- Politik
- Simon-Wiesenthal-Center
Antisemiten und Absurditäten
Die neue Liste des Simon-Wiesenthal-Centers verdeutlicht die rechtszionistische Position der Organisation
Das 1977 gegründete Simon-Wiesenthal-Center (SWC) trägt einen großen Namen. Der österreichische Namensstifter und Holocaust-Überlebende hat sich als Rechercheur jener einen Namen gemacht, die die Vernichtung der europäischen Juden planten und ausführten. Mit der in Los Angeles ansässigen Nichtregierungsorganisation, die seinen Namen trägt, gestaltete sich das Verhältnis zum Namensgeber allerdings nie leicht. Wiesenthal fühlte sich oft übergangen, er selbst spielte in dem Center, das stets mit anderen öffentlichen und privaten Einrichtungen in engster Kommunikation steht, keine Rolle. Dass das Wiesenthal-Center je nach politischer Konjunktur beste Kontakte zu US-Regierungen, aber auch zur israelischen Regierung pflegt, ist kein Geheimnis.
Seit 2010 veröffentlicht das SWC die »Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs«, eine jährliche Top-Ten-Liste von Zitaten und angeblichen Handlungen, bei denen es sich nach Auffassung des SWC um Antisemitismus handelt, der sich zudem durch eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz auszeichne und damit nach Ansicht des SWC »den Weltfrieden bedroht«. Antisemitisch und antiisraelisch ist dem Center dabei ein Synonym.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Der stellvertretende Direktor des SWC, Rabbi Abraham Cooper, erklärte in der Vergangenheit, die Liste wolle »zur Diskussion anregen« und folge der Definition von Nathan Sharansky, dem Vorsitzenden der israelischen Einwanderungsorganisation, welcher Dämonisierung und Delegitimierung Israels und moralische Doppelstandards als Zeichen von Antisemitismus in der Israel-Kritik werte. In der Antisemitismustheorie ist dieser Definitionsversuch mehr als umstritten. In der Praxis sorgt er für politische Instrumentalisierung. Bereits 2005 musste die Jüdische Gemeinde Venezuelas den damals amtierenden Präsidenten Hugo Chavez gegen Anschuldigungen des Centers, die auf sinnentstellenden Zitaten beruhen würden, in Schutz nehmen.
Neben tatsächlichen und unbestreitbaren Antisemiten finden sich von Anfang an Personen und Organisationen auf den Listen, die dem SWC politisch schlicht nicht zu passen scheinen, weil sie die Besatzungspolitik Israels scharf kritisieren oder in diesem Konflikt eine Position einnehmen, die das SWC als antiisraelisch wertet. So landete 2018 die Bank für Sozialwirtschaft auf Platz 7 der Liste, weil sie das Konto des Vereins Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost fortführte, der die gegen Israel gerichtete Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) unterstützt. Letztes Jahr wurde sogar eine sogenannte »deutsche Kulturelite« als antisemitisch ausgewiesen, die aus Goethe-Institut, Kulturstiftung des Bundes, den Berliner Festspielen, dem Deutschen Theater, dem Einstein Forum und dem Humboldt Forum bestehe, weil diese die Entschließung des Deutschen Bundestages, der BDS-Bewegung »finanzielle Unterstützung und die Vergabe von kommunalen Räumen« zu verweigern, als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit kritisiert hatten.
Auf der aktuellen Liste des SWC stehen nun neben dem Iran (Platz 1) und der Hamas (Platz 2) die Rundfunkanstalt BBC und der Konzern Unilever, weil dessen Tochtergesellschaft Ben & Jerry’s angekündigt hatte, nach Auslaufen von Verträgen Eiscreme nicht weiter in jüdischen Siedlungen im Westjordanland zu verkaufen, das von Israel besetzt ist.
Auf Platz 5 sind diesmal die Jewish Voices for Peace selbst gelistet, eine Gruppe, die relativ medienwirksam während des letzten Schlagabtauschs zwischen Israel und der Hamas im Gaza-Streifen für ein Ende der israelischen Attacken agitierte und darauf hingewiesen hatte, dass Israel nicht für alle Juden auf der Welt spreche und agiere. Dass die Gruppe damit der rechtszionistischen Position des SWC ein Dorn im Auge ist, ist offensichtlich.
Weniger nachvollziehbar ist, dass auf Platz 7 dieses Mal ganz Deutschland steht, dessen Parteien sich doch von AfD bis Die Linke gegen die BDS-Initiative ausgesprochen hatten. Die Listung von ganz »Germany« erfolgt unter prominentem Verweis auf den baden-württembergischen Antisemitismusbeauftragten Michael Blume. Nun hat dieser genau das kritisch untersucht, was auf Platz 4 (»Covid’s latest Deviant Strains«) und 6 (»Social Media Giants«) der SWC-Liste ebenfalls und an dieser Stelle berechtigterweise hervorgehoben wird: nämlich die in sozialen Medien zirkulierenden Mythen über eine angebliche jüdische Verschwörung rund um die Covid-19-Pandemie, die eine wirkliche antisemitische Gefahr darstellen. Doch das SWC hat wohl mit Blume, einem verdienten Warner vor tatsächlichem Antisemitismus, ein anderes Problem. So ist er den wiederholten Ersuchen, er möge auf eine Auflösung der Städtepartnerschaft Freiburg - Isfahan (Iran) hinwirken, nicht nachgekommen.
Die Nennung Blumes verdeutlicht die Absurdität der SWC-Listen in Hinblick auf einen adäquaten Antisemitismusbegriff ebenso wie ihre politische Strategie, die einer neokonservativen und rechtszionistischen politischen Position folgt. Es stellt sich die Frage, ob das SWC mit seinen Listen mittlerweile sogar die Logik des neuen »McCarthyismus« - wie diese Manöver vom Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik bezeichnet wurden - überschritten hat und nun im Bereich der politischen Paranoia gelandet ist. In der historischen Analogiebildung kennt man eine solche Art der übergeschnappten Feinderklärung nicht so sehr aus dem Bereich des US-Antikommunismus, sondern des Stalinismus, wo sich ebenfalls jeder - und sei er noch so sehr um konformistisches und korrektes Verhalten bemüht - nicht sicher sein konnte, ob es ihn als nächsten trifft.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.