Wie die Musik der Zukunft klingt

Gabriele Werth hat eine Reihe von besten Essays, Reportagen, Interviews und Rezensionen der Musikjournalistin Ingeborg Schober herausgegeben

  • Uwe Schütte
  • Lesedauer: 4 Min.
Für Schober war Amon Düül der Aufbruch der 68er Generation, vorneweg Sängerin Renate Knaup-Krötenschwanz, hier bei einem Konzert 2008.
Für Schober war Amon Düül der Aufbruch der 68er Generation, vorneweg Sängerin Renate Knaup-Krötenschwanz, hier bei einem Konzert 2008.

Pionier zu sein, ist eine undankbare Aufgabe. Am Ende wird man zwar allenthalben gelobt dafür, seiner Zeit vorausgewesen zu sein, aber das kommt nicht selten zu spät: Man ist längst in Altersarmut versunken oder der Ruhm kommt posthum. Noch schwieriger gestaltet sich eine Vorreiterrolle, wenn man einer Minderheit angehört. So wie Ingeborg Schober im exklusiven Herrenclub des Musikjournalismus der 70er und 80er Jahre. Doch sie war nicht nur eine der ersten Musikjournalistinnen in der Bundesrepublik, sondern zudem eine der besten.

Das stellte sie etwa in ihrem ersten, seit Langem vergriffenen Buch eindrucksvoll unter Beweis: «Tanz der Lemminge» (1979) war teils Autobiografie und detailreiche Reportage über die anarchistische Münchner Kommune-Szene der späten 60er und frühen 70er Jahre, vor allem aber eine anschauliche Bandbiografie über Amon Düül. Die 1947 im Allgäu geborene Schober vermochte anhand ihrer eigenen Erfahrungen und am Fallbeispiel von Amon Düül gleichsam aus der Position teilnehmender Beobachtung den Aufbruch der 68er Generation als eine Geschichte politischer Emanzipation mit den Mitteln der Popmusik anschaulich zu schildern. Zugleich, und das ist nicht das geringste Verdienst von «Tanz der Lemminge», blickt das Buch weit über den Tellerrand von Amon Düül hinaus und zieht eine Bilanz des ersten Jahrzehnts der Krautrock-Revolution.

Wie kaum betont werden muss - die gleichfalls aus dem Allgäu stammende, zeitweilige «Frontfrau» von Amon Düül, Renate Knaup-Krötenschwanz, spricht ausführlich darüber in Christoph Dallachs unlängst erschienenem Interviewband über den Krautrock - wurden auch in der Krautrock-Szene Frauen sexistisch behandelt und ausgenutzt. Vielleicht war es just diese Erfahrung, belächelt und zweitrangig behandelt zu werden, die Schober so vehement Partei ergreifen ließ für all die deutschen Experimentalbands, die im Laufe der 70er versuchten, sich gegen die kulturimperialistische Dominanz der anglo-amerikanischen Rockmusik zu behaupten.

Ihr Interesse galt insbesondere den Fricklern und Knöpfchendrehern der Elektronikfraktion aus Düsseldorf, also der Riege von Kraftwerk über La Düsseldorf und Wolfgang Riechmann bis zur Deutsch-Amerikanischen Freundschaft (DAF). «Elektronik? Muß man moogen», war einer ihrer Artikel sinnigerweise überschrieben, und gerade auf dem Feld einer von Mensch-Maschinen bestimmten Musik war Schober immer eine geschätzte Gesprächspartnerin und nicht selten auch sehr befreundet mit den Technikfreaks. Ihre Leidenschaft für experimentelle Klänge führte dazu, dass sie den in Deutschland damals weitverbreiteten Vorurteilen gegenüber einheimischen Bands vehement entgegentrat. Ebenso aber setzte sie sich für Bands wie die Münchner Spider Murphy Gang oder die Berliner Ärzte ein. Da sie deren Musik stets ernst nahm, konnte sie auch tiefer gehende Dinge darüber sagen, ohne auf die üblichen Klischees der Musikpresse zu verfallen.

Die immense musikalische Neugier und ihr Faible für alles Experimentelle machte Schober auch für Bands und Künstler aus den Geburtsländern der Popmusik empfänglich. Schober schrieb kenntnisreich über viele bahnbrechende anglo-amerikanische Bands wie Talking Heads, The Human League und Ultravox, bevor sie ihren kommerziellen Durchbruch hatten, sie wollte wissen, wie die Musik der Zukunft klingt. Denn gerade das gänzlich Neue, das Gerade-im-Entstehen-Begriffene, das seine Energie aus dem utopischen Vorgriff aufs Kommende bezieht, erweist sich nicht selten als das, was die Überschrift eines Schober-Artikels über die Krautrocker-Band Can auf den Punkt bringt: solche Musik ist «unbegrenzt haltbar».

Ähnliches gilt im Übrigen für die Texte von Schober. Die verdiente Wiederentdeckung einer wegweisenden Musikjournalistin ist nun möglich dank des von ihrer Freundin Gabriele Werth herausgegebenen Buches «Die Zukunft war gestern», in dem Schobers beste Essays, Reportagen, Interviews und Rezensionen versammelt sind. Der schön gestaltete Band wird zudem ergänzt durch «Bonusmaterial» wie Fotografien und Erinnerungen ehemaliger Weggefährten, Kollegen und Leserinnen. Sandra Maischberger etwa berichtet davon, wie die Texte und das Auftreten Schobers als selbstsichere und kompetente Frau in einem Männerbetrieb sie zu einem inspirierenden Vorbild für angehende Journalistinnen machte. Ingeborg Schober ist 2010 gestorben, viel zu jung mit 63 Jahren und viel zu vielen unvollendeten Buchplänen. Aber zumindest diese lesenswerte Best-of-Kompilation ist nun noch erschienen.

Gabriele Werth (Hg.): Ingeborg Schober: Die Zukunft war gestern. Essays, Gespräche und Reportagen«, Reiffer-Verlag, 400 S., geb., 24 €.

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