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Alte und neue Dauerbaustellen
Daniel Lücking schreibt über Diskussionen, die auch im neuen Jahr andauern werden.
Es gibt Bretter, die müssen gebohrt werden, obwohl sie erkennbar dick sind und es eine Daueraufgabe bleiben wird. Eines davon ist das dicke Brett »Datenschutz«, an dem sich Mitglieder des Chaos Computer Clubs seit über 40 Jahren unermüdlich abarbeiten. Der »Teufel ist Facebook, Teufel ist Instagram und alles, was von großen Unternehmen gebaut wird, um uns zu vermarkten«, gibt Künstler und Netzaktivist Padeluun in die Diskussion beim jährlichen Kongress der Hacker*innen, der auch 2021 nur digital abgehalten werden konnte. Padeluun legte vor Jahrzehnten seinen bürgerlichen Namen ab und ist aus Gründen des Datenschutzes nur noch unter seinem Pseudonym aktiv. Er hat die 60 Lebensjahre seit einiger Zeit vollendet, spricht so plakativ wie mahnend und warnt die aktuelle Generation von Aktivist*innen vor der Nutzung der großen Social-Media-Plattformen.
»Auch wenn ihr da viele Follower habt: Das, was ihr da macht, ist komplett unverantwortlich. Was ihr da macht ist etwas sehr Schönes für den industriellen militärischen Komplex. Ihr legt Proteststrukturen gegenüber Geheimdiensten offen«, stellt Padeluun fest. Seine Position ist spätestens seit den Veröffentlichungen von Edward Snowden belegt und wird auch durch die von Wikileaks vor zehn Jahren veröffentlichten »Spy Files« – die Spionagedateien – gestützt, die exakt die Datenindustrie beschreiben, die sich rund um den Bedarf der Geheimdienste gebildet hat und für die Milliardär Peter Thiel nur ein Beispiel ist.
Facebook, Twitter und andere US-Dienste stehen im nur selten zu 100 Prozent belegbaren Verdacht, den Geheimdiensten zuzuarbeiten. Im System aus Schweigevereinbarungen, das über Gesetzgebungsverfahren gestrickt wurde, lässt sich nie nachvollziehen, wie viel Zuarbeit unter welchen Bedingungen stattgefunden hat. Unbestreitbar ist auch, dass die internationalen Plattformen über ihre Algorithmen Einfluss nehmen und in letzter Konsequenz auch diskriminieren, wenn sie automatisiert, aber fehlerbehaftet Inhalte blocken oder auf ihren Plattformen in der Verbreitung hemmen.
Die jetzt in Fridays for Future, Extinction Rebellion oder EndeGelände organisierte Generation hat die Probleme der großen Plattformen im Blick, ist aber genau so weit von einer Lösung für das Dilemma entfernt wie die Generationen vor ihnen. Es mutet unsinnig an, ihnen vorzuwerfen, über die im realen digitalen Leben etablierten Plattformen Reichweite aufzubauen, statt klandestin in alternativen Strukturen darauf zu setzen, irgendwann genug einsichtige, datenschützende Menschen gefunden zu haben, um endlich mit der eigentlichen politischen Arbeit beginnen zu können.
Das ahnt auch Padeluun und räumt selbstkritisch ein, dass es »den Nerds« in vier Jahrzehnten nicht gelungen ist, einen »Geschäftsführer« zu finden, der etwas Alternatives aufbaut und die tollen Ideen von dezentralen, offenen und demokratisch verwalteten Strukturen in die Praxis setzt.
»Auf Twitter sind fast nur Trolle, auf Facebook sind viele Beleidigungen, auf Mastodon sind die konstruktiven, sinnvollen Fragen«, sagt Stephanie Henkel von der Piraten und beschreibt einen der Orte im Fediverse – dem Kofferwort aus »federation« und »universe«, in dem neue dezentrale Wege ausprobiert werden, die jedoch meist mangels finanzieller Mittel nur langsam gedeihen. »Wenn ich Anfragen bekomme zu Inhalten oder eine private Nachricht, wenn wir was in den Stadtrat einbringen sollen, geht das über Mastodon«, so Henkel, die 2021 auch für den Bundestag kandidierte.
Das Brett Datenschutz bleibt auch 2022 dick und schwer zu bohren, insbesondere, wenn die Daten nicht nur durch Geheimdienste, sondern durch das kapitalistische System selbst monetarisiert werden. Mangels konkreter Erfolge oder dem Sieg über den Endgegner aus dem gesellschaftlichen Spiel auszusteigen, ist also weiterhin keine Option. Weder beim Thema Daten, Gendern, Umwelt- und Klimaschutz, Gleichberechtigung und wo auch immer sich Generationen künftig aneinander reiben (wollen).
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