Tumulte in Tripura

In dem indischen Unionsstaat kommt es zu Gewaltausbrüchen zwischen Volksgruppen

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.

Zweieinhalb Jahrzehnte regierte in Tripura die Linksfront unter Führung der Kommunisten. Für Negativschlagzeilen war der nur gut 10 000 Quadratkilometer große Landstrich im Nordostzipfel Indiens mit etwa 3,7 Millionen Einwohnern in dieser Zeit nicht bekannt. Doch 2018 fiel auch diese bis dato vorletzte »rote Bastion«. Erstmals gewannen die ebenfalls auf nationaler Ebene bestimmenden Hindunationalisten der Bharatiya Janata Party (BJP) von Premier Narendra Modi die Regionalwahlen, obwohl sie kurz zuvor im ganzen Nordosten kaum präsent waren.

Der dreieinhalb Jahre zurückliegende Rechtsruck im Staatenparlament blieb nicht ohne Auswirkungen in vielen Bereichen. Dazu gehört, dass schon zuvor latente, aber von der Linken austarierte Spannungen und Konflikte zwischen unterschiedlichen Volksgruppen massiv zugenommen haben. Kürzlich entluden sich diese in Ausschreitungen der hinduistischen Mehrheit gegenüber der muslimischen Minderheit. So sollen unter anderem bei einer Massenveranstaltung des Vishwa Hindu Parishad (Welthindurat/VHP) im Norden Tripuras mindestens zwei Geschäfte niedergebrannt und eine Moschee beschädigt worden sein. Der Welthindurat ist eine der radikalsten Gruppierungen der sogenannten Safranfront: Mit diesem Begriff wird gemeinhin das gesamte hindunationalistische Lager bezeichnet; dazu gehören außer der BJP als parlamentarischer (und daher bisweilen zurückhaltend auftretende) Kraft zahlreiche extremistischere Frontorganisationen, die das Fußvolk für gewaltsame Attacken mobilisieren.

Attacken gegen Minderheiten

So kann auch der seit 2018 regierende Chefminister mit BJP-Parteibuch, Biplab Kumar Deb, nicht direkt als Spalter und Hetzer bezeichnet werden, obwohl der demnächst 50-Jährige, dessen Eltern 1971 kurz vor seiner Geburt während des Unabhängigkeitskriegs Bangladeschs als Hindu-Flüchtlinge nach Indien kamen, mit diversen Äußerungen für Kontroversen sorgte. Doch seiner Regierung wird von linken und liberalen Kritikern vor allem vorgeworfen, militante Kräfte ungehindert wirken zu lassen. Warum die Polizei bei den jüngsten Ausschreitungen erst spät oder gar nicht einschritt, will beispielsweise die Nationale Menschenrechtskommission von den Spitzen von Verwaltung und Sicherheitsapparat wissen. Am 3. November forderte die Kommission in einem Brief vom höchsten Beamten des Bundesstaats und dem regionalen Polizeichef binnen vier Wochen eine umfassende Erklärung.

Auslöser für die Vorfälle in Tripura sollen wiederum Attacken auf die kleine hinduistische Minderheit im benachbarten Bangladesch gewesen sein, heißt es. Diese hatten laut Berichten mindestens sechs Todesopfer und mehrere Hundert Verletzte gefordert. In Zusammenhang mit der Durga Puja - eines der größten Feste der Hindus in Bengalen und ganz Nordindien - kam es in Cumilla, 100 Kilometer von der Hauptstadt Dhaka entfernt, angeblich zu einem »Blasphemie-Vorfall«. Aufgebrachte Muslime hätten daraufhin religiöse Stätten der Hindu-Minderheit und deren Angehörige angegriffen. Neben der anfangs überforderten Polizei setzte die Regierung in 22 Distrikten zusätzlich paramilitärische Einheiten ein; Premierministerin Sheikh Hasina versprach, die Schuldigen zur Verantwortung ziehen zu wollen.

Maulkorb für kritische Stimmen

Die Ereignisse im Nachbarland Mitte Oktober brachten kurz darauf in Tripura bei schon aufgeheizter Stimmung das Fass zum Überlaufen. Inzwischen läuft in dem Drama der nächste Akt: Die BJP-Regionalregierung will offenbar kritischen Stimmen einen Maulkorb verpassen. Unter 102 Personen, die wegen angeblicher Aufwiegelung im Fokus stehen, sind mehrere beim höchsten Gerichtshof tätige Anwälte und auch Journalisten. Von einem Versuch, Medienschaffende einzuschüchtern, sprach die Reportervereinigung Indian Women’s Press Corps, auch die Editors Guild of India zeigte sich auf Twitter »geschockt«, während die renommierte Bürgerrechtsvereinigung People’s Union for Civil Liberties die Polizei in Tripura scharf dafür kritisierte, Anzeige gegen die ranghohen Juristen aus Delhi gestellt zu haben. Diese hatten bei einer Pressekonferenz von »orchestrierter Gewalt« durch Welthindurat und andere Radikale gesprochen. Bei den Journalisten reichte für die Anklage in einem Fall die Titelzeile »Tripura brennt«.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.