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Verseuchte Stimmung beim DFB
Fußball ist bei der Nationalmannschaft derzeit Nebensache
Es war eine grell ausgeleuchtete Bühne, auf der sich am Mittwoch nacheinander Hansi Flick und Thomas Müller am Tag vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Liechtenstein in Wolfsburg präsentierten. Neben vielen Scheinwerfern erhellten auch noch Sonnenstrahlen, die durch die Fenster eines gläsernen Pavillons in der Autostadt einfielen, den Raum. Und so waren die angestrengten Gesichter zweier Protagonisten gut zu erkennen, die das Coronathema einfach nicht ausblenden können – trotz der feierlich geplanten Verabschiedung von Langzeitbundestrainer Joachim Löw und der Aussicht auf einen Sechs-Siege-Startrekord für den Nachfolger.
»Die Dinge laufen nicht immer so, wie man sich das vorstellt«, gestand Flick, der die erzwungenen Abreisen des trotz einer doppelten Impfung an Corona erkrankten Niklas Süle und dessen Teamkollegen Joshua Kimmich, Serge Gnabry, Jamal Musiala und Karim Adeyemi pragmatisch zusammenfasste: »Wir haben viele Spieler eingeladen, viele Spieler haben uns wieder verlassen. Es war viel Hektik und Unruhe da. Ich würde mir wünschen, dass es so was nicht mehr gibt, dass wir fünf Spieler nach Hause schicken müssen.« Zu allem Überfluss zog sich Julian Draxler im Training noch eine muskuläre Verletzung zu. Nach den ebenfalls mit Muskelverletzungen ausfallenden Florian Wirtz und Nico Schlotterbeck ist Flicks unfreiwillige Verzichtsliste auf acht Spieler angewachsen. Unter diesen Umständen die Qualifikation für die WM 2022 in Katar schon erreicht zu haben, beteuerte der Bundestrainer, darüber sei er »heilfroh«.
Wesentlich unangenehmer als die sportlichen Folgen der Coronafälle ist für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) die Debatte darüber. Denn die Indizien sind erdrückend, dass das Quartett um Impfverweigerer Kimmich kaum vom Gesundheitsamt München-Land in Quarantäne beordert worden wäre, wenn diese Fußballprofis die Spritze erhalten hätten. Während es DFB-Direktor Oliver Bierhoff am Dienstag noch versäumt hatte, die gesellschaftliche Vorbildwirkung herauszustellen, positionierte sich Flick deutlicher: »Wir sind gläsern, wir haben eine Riesenverantwortung. Ich wünsche mir, dass die Spieler geimpft sind, aber wir sind auch nur ein Teil der Gesellschaft.« Es bestehe nun mal keine Impfpflicht, daher betonte der 56-Jährige auch: »Man darf Leute, die Sorgen haben, nicht verurteilen. Für mich ist es trotzdem der einzige Weg aus der Pandemie, dass man sich impfen lässt. Das ist meine Überzeugung.« Er habe mit den Spielern nur kurz gesprochen, werde das aber in den nächsten Wochen nachholen.
So schnell die Spieler unter Flick verinnerlicht haben, welche fußballerischen Leitplanken gelten, wirkt der Kurs beim Umgang mit dem so schnell nicht verschwindenden Virus noch ein wenig unausgegoren. Es könnten auch aus dem Verband deutlichere Signale gesendet werden. Nicht ausschließen wollte Flick jedenfalls, im nächsten Jahr womöglich nur noch geimpfte Profis zu berufen, zumal diese Voraussetzung bislang auch der WM-Gastgeber Katar erheben will. Der Bundestrainer beschied dazu: »Das lasse ich erst mal alles auf mich zukommen und mache mir nach dem Lehrgang Gedanken.«
Sein Führungsspieler Müller bat darum, die vertrackte Corona-Gemengelage ins Gesamtbild einzupassen. »Die ganze Gesellschaft ist damit konfrontiert – im Arbeitsleben, im Privaten.« Eine Bewertung zu seinem Kumpel und Kollegen Joshua Kimmich ersparte sich der 32-Jährige. In die moralisch-ethische Diskussion wolle er nicht einsteigen, »das ist ganz schwierig, da spiele ich nicht den ›Ganze-Welt-Erklärer‹!« Nur so viel: Wie jeder im Fußball wüsste, dass ein Handspiel im eigenen Strafraum zum Elfmeter führt, wüsste man bei Corona auch, welche Regeln für Geimpfte und Nicht-Geimpfte gelten. Eine Spitze an Kimmichs Adresse? Müller wirkte mindestens leicht genervt – und kam für seine Verhältnisse komplett spaßbefreit rüber.
Insofern könnte das Länderspiel gegen Liechtenstein wieder mehr Vergnügen machen, auch der DFB-Elf. 27 Punkte peilt Flick zum Abschluss der WM-Qualifikation an – was Siege gegen Liechtenstein und drei Tage später in Eriwan gegen Armenien voraussetzt. Dass die Amateure aus dem Fürstentum es fast geschafft hätten, seinen Einstand zu verderben, hat der Bundestrainer nicht vergessen. »Wir sind bestrebt, die Dinge gegen Liechtenstein besser zu machen. Wir müssen mit mehr Tempo, mehr Initiative, mehr Intensität die Räume öffnen.« Dann erwarte er, »dass wir kompromisslos so früh wie möglich die Chancen reinmachen. Unser Ziel ist ganz klar, dass wir den Fans eine tolle Leistung zeigen und sie feiern können.« Helfen soll dabei wohl ein erstmals berufener Lokalmatador: Lukas Nmecha vom VfL Wolfsburg hat im Training einen so guten Eindruck hinterlassen, dass dem 22-Jährigen eingedenk der ausgedünnten Offensive gleich ein Startelfeinsatz als klassischer Mittelstürmer winkt.
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