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Kein Harakiri mehr in Leipzig
RB siegt 2:1 gegen Manchester City und hat wohl einen passenden Trainer gefunden
Es sind turbulente Tage am Cottaweg, wo die RasenBallsportler im Leipziger Stadtteil Lindenau residieren. Der Klub, der seit 2012 auch mit Kontinuität und Kompetenz zu Erfolgen kam, hat nun innerhalb von nur vier Tagen Trainer Jesse Marsch entlassen, mit Interimscoach Achim Beierlorzer 2:1 gegen Manchester City in der Champions League gewonnen und am Mittwoch mit Domenico Tedesco einen neuen Chefcoach gefunden. Lediglich die offizielle Bestätigung stand bei Redaktionsschluss noch aus.
Jede Menge Rummel also - verursacht durch strategische Fehleinschätzungen im Frühjahr und Sommer, als RB Leipzig Julian Nagelsmann nach München ziehen ließ und mit Jesse Marsch einen Trainer holte, der mit seinem kompromisslosen Angriffsfußball nicht zur Mannschaft passte. Das untermauerte das Team nach dem Offenbarungseid beim 1:2 gegen Union Berlin am vergangenen Freitag in der Bundesliga nun sehr anschaulich gegen Man City. Die Leipziger streuten immer mal wieder ruhigere Phasen mit dem Ball am Fuß ein, »lockenden Ballbesitz« nannte Nagelsmann das, um das etwa eine Milliarde teure Starensemble von Trainer Pep Guardiola zum Pressing zu zwingen - und damit selbst größere Räume im Umschaltspiel nach vorn zu haben. Wie beim 2:0 durch André Silva: Ballgewinn Dominik Szoboszlai, Pass auf Emil Forsberg, der in den Strafraum stieß und auf den portugiesischen Stürmer ablegte.
Alle befragten Spieler betonten ebenso wie Interimstrainer Beierlorzer danach, wie wichtig diese Komponente für ihr Spiel sei, um Kontrolle und Stabilität zu erzeugen und eben nicht in hektischen Harakiri-Fußball mit langen Bällen zu verfallen, der die Spieler unter Marsch mürbe gemacht hatte. »Es ging immer hin und her, hin und her. Nie hatten wir mal eine ruhige Phase im Spiel«, sagte Mittelfeldorganisator Kevin Kampl über das Spiel unter Trainer Marsch und ergänzte: »Ballbesitzphasen sind wichtig, weil man sich da auch mal ausruhen und Luft schnappen kann für den nächsten Angriff.« Diesmal brachte RB auch die Gegner aus Manchester ins Laufen.
Ballbesitz - dieses Mittel stand offenbar bei dem zu dogmatischen Marsch komplett auf dem Index. Unter Beierlorzer, in der neuen 4-2-3-1-Grundordnung, stimmte gegen Manchester die Balance zwischen aufopferungsvollem Defensivspiel, Vorbereitungsphasen und torhungrigem Spiel im Angriff wieder. Zwar gab der bereits als Gruppenerster für das Achtelfinale qualifizierte und bis dato sieben Spiele ungeschlagene Tabellenführer der Premier League an diesem Abend nicht sein letztes Hemd, doch die Art und Weise, wie sich die Leipziger Mannschaft rehabilitierte, zeigte einen Weg, mit welcher Art Fußball RB künftig wieder erfolgreich sein kann.
Beierlorzer ließ denn auch durchblicken, dass er Ambitionen hat, weiterhin zum Trainerteam zu gehören. »Ich mache das sehr gerne«, sagte der Franke. Als jemand, der die Mannschaft auch aus den intensiven Debatten der vergangenen Tage nach der Trainerentlassung gut kennt, wäre das durchaus sinnvoll. Die Rolle als Übergangstrainer bis zum Saisonende haben die Verantwortlichen dem 54-Jährigen jedoch offenbar nicht zugetraut. Stattdessen fiel die Wahl nun auf Domenico Tedesco, dessen Stern einst bei Erzgebirge Aue aufging, der mit Schalke Zweiter wurde und dann abstürzte, bei Spartak Moskau ausgezeichnete Arbeit leistete und die Vizemeisterschaft holte, ehe er sich aus familiären Gründen entschied, den Job in Russland im vergangenen Sommer aufzugeben.
Tedesco soll nun an die Ära Nagelsmann anknüpfen, als hätte es die Marsch-Route nie gegeben. Der 36-Jährige bringt ähnlich viel taktische Flexibilität mit und gilt als ausgezeichneter mehrsprachiger Kommunikator. Alte Weggefährten schwärmen von ihm. »Domenico kann gut bezahlte Fußballer sehr gut führen. Er kann nett, aber auch streng sein«, sagte Aues Präsident Helge Leonhardt. Er werde RB eine »andere Richtung geben« und »niemals ausrechenbar« sein. Durch den Misserfolg auf Schalke sowie die Auslandserfahrung in Moskau sei er »reifer geworden«. Taktisch und menschlich könnte das also anders als bei Marsch gut zum Stil und den Qualitäten der Leipziger passen.
Allerdings besitzt Tedesco nicht die Autorität eines Rangnick oder die Ausnahmestellung eines Nagelsmann. Doch in der Situation, in die die Führungsriege um Oliver Mintzlaff den Verein manövriert hat, gehört er zu den besten der momentan möglichen Optionen. Es gibt auch noch andere Gründe für den Leipziger Leistungsabfall, aber mit der Entscheidung pro Tedeseco korrigieren die RB-Manager ihre Fehler, um den Bundesligaelften wieder in Richtung der Europapokalränge zu führen. Nun bedarf es noch eines starken Sportdirektors, der den Trainer Tedesco stützt und das Vakuum an Fußball-Sachverstand bei RB füllt.
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