• Sport
  • BallHaus Ost: Fußball in Brandenburg

Expedition in den Speckgürtel

Wenn die Profis pausieren, lockt den Berliner Fußballfan ein Pokalspiel über die Stadtgrenze hinaus

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Viele Jahre befand sich direkt vor unserem Wohnzimmerfenster im schönen Berlin-Mitte die Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 8. Traumverloren blickte ich immer wieder den Fahrerinnen zu, wenn sie ihre kurze Pause nutzten um beispielsweise ein daheim vorbereitetes Pausenbrot zu verzehren. Kurz bevor sich die Bahn in Bewegung setzte, ratterte es immer im Oberstübchen und der Richtungsanzeiger schaltete auf Ahrensfelde/Stadtgrenze um. Feld klang nach Blumenwiese und anmutig tanzenden Feen. Und Herr Ahrens war wahrscheinlich in grauer Vorzeit der Vorstand einer lokalen Großbauernfamilie gewesen … Es boten sich viele Gründe, um an ein Häuschen im Grünen zu denken, samt eigenem Distelbeet mit spitzen Zacken dran und so hoch wie ein Mann. Frische Luft, Fuchs und Hase, ihr wisst schon, was ich meine.

Leider gelang es mir bis zum vergangenen Sonnabend nie, dieses geheimnisvolle Ahrensfelde mit der Tram zu besuchen. Als aber der lokale Bolzklub Grün-Weiss Ahrensfelde zehn Meter hinter Berlins Stadtgrenze den SV Babelsberg 03 zum Brandenburger Pokalviertelfinale empfing, gab es kein Halten mehr. Ich nahm das Abenteuer Ahrensfelde mutig in Angriff.

Ballhaus Ost

In seiner Kolumne "Ballhaus Ost" blickt Frank Willmann alle zwei Wochen auf die Geschehnisse im Ostfußball  - das wilde Treiben in den Stadien zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.

Alle Texte finden sie unter dasnd.de/ballhaus

Unter dem grenzenlosen Beifall meiner Freundin bestieg ich die Tram, um mich fortan ganz der Betrachtung des geliebten Berlins hinzugeben. Zugegebenermaßen gefiel mir die Stadt ab der SEZ-Ruine nicht mehr. Besteht denn fast ganz Berlin aus Plattenbauten? Anscheinend schon, aber selbst schuld: Warum muss ich auch die eigene Mitte-Blase verlassen? Vorbei an der Haltestelle des Schüttelbus zum Polenmarkt döste ich auf der schier endlosen Allee der Kosmonauten ein, um plötzlich die Endstation Stadtgrenze zu erreichen. Soll ich hier raus? Mitten ins Wolfsland? Es gab doch nicht umsonst diese Kriminalfilme, die vor dieser finstern Gegend warnten!

Aber was soll ich euch sagen: Plötzlich endeten die Plattenbauten und ein Panorama an Einfamilienhäusern tat sich auf. Warteten hinter der nächsten Ecke eintausend Eingeborene unter Führung des Superjens mit fliegenden Fahnen? War nicht das deutsche Einfamilienhaus mit seiner geballten Spießigkeit die Keimzelle des Bösen? Vorsichtig tastete ich mich Richtung Sportplatz, der irgendwo da hinten neben dem Bahndamm liegen sollte. Aber nein, alles ward friedlich und ein niedliches Stadion samt nicem Vereinsbüdchen bot Obdach und Speis. Die Wurst war okay, überhaupt schien Grün-Weiss Ahrensfelde gut auf die Begegnung vorbereitet.

Viele Frauen und Kinder säumten den Platz, knapp 1000 Zuschauer. Wegen der sogenannten Länderspielpause ruhte der Ball in den ersten vier Ligen. Das nutzten etliche Fans diverser Berliner Vereine, um Pokalduft an der Bruchkante Plattenbau/Einfamilienhausgebiet zu schnuppern. Zumal die linke Fanszene von Nulldrei bei jung gebliebenen Böseguckern eine besondere Anziehungskraft besitzt. Um es vorwegzunehmen, im Stadion blieb es friedlich, dafür sorgte ein deutliches Polizeiaufgebot. Die Partie gewannen die ersatzgeschwächten Babelsberger 2:0.

Nach dem Spiel kam es wohl in Berlin, also 50 Meter zurück Richtung Plattenbaugebiet, zu kleineren Diskussionen, als ein paar Babelsberger eine lokale Schänke besuchten, um ihren Durst zu löschen. Das rief wiederum die dort ansässigen Biertrinker auf den Plan, denen jede Gastfreundschaft abging. Sie drängten die Fremden zu sofortigem Aufbruch, anstatt mit ihnen friedlich ein Nachmittagsbier zu genießen. Dabei hätten sie sich sicherlich über unterschiedliche Weltsichten (Corona, Klima, den Tag, als Conny Kramer starb) austauschen können. Und es hätte vielleicht sogar den einen oder anderen weitergebracht?

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!