Von der Rolle

Papier, Chips, Baumaterial: Corona lässt die Lieferketten reißen – und die Preise steigen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 6 Min.

Im Sommer erregten einige Lokalblätter bundesweite Aufmerksamkeit, weil sie ihren Umfang verringern mussten. Die Verlage reagierten damit auf die Knappheit von Papier. Im Herbst dann sorgte der Papiermangel auch bei auflagenstärkeren Medien für dünnere Druckauflagen. Und wo eine Ware knapp ist – oder wie bei Energierohstoffen von den Produzenten verknappt wird – steigt der Preis. Das bekommt auch das »nd« zu spüren.
»Papier ist eben weit mehr als Klopapier«, schreibt das in Köln ansässige Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in seinem Branchenporträt. Insgesamt fertigen Papierhersteller rund um den Globus mittlerweile mehr als 3000 Varianten von Papier, Karton und Pappe. Spezialpapiere werden im Autobau eingesetzt, in der Medizin und bei der Weinherstellung. Die deutsche Industrie spielt mit ihren 40 000 Mitarbeitern und 13 Milliarden Euro Jahresumsatz ganz vorne mit und erreichte 2019 (neuere Zahlen liegen nicht vor) in der Papierproduktion Rang vier, hinter China, USA und Japan.

Grundsätzlich zeichnet Papier aus, dass es gut zu recyceln ist. Tageszeitungen wie das »nd« werden bis zu 100 Prozent auf Altpapier gedruckt. Deshalb ist es für die Industrie zentral, wie viel Altpapier gesammelt werden kann. Im Ergebnis sind die vier größten Produzenten auch jene Länder, welche das meiste Altpapier einsammeln.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Die Kette ist ein Fließband

Freilich unterscheiden sich die Quoten. China sammelte mit fast 60 Millionen Tonnen rund 55 Prozent des Gewichts seiner Neuproduktion als Altpapier wieder ein. Die USA und Deutschland kommen jeweils auf etwa zehn Prozentpunkte mehr, während »Weltmeister« Japan sogar drei Viertel der eigenen Papierproduktion aus Altpapier recycelt. Tatsächlich nutzt die hiesige Industrie sogar mehr Altpapier, als ihr aus Deutschland zur Verfügung steht – ein Teil wird aus dem Ausland eingeführt. Im Ergebnis kommt Deutschland damit auf eine Recyclingquote von rund 80 Prozent.

Hier kommt die internationale »Lieferkette« ins Spiel, die man sich übrigens besser als weltweit verzweigtes Fließband vorstellen sollte. »Wegen der hohen Recyclingquote ist die Lage alles andere als entspannt«, analysieren die IW-Forscher. Die Pandemie hat den Markt gehörig durcheinandergewirbelt. So brach die Nachfrage nach Druckpapier für Kopierer im Büro ein – gleichzeitig stieg der Bedarf an Versandverpackungen rapide an.
Auf der Angebotsseite waren und sind Produktionsprozesse und Lieferketten seit einiger Zeit gestört. Hinzu kommt, dass einige Papierhersteller während der Coronapandemie kurzerhand die Produktion umgestellt haben: Sie produzieren statt Papier lieber lukrativere Kartons. Der durch die Lockdown-Maßnahmen exzessiv gesteigerte Versandhandel ist ein dankbarer Abnehmer. Als Folge gingen die Preise für viele Produkte durch die Decke. Das setzt sich fort: Diese Woche hat der große Hersteller von Hygienepapier, die schwedische Essity, neue bundesweite Preiserhöhungen von 20 Prozent für Januar angekündigt.

Deutlich stärker verteuert hat sich Altpapier. So haben sich die Großhandelspreise gegenüber dem Vorjahr um sagenhafte 222,4 Prozent mehr als verdreifacht, meldete im Dezember das Statistische Bundesamt (Destatis). Auch die Statistiker führen dies auf Lieferengpässe und die Folgen der Coronakrise zurück. Gerade für Druckereien, Verlage und Zeitungen, denen ohnehin schon die Digitalisierung zu schaffen macht, sind das keine guten Nachrichten.

Die Lieferketten sind jedoch auch in anderen Branchen gerissen. So spürte der Autobauer Daimler wie viele Konzerne die Chipkrise. Er legte zeitweise Fließbänder still, und erst dieser Tage wurde das Werk in Ungarn für einen Monat in die Weihnachtsferien verabschiedet. Daimler konnte darum deutlich weniger Autos und Lkw verkaufen. Da gleichzeitig jedoch die Preise der verkauften Autos stiegen, blieb der Umsatz nahezu stabil – und beim Gewinn konnten die Stuttgarter sogar deutlich zulegen. Der Vorstand hatte auf den Mangel reagiert, indem er die Produktion preiswerterer Autos herunterfuhr, um die vorhandenen Chips in teure, großvolumige Wagen einbauen zu lassen.

Dabei hatte ausgerechnet die Autoindustrie den Mangel, den sie nun lautstark beklagt, maßgeblich verschuldet, so die Sicht von Bankanalysten und der Chip-Industrie in Asien. Wie andere Branchen in Deutschland wurden nach Ausbruch der Coronapandemie die Bestellungen von Vorprodukten schnell heruntergefahren. Doch in der Vergangenheit hatte die Industrie weltweit ihre Lager abgebaut, um Kosten zu senken und »Just-in-Time« zu produzieren. Im Ergebnis leben viele Industrien von der Hand in den Mund. Und das rächt sich: Als nach dem Corona-Tief das Hoch kam, war die weltweite Nachfrage nach Chips und anderen Bauteilen weit größer als es die voll ausgelasteten Produktionskapazitäten hergaben.

Hamstern verstärkt Engpässe

Dieses Dilemma zeigt sich entlang der ganzen Lieferkette. So produzieren Chip-Hersteller zwar in Reinräumen, aber nicht in luftleerem Umfeld. Auch sie greifen jeweils auf Tausende Zulieferer und ihre Produkte zurück, etwa auf Industriemetalle wie Magnesium, das zu 90 Prozent in China produziert wird. Der Wirtschaftsverband Metalle warnt jetzt vor einem weiteren globalen Lieferengpass.

Dieser anhaltende Nachholeffekt ist der Grund, warum Ökonomen wie Wirtschaftsverbände erwarten, dass Lieferengpässe noch das erste Halbjahr 2022 belasten werden. Darauf gut vorbereitet sind die Elektronikketten Media Markt und Saturn. Das Management hat den Einzelhandelskonzern verstärkt auf Onlinehandel konzentriert, ist aber selbst in den Filialen gut durch das Weihnachtsgeschäft gerauscht. Der Grund: größere Lagerhaltung. Der Mutterkonzern Ceconomy hat den Sommer genutzt, um die Lager zu füllen und tut dies, wo möglich, weiterhin.

Dass international die Lieferzeiten nach wie vor ungewöhnlich lang sind, führt Commerzbank-Analyst Christoph Weil auch darauf zurück, dass viele Unternehmen derzeit ihre Lager an Vorprodukten wieder auffüllen, »was die Nachfrage nach Vorprodukten hochhält«, und damit die Preise treibt.

Was nicht überall der Fall ist. In Japan liegt die Teuerungsrate nur bei 0,1 Prozent. Dafür werden drei Gründe genannt. Der Inselstaat hat sich weniger abhängig von asiatischen Zulieferern gemacht, und Konzerne wie Toyota arbeiten traditionell mit höheren Lagerbeständen und mit strategischen, langfristigen Lieferverträgen.

Von einem Trend ihrer Kundschaft, Ware zu hamstern, berichten derweil in Deutschland die Großhändler. Die versuchen wiederum selber, ihre Lagerbestände aufzubauen – was die Lieferketten zusätzlich beanprucht. Es fehle an Elektronikteilen und Stahl, berichtet der Groß- und Außenhandelsverband BGA, an chemischen Stoffen, Verpackungen und an Baumaterial.

Dem Wetter ausgeliefert - Trockenheit, Stürme, extreme Hitze und Kälte - der Klimawandel beeinträchtigt die globale Wirtschaft

Zu den großen Aufregern gehörte Anfang des Jahres noch das Thema Bauholz. Es wurde hierzulande knapp und die Preise stiegen um 200 Prozent, auch aufgrund ungewöhnlich hoher Nachfrage aus den USA und China. Inzwischen haben sich Angebot und Nachfrage wieder eingespielt. »Jetzt müssen wir ›nur‹ 50 bis 80 Prozent mehr als vor dem Boom zahlen«, berichtet Toralf Köhn vom Holzmarkt Köhn in Wandlitz-Klosterfelde dem »nd«. Ingenieur Köhn spürt freilich, dass Hölzer wieder knapper werden. Für Januar hätten seine Lieferanten eine weitere Erhöhung der Preise angekündigt. Dabei falle auf, dass die Qualität zu wünschen übrig lasse, während hochwertige Holzverarbeitungen in die Vereinigten Staaten verschifft würden.

Das lohnt sich offenbar, trotz der hohen Transitkosten, über die auch die Papierindustrie klagt. »Die enorme Kapazitätsverknappung im Containerverkehr führt derzeit zu Frachtraten, die es so nie zuvor gegeben hat«, freut sich der Vorsitzende des Vereins Bremer Spediteure, Oliver Oestreich, kurz vor Weihnachten über die schöne Bescherung für die Logistikwirtschaft. Die Spediteure schauen denn auch zuversichtlich auf das neue Jahr.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -