem Kinderladen ein Angebot für eine deutlich höhere Staffelmiete für die nächsten drei Jahre zugeschickt. »Noch zahlen wir zwölf Euro pro Quadratmeter. Das soll im nächsten Jahr auf 15, dann auf 17 und schließlich auf 19 Euro im Jahr 2024 angehoben werden«, erklärt Hofeditz.
Das Haus gehört der Firma Millennium Objekt GmbH & Co. Oppelner Straße 20 KG, erklärt Jurist Stefan Klein von Kige Kiezgewerbe, einer Beratungsorganisation für von Verdrängung bedrohte Kleingewerbe. »Aktuell haben wir noch zwei weitere Kinderläden in Kreuzberg, die akut bedroht sind«, sagt Klein. In der Kita Siebenschläfer stünden die Chancen aktuell ganz gut, dass sich das Problem durch die Übernahme des Hauses von Deutsche Wohnen durch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge im kommenden Januar lösen werde. »Allerdings können wir erst ab Mitte Januar mit der Howoge über die Miethöhe verhandeln, solange hängen wir noch in der Schwebe«, sagt Klein.
Der andere bedrohte Kinderladen ist die Trompete in der Großbeerenstraße. Dort konnte zwar kürzlich eine Vertragsverlängerung um drei Jahre erwirkt werden, allerdings zu einer höheren Miete. »Die Trompete muss jetzt ihr pädagogisches Konzept umstrukturieren, um die Miete weiterhin zu zahlen. Dort wird sich demnächst zeigen, was es bedeutet, wenn durch höhere Mietkosten weniger Geld für die Kinder zur Verfügung steht«, so Klein.
Ganze 80 Einrichtungen und Gewerbe berate das Kiezgewerbe im Jahr, »Tendenz steigend«, so Klein. Die Verdrängung habe drastische Folgen für die Anwohner*innen im Kiez, deren Bedarfe nicht berücksichtigt würden. »Wenn ein Gemüseladen die Miete nicht mehr zahlen kann, dann ist es unwahrscheinlich, dass ein neuer Gemüseladen einzieht«, so Klein. Stattdessen kämen ertragreichere Gewerbe in den Kiez, etwa Kettenläden, Start-ups und touristisches Gewerbe.
»Wir brauchen ein Gewerbemietrecht, welches Kleingewerbe und vor allem soziale und kulturelle Einrichtungen vor Verdrängung schützt«, so der Jurist. Ein entsprechender Gesetzentwurf sei auf Bundesebene bereits eingebracht, man erwarte nun von der neuen Regierung, dass sie diesen auch umsetze. »Bedrohte Kleingewerbe geben sich oft selbst die Schuld an ihrer Situation, aber das stimmt nicht. Wir müssen uns zusammen gegen Verdrängung wehren«, sagt er.
Wenn die Verdrängung der sozialen Infrastruktur ausgerechnet Kitas trifft, ist es besonders bitter. »Wir brauchen jeden Kitaplatz in Berlin«, sagt Babette Sperber vom Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden. Gerade elternorganisierte Kinderläden leisteten einen wichtigen Beitrag zur Vielfalt und seien ein Teil der Berliner Kiezkultur. Vor allem in der Innenstadt seien Hunderte Kitaplätze in Gefahr. Innerhalb der letzten sechs Jahre sei der Großteil aller bedrohten Kinderläden gerettet worden, weil es letztendlich eine Einigung mit dem Vermieter gab, sagt Sperber. »Drei Kinderläden haben es nicht geschafft und mussten für immer schließen«, berichtet sie.
Dem Kinderladen Irgendwie Anders steht aller Wahrscheinlichkeit nach eine Lösung des Mietproblems durch ein Schiedsverfahren bevor. Im Mietvertrag ist festgeschrieben, dass ein Gutachter bei der Industrie- und Handelskammer beauftragt wird, wenn sich die Vertragspartner nicht auf eine neue Miete einigen können. »Da sind wir sehr optimistisch, denn schon die aktuellen zwölf Euro pro Quadratmeter sind überdurchschnittlich hoch im Vergleich zu anderen Kitas im Umfeld«, sagt Kitaleiterin Nina Hofeditz. Der Vermieter äußerte sich auf eine Anfrage des »nd« bis Redaktionsschluss nicht.
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