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Widerstand wirkt

Fahrer von Lieferdiensten haben sich zahlreiche Verbesserungen erkämpft. Die Gewerkschaften haben dabei kaum eine Rolle gespielt

  • Maximilian Henning
  • Lesedauer: 5 Min.

Die letzten zehn Jahre haben weltweit einige Unternehmen groß gemacht, sehr groß sogar. Wer sich heute in einer Großstadt in Deutschland, Polen oder Südafrika von A nach B fahren lassen will, hat neben traditionellen Taxis die Wahl zwischen den Apps internationaler Unternehmen, darunter Bolt, letztes Jahr 221 Millionen Euro Umsatz, Yandex.Taxi, 817 Millionen, oder Uber mit 9,9 Milliarden Euro. Andere Apps vermitteln Reinigungskräfte, liefern Essen oder den Supermarkteinkauf nach Hause. Viele davon sind nicht nur mit Versprechen an ihre Kund*innen groß geworden - schneller und günstiger Service - sondern auch an die Beschäftigten: Die Regelung von Arbeit durch Apps wäre eine Gelegenheit, der eigene Chef zu sein, die eigenen Arbeitszeiten selbst festzulegen. Dahinter stand der beliebte Trick, die Beschäftigten nicht fest anzustellen, sondern mit ihnen als Selbstständige zusammenzuarbeiten. Das sollte dem Unternehmen kosten sparen.

Lieferando: Fahrer*innen sind regulär angestellt

Doch schaut man sich den deutschen Markt für Lieferplattformen im Jahr 2021 an, so hat sich einiges verändert. Es gibt zwar noch Unternehmen, die mit Liefer-»Partner*innen« zusammenarbeiten. Doch den bei weitem größten Marktanteil hat Lieferando. Dessen orangefarbene Fahrer*innen sind regulär angestellt, haben einen Gesamt- und einige lokale Betriebsräte, sie bekommen Fahrräder und Handys für die Arbeit gestellt und seit August sind ihre Arbeitsverträge nicht mehr befristet. Diese Änderungen bekamen die Beschäftigten nicht geschenkt. Das Unternehmen legte den 10 000 Fahrer*innen bei der Gründung der Betriebsräte einige Steine in den Weg, ein Gerichtsverfahren um Fahrräder und Handys ging bis vor das Bundesarbeitsgericht und das Ende der Befristung neuer Arbeitsverträge gab das Unternehmen im Vorfeld einer groß angekündigten Protestaktion bekannt.

Die Fahrer*innen haben sich diese Verbesserungen also selbst erkämpft. Gleichzeitig wirbt Lieferando in letzter Zeit sogar mit seinen stabilen Arbeitsverträgen und Betriebsräten. Denn zwischen den Lieferunternehmen ist ein Wettbewerb um Arbeitskräfte entbrannt.

Streiks bei Gorillas

In diesem Wettbewerb hat ein deutsches Unternehmen im vergangenen Jahr nicht geglänzt: Gorillas, erst 2020 in Berlin neu gegründet, liefert innerhalb von zehn Minuten Supermarktprodukte nach Hause. Los ging es mit den Problemen im Juni, als das Unternehmen einen Fahrer fristlos entließ. Begründung: »Fälle groben Fehlverhaltens«. Der Fahrer sagte gegenüber der »taz«, ihm seien keine Gründe für seine Kündigung mitgeteilt worden. Als Reaktion streikten Dutzende Fahrer*innen vor einem Lager in Berlin, forderten die Wiedereinstellung des entlassenen Fahrers, die Abschaffung der Probezeit und künftig drei Verwarnungen vor Entlassungen.

Diese Streiks liefen über Monate. Immer zahlreicher wurden die Beschwerden: zu wenig Pausen zwischen Schichten, schlecht gewartete und damit gefährliche Fahrräder, zu schwere Lasten und Verspätungen bei Lohnauszahlungen. Diese Streiks waren nach deutschem Arbeitsrecht »wild«, weil nur eine Gewerkschaft zum Streik aufrufen darf. Wenn einzelne Mitarbeiter*innen ihre Arbeit niederlegen, dürfen sie dafür entlassen werden. Der Gorillas-Chef Kağan Sümer hatte im Juli versprochen, das würde er niemals tun. Dennoch kündigte das Unternehmen im Oktober 350 offenbar Fahrer*innen.

Im November gründeten die Gorillas-Fahrer*innen dann einen Betriebsrat. Die Gründung landete vor Gericht, weil das Unternehmen im Oktober seinen Betrieb umstrukturiert hatte: Die Mitarbeiter*innen in Lagern und auf Fahrrädern wurden ausgegliedert. Damit sei nicht mehr klar, für wen der Betriebsrat zuständig sein sollte, so die Argumentation des Gorillas-Managements. Aus Sicht des Wahlvorstands handelte es sich dabei um einen Schritt gegen die Durchführung der Betriebsratswahl. Das Landesarbeitsgericht Berlin sah keinen Anlass, die Wahlen zu stoppen. »Das ist ein gewaltiger Sieg für die Arbeiter*innen von Gorillas, und ein wichtiger Schritt für die Priorisierung von Arbeitnehmer*innenrechten«, so Oğuz Alyanak zu nd.Die Woche. Er ist Forscher an der TU Berlin und untersucht für das Fairwork-Projekt der Universität Oxford Plattformarbeit in Deutschland. »Einen Betriebsrat zu gründen war keine einfache Aufgabe, aber das wird viel bewirken, indem den Arbeiter*innen die nötigen Mechanismen gegeben werden, um ihrer gemeinsamen Stimme Ausdruck zu verleihen, und um an Entscheidungen oder Unternehmensrichtlinien Teil zu haben, die sie betreffen.«

Etablierte Gewerkschaften spielen keine große Rolle

Sowohl bei Lieferando als auch bei Gorillas haben die Arbeiter*innen ihre Unzufriedenheit auf verschiedene Weise geäußert: durch Demonstrationen, Klagen, Streiks und Betriebsratswahlen. Wer dabei aber eine auffällig kleine Rolle spielt, sind etablierte Gewerkschaften. NGG und Verdi äußern sich zwar zu den Konflikten, aber nur wenige der Fahrer*innen sind Mitglieder. Der Einfluss der Gewerkschaften ist anscheinend gering.

Diese Einschätzung teilt auch Fabian Ferrari, Doktorand an der Universität Oxford und Kollege von Alyanak beim Fairwork-Projekt: »Etablierte Gewerkschaften sollten mehr tun, um die Organisierung von Arbeiter*innen in der Plattformwirtschaft zu unterstützen«, sagt er. Es wäre ein gewaltiger Fehler, wenn die sie nicht die strategische Bedeutung einer massiven Erhöhung der Zahl von Gewerkschaftsmitgliedern in der Plattformwirtschaft sähen. »Die Plattformen werden nicht verschwinden«, so Ferrari. Rund um die Welt seien die meisten Streiks in der Plattformwirtschaft nicht von etablierten Gewerkschaften eingeleitet oder zumindest unterstützt worden.

Ferrari betont auch die große Rolle, die Migrant*innen bei Plattformunternehmen spielen. Deren kollektive Aktionen seien oft wilde Streiks gewesen, unterstützt von kleineren Gewerkschaften. »Es muss eine bessere Vertretung von migrantischen Gig-Arbeiter*innen in etablierten Gewerkschaften geben«, fordert der Forscher deshalb, »und es gibt ermutigende Beispiele in Nicht-Plattform-Sektoren, wie das zu erreichen wäre - zum Beispiel das Projekt Faire Mobilität der IG Metall.«

»Wir werden orchestrierte Unterwanderungen sehen«

Nicht nur die Zusammensetzung der Arbeiter*innen, auch die Methoden würden sich verändern. Die Widerstandsmethoden des 20. Jahrhunderts zu kopieren, wäre nicht genug. »Wir werden stattdessen mehr gemeinsame Abmeldungen und orchestrierte Unterwanderungen und Manipulierungen von Plattformen sehen«, so Ferrari. »All diese Dinge brauchen ein tiefes Verständnis der technischen Dimension von Arbeitskontrolle und Ressourcenverteilung, und deshalb ist Solidarität zwischen Gig- und Technologiearbeiter*innen so wichtig.«

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