Schlüsselszene im Heldenepos

Robuste Kölner bezwingen Mönchengladbach in unterhaltsamem Rheinderby

  • Andreas Morbach, Köln
  • Lesedauer: 4 Min.

Für den Tag nach der großen Derbysause in Köln-Müngersdorf hatte Steffen Baumgart einen klaren Plan. Der Chefdompteur des Geißbock-Ensembles wollte am Sonntag mal wieder bei seinem alten Klub vorbeischauen, die Paderborner empfingen am frühen Nachmittag Aufsteiger Rostock. Für die Ostwestfalen, die Baumgart im Sommer nach vier Jahren in Richtung Domstadt verlassen hatte, war es das nächste Kapitel im engen Aufstiegsrennen in der Zweiten Liga. Und in Rostock erblickte Baumgart am 5. Januar 1972 das Licht der Welt. Für den leidenschaftlichen Schiebermützenträger war es also eine Art Pflichtbesuch.

Als selbstverständlich erachtete es Baumgarts Spieler Mark Uth, nach dem 4:1 der Kölner gegen den ärgsten Rivalen im Rheinland, Borussia Mönchengladbach, vom Trainer zur Belohnung zwei freie Tage spendiert zu bekommen. Im Hochgefühl des Triumphes verbreitete der 30-Jährige den Gedanken spaßeshalber auch gleich im TV-Interview. Woraufhin Baumgart mit grimmigem Blick seine Autorität untermauerte und erwähnte: »Die Forderung nach den freien Tagen habe ich mir selber gestellt. Dazu brauche ich nicht Uths Meinung. Danke.«

Ein Dankeschön schickten alle Kölner zusammen an Florian Neuhaus. Der Nationalspieler, bei der Borussia im Lauf der Hinrunde in ein frustrierendes Reservistendasein gerutscht, brachte die Gastgeber in der 77. Minute mit einem schlimmen Fehlpass auf die Siegerstraße. Der Fauxpas unterlief dem 24-Jährigen elf Minuten nach seiner Einwechslung - und nur drei Minuten, nachdem Jonas Hofmann die Kölner Führung durch Dejan Ljubicic für die Fohlenelf egalisiert hatte. Kapitän Lars Stindl, kurz zuvor vom Feld gegangen, ballte in dem Moment vor der Gladbacher Ersatzbank die Faust. Weil er, wie wohl die meisten im Stadion, den Rautenklub gerade auf bestem Wege zum nächsten Auswärtssieg in Köln wähnte.

Dieser Eindruck beschlich auch Adi Hütter. »Ich hatte in der Phase des Ausgleichs das Gefühl, dass wir das Spiel noch gewinnen können.« Doch dann leistete sich Neuhaus den fatalen Fehlpass, den Uth zum 2:1 nutzte. Nur 60 Sekunden später erhöhte Ondrej Duda auf 3:1, der Schwede Sebastian Andersson wuchtete den Ball in der Nachspielzeit via Lattenunterkante dann zum höchsten Kölner Derbysieg über Gladbach seit 1996 ins Tor. Und Übungsleiter Hütter gestand: »Es ist sehr, sehr unangenehm, dieses Derby als Trainer von Borussia Mönchengladbach in der Form zu verlieren.«

Trotzdem bemühte sich der Österreicher anschließend nach Kräften, in die andauernde Personaldebatte um Neuhaus, dem zuletzt Wechselabsichten nach Neapel nachgesagt wurden, nicht noch zusätzlich Öl zu gießen. »Wir gewinnen gemeinsam, und wir verlieren gemeinsam. Und ich trage die Verantwortung«, erklärte Hütter, der die Sekunden vor dem zweiten Kölner Treffer aber auch ebenso unmissverständlich kommentierte: »Das war mit Sicherheit die Schlüsselszene. Direkt davor hatte man das Gefühl, dass das Spiel in beide Richtungen ausschlagen kann.«

Auch der Kollege Baumgart hatte eine Viertelstunde vor Schluss »schon das Gefühl, dass das Spiel kippen könnte«. Der Mann, den die entzückten Kölner Fans Südkurve nach Spielschluss zu einer exklusiven Jubeleinlage zu sich zitierten, unternahm aber zugleich den dezenten Versuch, Neuhaus zu verteidigen. »Vielleicht«, mutmaßte Baumgart, »haben wir den Fehler vor dem 2:1 auch ein bisschen erzwungen«.

Völlig sicher war sich der FC-Coach - wie die anderen 50 000 Augenzeugen in der voll besetzten WM-Arena von 2006 - dagegen, dass Salih Özcan die Hauptrolle im jüngsten Kölner Heldenepos gespielt hatte. Vier Derbys absolvierte der bärtige Mittelfeldakteur bislang gegen Gladbach, alle vier hat er gewonnen. Und das nicht ohne Grund. »Ich habe vor dem Spiel schon gesagt, dass ich versuche, in die Zweikämpfe ein bisschen härter hineinzugehen - und mit vollem Elan dabeizubleiben. Es war heute unsere Aufgabe, den Gladbachern die Lust am Fußballspielen zu nehmen. Das haben wir hinbekommen, deshalb steht es am Ende zu Recht 4:1«, argumentierte der 23-Jährige.

Das Team habe schon in der Pause, als es noch 0:0 hieß, ein gutes Gefühl gehabt, in der zweiten Halbzeit dann einfach geliefert und die Fans stolz gemacht, erwähnte Özcan noch. »Ich bin keiner, der einzelne Spieler heraushebt, aber bei Salih mache ich das heute. Als kölscher Junge hat er ein überragendes Derby gespielt, die Stimmung im Stadion für sich genutzt - und viel Spaß an seinen Zweikämpfen gehabt. Das war sehr wichtig für uns«, entschloss sich Steffen Baumgart daraufhin zu einem Sonderlob - ehe er dem kölschen Rasenpersonal zwei freie Tage spendierte.

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