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Adventskalender mal andersherum

Lebensmittel und Hygieneartikel: In Australien werden Adventskalender für Bedürftige gepackt

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 4 Min.
In den sogenannten Reverse Advent Calendar kommt jeden Tag ein Geschenk für Familien in Not.
In den sogenannten Reverse Advent Calendar kommt jeden Tag ein Geschenk für Familien in Not.

Das Konzept ist eigentlich simpel: Anstatt jeden Tag eine Schokolade oder ein kleines Geschenk aus dem Adventskalender zu nehmen, um so die Vorfreude auf Weihnachten zu genießen, hat Heather Luttrell dies auf den Kopf gestellt. In ihren Kalender – den sogenannten »Reverse Advent Calendar« – kommt jeden Tag ein Geschenk hinein.

Die Idee kam der Australierin 2012 beim Stöbern im Internet. Dabei sei sie auf ein ähnliches Konzept gestoßen. »Ich suchte damals nach Weihnachtstraditionen, die ich mit meiner Familie machen konnte«, berichtete sie in einem Zoom-Call. »Damals waren meine Kinder noch kleiner und ich wollte den Fokus davon wegnehmen, dass sie etwas bekommen und sie lieber dazu bringen, etwas zu geben.«

Sie nahm also eine leere Schachtel und ließ ihre Kinder von Anfang Dezember an jeden Tag ein neues Geschenk dort einpacken. Eingepackt wurden vor allem Lebensmittel, die nicht schnell verderben wie Müsli, Saft oder Dosen. Außerdem kaufte die Australierin Hygieneartikel wie Shampoo, Zahnpasta, Zahnbürsten oder Seife. Möglich sind aber auch kleinere Geschenke oder Weihnachtsdekoration. »Alles, was einer Familie, der es gerade nicht so gut geht und die Probleme hat, in ihrem täglichen Leben helfen kann«, meinte sie.

Was mit Heather Luttrells Familie anfing, wuchs von Jahr zu Jahr: »Erst war es nur meine Familie, aber dann kamen Leute zu Besuch und wir unterhielten uns mit ihnen darüber und viele sagten dann: ›Das sollten wir auch tun.‹« Im ersten Jahr, in dem sie die Idee auf Facebook postete, kamen bereits 70 gefüllte Adventskalender zusammen. Luttrell wollte es ihren Freunden leicht machen und kreierte letztendlich mit Hilfe eines befreundeten Designers eine Schachtel, die die Leute mit Geschenken für bedürftige Familien und andere Gemeindemitglieder füllen konnten. »Merry Christmas« oder übersetzt »Frohe Weihnachten« steht auf dem Karton sowie der Aufdruck: »Eine Zeit, um zu geben, zu helfen, zu teilen, zu sorgen, etwas anzubieten und zu feiern.«

»Im nächsten Jahr dachte ich, wir bestellen mal 500 Kartons und lagern den Rest ein«, sagte Luttrell. Sie hoffte auf 200 fertige Kalender, aber dann kamen nur in ihrem Heimatort Ballarat, einer Kleinstadt knapp 120 Kilometer westlich von Melbourne, 1500 gefüllte Boxen zusammen. »Das war unglaublich«, sagte sie. »Ich bestellte mehr und mehr Kartons.« Von dem Moment an verbreitete sich die Idee wie ein Lauffeuer: »2020, im Jahr der Pandemie, ist es dann für die Leute einfach gewesen zu entscheiden, dass sie das in diesem Jahr nicht machen können«, sagte die Australierin. Doch genau das Gegenteil sei passiert. »Die Leute waren in dem Jahr noch mal großzügiger als sonst und ich glaube, es lag daran, dass jeder, der gut durch dieses Jahr kam, dachte, ›ich möchte etwas für andere Menschen tun und ihnen helfen.‹« Letztendlich kamen im vergangenen Jahr 3000 gefüllte Adventskalender zusammen und die Idee wurde auch in anderen australischen Bundesstaaten mit Begeisterung aufgenommen.

In diesem Jahr kletterte die Zahl erneut und so werden noch vor dem Fest 4000 gefüllte Pakete an bedürftige Menschen ausgegeben. In einer Zeit, die für die meisten mit Terminen, Feierlichkeiten, Vorbereitungen aufs Fest und Geschenke kaufen gefüllt ist, hat Luttrell, die Grundschullehrerin ist und Teilzeit arbeitet, noch mehr zu tun als jeder andere. Trotzdem genießt sie die Wochen vor Weihnachten in vollen Zügen. »Ich ziehe so viel Freude daraus, dass es mir nichts ausmacht, wie viel Zeit es in Anspruch nimmt«, sagte sie. Das Verteilen der »Reverse Advent Calendars« übernehmen dann aber verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen.

Jedes Jahr hören die Organisatoren von herzerweichenden Geschichten. »Ein Jahr war eine Frau darunter, die zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder ihre erwachsenen Kinder zum Weihnachtsessen eingeladen hatte«, sagte Heather Luttrell. Die Frau habe jedoch nicht ausreichend Geld gehabt, um Essen einzukaufen. »Es war ihr so peinlich, dass sie ihnen kein gutes Essen vorsetzen konnte.« Die Organisatoren wussten sich jedoch zu helfen: Sie suchten aus verschiedenen Adventskalendern Lebensmittel, Servietten und Weihnachtsschmuck zusammen, so dass die Frau ihren Kindern ein echtes Weihnachtsmahl servieren konnte. Einer weiteren Frau half das Paket so sehr, dass sie Geld über hatte, um ihren Kindern Geschenke unter den Weihnachtsbaum zu legen. Einem Mann – einem Veteranen, der beide Beine verloren hatte – konnten die Helfer durch die Boxen die vollkommen leere Vorratskammer füllen.

Obwohl das rohstoffreiche Australien ein wohlhabendes Land ist, ist das Thema Armut hier ebenso präsent wie in anderen Industrienationen. Im Jahr 2020 ergab eine Untersuchung des Australian Council of Social Services, dass drei Millionen Menschen in Australien in Armut leben, darunter über 730.000 Kinder. Insgesamt leben rund 25 Millionen Menschen in Australien. In Deutschland ist die Situation noch schwerwiegender: Hier waren 2018 bereits 18,7 Prozent von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen, ein Prozentsatz, der sich in der Pandemie nochmals verschlechtert haben könnte.

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