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- Énissa Amani
Furzende Imame der AfD
Der AfD-Politiker Andreas Winhart diffamiert Schwarze Menschen und Albaner*innen, die Künstlerin Énissa Amani teilt daraufhin verbal gegen den Abgeordneten aus. Ärger mit der Justiz bekommt nur einer von beiden.
Es gibt ein türkisches Sprichwort: »Furzt der Imam, so kackt die Gemeinde.« Das bedeutet: Wenn Menschen mit Vorbildfunktion Unanständiges machen, macht die Gesellschaft etwas, das noch unanständiger ist. Ziel dieses Sprichwortes ist also, auf die Verantwortung der Reichweite und Vorbildfunktion hinzuweisen. Mit ihrer rassistischen Sprache sind AfD-Politiker*innen beispielsweise furzende Imame.
»Wenn ein N**** mich küsst oder anhustet…«, so beginnt der Videoabschnitt, um den es seit Tagen geht. Auf einer Wahlkampfveranstaltung 2018 diffamierte der AfD-Politiker Andreas Winhart Schwarze Menschen als Verbreiter gewisser Krankheiten und Albaner*innen als Diebe. Die Künstlerin Énissa Amani postete davon ein Video und beleidigte Winhart laut eigener Aussage mit der Absicht, um Aufmerksamkeit für den Fall zu generieren. Sie wird wegen Beleidigung verurteilt: 40 Tage im Knast oder 1.800 Euro.
Nun möchte die Künstlerin nicht bezahlen, sondern lieber in den Knast, und zwar aus Prinzip. Winhart sei für die besagte Rede mehrfach wegen Volksverhetzung angezeigt, allerdings nie verurteilt worden. Freie Meinungsäußerung scheint in Deutschland eine Einbahnstraße zu sein.
In einem Interview zum Fall Amani mit dem BR spricht die Juristin Kristina Peters davon, dass Provokation, Zuspitzung und Polemik Teil der Meinungsfreiheit sei, insbesondere im politischen Kampf: »Da gehen die Gerichte davon aus, dass die Betroffenen mehr aushalten müssen als sonst – in beide Richtungen.«
Das klingt erstmal plausibel – bis man genauer hinschaut. Rassismus ist nämlich keine Polemik oder Zuspitzung, sondern ein strukturelles Problem. Rassismus, selbst wenn er verbal ausgeübt wird, hat greifbare Folgen.
Genau von diesen Folgen spricht die Autorin Emilia Roig auf Instagram in Bezug auf den Fall Amani und bezeichnet Deutschland als »ein Land, das Rassismus als Meinung schützt, wissend, dass über sechs Millionen Menschen auf der Grundlage solcher rassistischen und antisemitischen Diskurse brutal ermordet wurden«. Es seien dieselben rassistischen Diskurse, die es als hinnehmbar erscheinen ließen, dass Menschen an der belarussischen Grenze und im Mittelmeer sterben lassen würden.
Von mehr aushalten in beide Richtungen kann in diesem Fall nicht die Rede sein, weil Winhart ja tatsächlich nichts aushalten muss – er wird weder verurteilt noch muss er sich etwas anhören. Das hat einen Grund: Wem wir was zumuten, kommt auf die Machtposition der betreffenden Person an. Hamburgs Innensenator Andy Grote wird auf Twitter als »1 Pimmel« bezeichnet – und schon werden Wohnungen gestürmt, Sticker und Graffiti entfernt. Dabei ist das Wort Pimmel als Beleidigung eine Auslegungssache, weil es im Sinne cisgeschlechtlicher Männer nicht im Kontext eines gesellschaftlichen Systems steht, das sie benachteiligt.
Währenddessen muss die Politikerin Renate Künast (Grüne) Beleidigungen wie »Drecksfotze« aushalten, fand ein Richter im Berliner Landgericht. Dabei steht diese Beleidigung sehr wohl im Kontext eines gesellschaftlichen Missstandes, und zwar Sexismus, der Frauen und jene, die davon negativ betroffen sind, systematisch diskriminiert und anfälliger für Angriffe macht. Wenn Künast als »Drecksfotze« beleidigt wird, dann ist es nicht ein polemisches Mittel der Meinungsäußerung, sondern Teil des misogynen Systems, wegen dem jedes Jahr mehr als 300 Frauen getötet werden. Pimmel und Drecksfotze (selbst wenn kein »Dreck« davor stünde) sind also nicht gleichzusetzen, weil Frauen und Männer nicht gleichberechtigt sind und das Wort »Fotze« deshalb nicht eine willkürliche Beleidigung, sondern eine Waffe ist.
Während Schwarze Menschen aushalten müssen, mit dem entmenschlichenden N-Wort angesprochen zu werden, muss der AfD-Politiker nicht einmal willkürliche Beleidigungen aushalten. Dabei gibt es keine gesellschaftliche Ebene, auf der dem Weißsein genauso gewaltvoll begegnet werden kann. Das N-Wort ist also nicht bloß ein Wort, sondern eine aktive Machtausübung und -demonstration, weil es sich um verbale Gewalt handelt, deren Ursache an Strukturen liegt. Wenn Beleidigungen auf die Identität von marginalisierten Gruppen zielen, quasi Salz auf ihre politische Wunde reiben sollen, dann sind diese ein Zahnrad der Systeme, die diese Gruppen durch Armut, körperliche sowie sexualisierte Gewalt und Morde unterdrücken. Deshalb müssten solche Wörter für die Urheber*innen viel schwerere Konsequenzen haben.
Was aber passiert, ist genau das Gegenteil. Rassismus und Sexismus dürfen sein, entscheiden deutsche Richter*innen, und qualifizieren sich ebenso als furzende Imame. Denn wenn der Richter verzeiht, verbrennt der Polizist: Genau darauf weist die taz-Kolumnistin Fatma Aydemir hin, wenn sie die Aktion von Amani als eine verpasste Chance bezeichnet: »Oury Jalloh wurde in einer deutschen Gefängniszelle ermordet. Achidi John und Laya-Alama Condé starben ebenfalls in Gewahrsam. Warum wurde niemand verurteilt?«
Furzende Imame sind also keine Menschen, die unter Inkontinenz leiden. Furzende Imame sind Menschen, die ihre Macht missbrauchen: Kollaborateure eines gewaltvollen, ausbeuterischen Systems. Es ist an der Zeit, dass sie auch als solche behandelt werden.
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