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Mit Risiko aus der Langlauf-Krise
Die deutsche Langlaufspitze ging durch ein tiefes Tal, Athleten griffen für Lehrgänge sogar in die eigene Tasche. Jetzt steigt die Formkurve
Im malerischen Davos steht an diesem Wochenende der nächste Skilanglauf-Weltcup an. Der deutsche Teamchef Peter Schlickenrieder fährt jedoch nicht in die Schweiz, sondern lieber nach Seefeld. Dort will er beim Saisonauftakt der Nachwuchsathleten im Deutschlandpokal nach neuen Talenten suchen. »Ich will damit auch ein Signal senden, dass wir keine Skilangläuferin und keinen Skilangläufer verlieren dürfen. Jeder ist wichtig, damit es mal wieder einen Olympiasieger aus Deutschland gibt.«
Nach einer langen Durststrecke scheinen die Chancen dafür tatsächlich langsam wieder zu steigen. Gleich beim Weltcupauftakt hat es Vorzeigeläuferin Katharina Hennig im eisigen Finnland als Dritte aufs Podest geschafft. Aber Schlickenrieder will sich vom besten Saisonstart seit vielen Jahren - neben Hennig schafften auch Victoria Carl, Lucas Bögl und Jonas Dobler mit Top-15-Plätzen gleich im ersten Anlauf die Norm für die Olympischen Winterspiele in Peking - nicht blenden lassen.
»Katha ist erst eine ernsthafte Medaillenkandidatin bei einem Großereignis, wenn sie solche Topergebnisse mehrmals im Weltcup wiederholt«, fordert Schlickenrieder eine Bestätigung von Hennigs starker Frühform. Zu den Saisonhöhepunkten legen die besten Athletinnen aus Topnationen wie Norwegen schließlich oft noch eine große Schippe Leistungsfähigkeit drauf. So war es auch im Vorwinter, als Hennig zum Jahreswechsel ebenfalls einmal aufs Weltcuppodest gelaufen war, bei der Heim-WM in Oberstdorf aber nur ein zehnter Platz in ihrem Lieblingsrennen über 30 Kilometer heraussprang.
Bei den in knapp zwei Monaten beginnenden Winterspielen von Peking kommt das zusätzliche Problem dazu, dass die schweren Wettkampfloipen auch noch in der extremen Höhenlage auf 2000 Metern liegen. »Dort werden wir die sehr leichten Läuferinnen wie die Norwegerin Therese Johaug vorn sehen«, prognostiziert Schlickenrieder schon jetzt. Die 14-malige Weltmeisterin aus Norwegen war bei den vergangenen Olympischen Spielen vor vier Jahren in Südkorea noch wegen Dopings gesperrt.
Hennig gehört eher zur Kategorie der kräftigeren, dynamischen Läuferinnen. »Von der Ästhetik sagt jeder, dass so eine Weltmeisterin läuft. Aber nur für Schönheit gibt es keinen Preis«, sagt Schlickenrieder. Er glaubt, dass die Zeit für einen olympischen Medaillengewinn der mit 25 für eine Langläuferin noch sehr jungen Katharina Hennig erst bei den Winterspielen 2026 in Italien kommen könnte. Zum einen dürften ihr die Strecken im Val di Fiemme eher liegen, zum anderen dauert beim Skilanglauf nun einmal alles ein bisschen länger. Auch der Weg aus der Krise in einer Sportart, in der Deutschland zu Beginn dieses Jahrtausends noch über Jahre hinweg zu den dominanten Nationen gehörte.
Seit der letzten deutschen WM-Medaille sind inzwischen fast elf Jahre vergangen. Bei Olympia gab es zuletzt 2014 einen Podestplatz, als die Frauenstaffel in Sotschi Bronze gewann. Zum erfolgreichen Quartett gehörte damals Stefanie Böhler, die nach ihrem Rücktritt heute als Pressesprecherin dem Team hilft. Ebenfalls dabei war Denise Herrmann, die in Peking nun aber eine der größten deutschen Medaillenhoffnungen im Biathlon sein wird. Einige Skilanglauftalente sind in den letzten Jahren zum finanziell lukrativeren Fernsehsport abgewandert, und es finden immer weniger Kinder und Jugendliche den direkten Weg in die Loipe.
Dieser Trend wird sich künftig eher verstärken. Zum einen durch den gesellschaftlichen Wandel weg von körperlicher Bewegung. Immer weniger junge Menschen sind in einer satten Gesellschaft bereit, die Strapazen eines Ausdauersports wie Skilanglauf auf sich zu nehmen. Zum anderen wird das Training durch den Klimawandel komplizierter, weil vor immer weniger Haustüren Schnee liegt. Als dritter Faktor kommt die Corona-Pandemie hinzu, die die Talententwicklung zusätzlich massiv erschwert.
In derart schwierigen Zeiten braucht es besondere Wege zum Erfolg. Das Kommunikationstalent Peter Schlickenrieder, der 2002 selbst in der damals neuen Disziplin Sprint Olympiasilber gewann, glaubt an die Kraft des Individuums in einem starken Team. An die Entwicklung mündiger Sportlerpersönlichkeiten: »Nur wenn wir die Persönlichkeit zur Entfaltung bringen, werden wir das Optimum an Leistung herausholen.« Daran arbeitet er seit seinem Amtsantritt 2018 und sieht sich auf dem Weg schon ein gutes Stück vorangekommen.
»Nach drei Jahren nehmen die Athleten das Zepter immer mehr selbst in die Hand«, sagt der Chefcoach. Dazu gehört, dass es für alle Sportler individualisierte Programme gibt, und nach einer Analyse mit den Athleten auch neue Wege gegangen werden. Zum Beispiel reiste das Team nach dem üblichen Trainingslager vor Saisonbeginn im hohen Norden diesmal für eine Woche zurück in die Heimat. Um dann zurück zum Weltcupauftakt ins finnische Ruka zu fliegen. Das kostete zwar Extrageld, aber das Team war frischer im Kopf und lieferte einen »unerwartet guten Saisonstart« (Schlickenrieder) ab.
Solche Maßnahmen erzeugen natürlich Kosten. Für den Deutschen Skiverband (DSV) entstehen unter dem Strich aber keine Zusatzaufwände. »Im Sommer haben Athletinnen und Athleten dafür zum Beispiel Reisekosten und Verpflegung für Ferienwohnungen in Trainingslagern bezahlt. Sie gehen ins Risiko - auch finanziell«, berichtet Schlickenrieder. Er will niemanden im Team, der seinen »Job nur nach Vorschrift ausübt«.
Zu seinen neuen Ideen gehört auch ein komplett offenes Auf- und Abstiegssystem. Beim Weltcup in Davos feiert zum Beispiel der 33 Jahre alte Andreas Katz sein Weltcup-Comeback. Er gehört schon seit längerer Zeit nicht mehr zum Nationalmannschaftskader, hat sich aber mit einer starken Leistung im Alpencup seine Chance erarbeitet - auch für eine Olympiaqualifikation. »Mir ist egal, wie alt oder jung jemand ist. Mir ist egal, ob er jemals zur Nationalmannschaft gehört hat oder nicht. Bei uns ist jeder willkommen, der da draußen leistungswillig und leistungsfähig ist«, so Schlickenrieder.
Theoretisch könnte also auch ein Hobbyläufer noch den Sprung zu Olympia schaffen. So gesehen könnte der Deutschlandpokal sogar spannender werden als der Weltcup in den Schweizer Alpen.
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