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Die Hoffnung läuft mit
Der schnellste deutsche Marathonmann bangt um seine Familie im Kriegsgebiet
Tono Kirschbaum hat nur flüchtig den Ausblick auf die Silhouette von Valencia genießen können. Für ausgedehntes Sightseeing blieb dem Trainer von Amanal Petros am Tag nach dessen Rekordlauf keine Zeit mehr - das Flugzeug in die Heimat wartete schon. Deutschlands Spitzenläufer hat es besser: Weil die Freundin von Petros gerade ein Semester lang in der spanischen Hafenstadt studiert, bleibt er noch ein paar Tage. Endlich mal die Beine baumeln lassen, nachdem der 26-Jährige am Sonntag in der selbst ernannten »Ciudad del Running« (Stadt des Laufens) wieder ein Kapitel deutsche Laufgeschichte geschrieben hat. Genau dort, wo er Arne Gabius vor einem Jahr den deutschen Rekord entriss, drückte er nun die Bestmarke um fast eine Minute auf 2:06:27 Stunden. »Harte Arbeit zahlt sich aus. Was für ein unglaublicher Tag. Ich bin so dankbar und stolz auf, was ich bisher geschafft habe«, schrieb der gebürtige Eritreer, der einst als Flüchtling nach Deutschland kam.
Und doch plagen dieses Musterbeispiel für gelungene Integration immer noch große Sorgen. Seine Mutter und beide Schwestern leben in der umkämpften Region Tigray im Norden von Äthiopien. Schon vor einem Jahr war der Athlet des TV Wattenscheid 01 deswegen in großer Sorgen, konnte ein paar Mal über Dritte Kontakt aufnehmen, der nun aber seit Wochen wieder abgerissen ist. »Das beschäftigt ihn sehr, zumal er auch ein sehr politischer Mensch ist«, erklärt sein Förderer Kirschbaum. Seinen häufig von Albträumen geplagten Schützling macht es traurig, wie wenig sich die Völkergemeinschaft um diese Krisenregion schert. Doch er versucht, die missliche Lage irgendwie als sportlichen Antrieb zu nutzen. »Ich laufe für diejenigen, die vergessen und von anderen nicht gehört werden; für diejenigen, die seit mehr als einem Jahr schreien, um ihren Familien eine Stimme zu geben und doch nicht gehört werden« schrieb Petros kurz vor seinem Rekordlauf.
Vielleicht hat er deshalb den widrigen Bedingungen fast spielend getrotzt, die sein Trainer als »ideales Segelwetter« beschrieb. Der Mentor war beim windigen Event ebenso wie Manager Christoph Kopp vor Ort - und beide ziehen danach den Hut vor Petros’ Beharrlichkeit. »Aman lebt und liebt diesen Sport«, erklärt Kirschbaum. »Das ist seine Erfüllung und Leidenschaft gleichermaßen.« Wenn er früh aufsteht, habe ihm Petros meist schon die gesammelten Leistungsdaten aus Kenia übermittelt, wo sich der Rekordhalter über Wochen präpariert hat.
Das Läufer-Eldorado Iten auf einer Hochebene im Westen des ostafrikanischen Landes, wo inzwischen nicht nur Heerscharen internationaler Topläufer an der Form feilen, ist so etwas wie sein zweites Zuhause geworden. Die regelmäßig über soziale Medien geteilten Videoclips von staubigen Pisten vermitteln eine Ahnung, welch hohe Intensität hier angeschlagen wird. Kirschbaum verzichtet längst darauf, die Trainingspläne zu schreiben (»das würde nur alles durcheinander bringen«), hat aber geahnt, dass die Leistungsentwicklung für solch einen Coup reichen würde.
Ihm ging es im unmittelbaren Vorlauf nur darum, Petros etwas einzubremsen. Eine Taktik, die im Nachhinein nach einer Halbmarathonmarke von knapp über 63 Minuten prima aufging. »Er hat die nächste Stufe gezündet«, sagt Manager Kopp, der sich sicher ist: »Diese Zeit kann er versilbern, aber noch nicht vergolden.« Wer Mitte 20 bereits in diesen Sphären läuft, hat im Marathon allerdings das Beste noch vor sich. Und ziemlich realistisch ist auch, dass Petros als erster Deutscher einen Halbmarathon unter einer Stunde schafft. Ende Oktober ist die Uhr noch bei 60:09 Minuten stehengeblieben.
Den nächsten kompletten Marathon soll Deutschlands stärkster Langstreckler erst im August 2022 bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in München bestreiten, danach könnte der Marathon Frankfurt Ende Oktober zur Option werden, wo Kopp als Sportlicher Leiter das Elitefeld zusammenstellt. Eine EM-Medaille anzupeilen, ist nicht völlig abwegig, langfristig träumt Petros sogar vom Olympiasieg 2024 in Paris, weil solche Rennen traditionell taktisch geprägt sind. Dieses Jahr gewann Kenias Star Eliud Kipchoge in der Hitze Tokios nach 2:08:38 Stunden das Marathongold. Wo das Limit für Petros liegt, ist schwer vorherzusagen. »Bis zu anderthalb Minuten hätte er schon jetzt schneller sein können«, sagt Kirschbaum. »Ich will bei ihm gar keine Grenze mehr setzen. Ende offen!«
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