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Den Judenhassern ein Denkmal gesetzt
Hunderte Straßen und Plätze in Berlin tragen die Namen von Antisemiten
Die Oskarstraße und die Roedernstraße in Lichtenberg, die Anzengruberstraße und der Reuterplatz in Neukölln. Die drei Fichtestraßen in Kreuzberg, Bohnsdorf und Hermsdorf. Sie alle haben eine Gemeinsamkeit, die vielen Menschen in der Hauptstadt, zumal vielen, die diese Orte als Wohnadresse in ihren Ausweisen zu stehen haben, nicht bekannt sein dürfte: Sie würdigen historische Personen, denen nachweislich Antisemitismus sowohl in Schriften und mündlichen Äußerungen als auch in politischen Handlungen vorzuwerfen ist.
Es sind beileibe nicht nur fünf oder sechs. Es sind 290 Berliner Straßen und Plätze. »Diese Fülle hat mich erstaunt«, sagt der junge Politikwissenschaftler Felix Sassmannshausen aus Leipzig. Das Dossier, das er im Auftrag des Ansprechpartners des Landes Berlin zu Antisemitismus, Samuel Salzborn, innerhalb von sechs Monaten erstellt hat, ist ein historisches Lehrstück. Am Montag im Zuge einer Veranstaltung der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung vorgestellt, zeigt es, dass es zur Frage des Umgangs mit antijüdischen Ressentiments und Hass in der Hauptstadt, die eine hohe Zahl antisemitischer Gewalttaten zu verzeichnen hat, noch eine ganz andere Dimension gibt.
Es gehe bei Straßen, die die Namen von historischen Persönlichkeiten tragen, um »mehr als die Adressen, an denen wir leben«, erklärt dazu Sassmanshausen, der auch als Journalist arbeitet, zum Hintergrund seiner Studie. »Es geht um die politische Kultur zum Zeitpunkt der Namensgebung.« Man könne an den Bezeichnungen vielmehr sehen: »Wer hat aus Sicht derer, die die Straßen und Plätze benannt haben, Geschichte gemacht und an wen will man anknüpfen«, so der Politikwissenschaftler weiter. Die Aufarbeitung dieser Frage sollte deutlich mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit erhalten, denn, wie auch seine Recherche gezeigt habe, variiere der Wissensstand stark. Vieles sei noch gar nicht erforscht.
Daher gibt der Wissenschaftler in seinem Dossier für jeden der 290 Orte Empfehlungen, wie man mit den bisherigen Erkenntnissen zum jetzigen Zeitpunkt verfahren könnte: Für die meisten Straßen und Plätze wäre eine »digitale Kontextualisierung« ein erster gangbarer Schritt. Das kann heißen, dass zum Beispiel im Straßenverzeichnis Kauperts oder in einschlägiger touristischer Lektüre Hinweise beigefügt werden, um wen es sich bei den Namensgeber*innen handelt. Begleitend könnten vor Ort Tafeln oder andere Informationsträger wie Stelen aufgestellt oder angebracht werden.
Unter anderem für die drei Berliner Arndtstraßen in Kreuzberg, Adlershof und Mahlsdorf lautet die Handlungsempfehlung allerdings schlicht: Umbenennung. Diese erklärt sich mit dem hinlänglich bekanntem Judenhass von Ernst Moritz Arndt, der als »Freiheitskämpfer« gilt. Mit seinem literarischen Schaffen wurde er zugleich ein Wegbereiter des deutschtümelnden Nationalismus, der keine 100 Jahre nach seiner Zeit im Vernichtungsantisemitismus der Nationalsozialisten gipfelte. Dass eine Umbenennung möglich ist, wurde unlängst in Mecklenburg-Vorpommern bewiesen und die ehemalige Ernst-Moritz-Arndt-Universität wieder schlicht in Universität Greifswald zurückbenannt - so wie sie bis zum Jahr 1933, als ihr der Name verpasst wurde, jahrhundertelang hieß. Vorausgegangen waren lange und hitzige Debatten, die in der Institution selbst geführt worden waren. In Leipzig hingegen ist eine Initiative von Anwohner*innen zur Umbenennung der Arndtstraße gescheitert.
»Ein neuer Straßenname macht nicht die Geschichte unsichtbar, sondern zeugt davon, dass wir uns der Geschichte bewusst sind. Dann können wir auch eine bewusste Entscheidung treffen, welchen Menschen und Ideen wir auf dem Weg durch unsere Stadt begegnen möchten«, erklärt auch die Leiterin der Gedenkstätte, Haus der Wannseekonferenz, Deborah Hartmann, zu Umbenennungen als möglichem Mittel einer Auseinandersetzung mit Antisemitismus im Alltag.
»Wir machen uns stark für die Benennung von Schulen nach Anne Frank und Sophie Scholl, aber für die Straßen, in denen wir wohnen, erscheint es uns zu anstrengend«, sagt die Historikerin, die bis vor zwei Jahren die internationale, pädagogische Abteilung der Shoah-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel geleitet hat. Sie frage sich, warum auch Nicht-Anwohner*innen sich zum Beispiel für eine Beibehaltung des Namens der Steglitzer Treitschkestraße aussprächen. Und warum die dort Ansässigen sich allein mit dem Verweis auf die damit verbundenen Umstände einer Adressänderung bei Versandhäusern und Banken dagegen wandten, dem Zitatgeber des Ausspruchs »Die Juden sind unser Unglück« die »hohe Ehre« der Namensgabe zu entziehen?
Diese Frage kann sich so oder ähnlich sicherlich jede*r Berliner*in stellen.
In Berlin sind für Umbenennungsinitiativen die Bezirke zuständig, erinnert Samuel Salzborn. Für ihn sei mit dem Dossier eine Grundlage für »eine konstruktive, sicher sehr kontroverse Diskussion« geschaffen. Was daraus werde, läge auch in den Händen zivilgesellschaftlicher Akteure. »Straßennamen sind nicht einfach etwas Historisches, was da ist, sie stehen in aktivem Bezug zu gegenwärtiger Gesellschaft und Demokratieverständnis«, so der Antisemitismusexperte.
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