- Berlin
- Corona-Proteste in Berlin und Brandenburg
Keine harmlosen Spaziergänge
Rechtsextreme sind bei Kundgebungen gegen Corona-Maßnahmen als Anmelder und Redner aktiv
»Haut ab, haut ab«, schallte es am Montagabend kurz an der Grünberger Straße in Friedrichshain. Spontan versammeln sich hier einige Demonstrant*innen angesichts sogenannter Spaziergänge gegen Corona-Maßnahmen auf dem anliegenden Boxhagener Platz.
Auf der anderen Straßenseite steht eine Gruppe von rund 20 Menschen, die auf die Rufe hin schnell kehrt macht und sich eher orientierungslos durch den Kiez bewegt. Am Frankfurter Tor und vor dem Kosmos-Kino auf der Frankfurter Allee zieht die Polizei derweil Einsatzkräfte zusammen. Laut der Behörde nehmen hier ab 18.30 Uhr zunächst 200 Personen an einer nicht angemeldeten Versammlung teil, um sich beim Eintreffen der Beamt*innen in die umliegenden Straßen, so wie oben beschrieben, zu zerstreuen.
Zum ersten Mal hatten Verschwörungsideologen für Montag dazu aufgerufen, in Friedrichshain-Kreuzberg zu demonstrieren. Der Spuk wird hier jedoch schnell durch die Polizei beendet, auch wenn zwischenzeitlich auf der Seite der Gegenproteste die Befürchtung aufkommt, die Demonstrierenden könnten in die Rigaer Straße ziehen, um vor linken Hausprojekten zu provozieren.
Auf dem Alexanderplatz in Mitte beginnt etwa zur selben Zeit eine Demonstration zum ZDF-Hauptstadtstudio Unter den Linden. Bereits in der letzten Woche hatte der Berliner Rechtsextreme Eric Graziani Grünwald von der Gruppe »Patriotic Opposition Europe« – zu Deutsch: Patriotischer Widerstand Europa – eine Kundgebung angemeldet, so auch an diesem Montag. Graziani Grünwald ist bekannter Akteur in rechtsextremen Netzwerken, der unter anderem bei den Neonazi-Aufmärschen unter dem Motto »Merkel muss weg« in den Jahren 2016 und 2017 als Redner aufgetreten war.
Als die 200 Personen große Gruppe vor dem ZDF-Studio erscheint, muss dieses von Polizeiketten geschützt werden. Die rechten Protestierer skandieren »Ihr seid schuld!« und »Lügenpresse«. Der Deutsche Journalisten Verband (DJV) verurteilt die Proteste umgehend: »Lügenpresse-Rufe vor dem ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin. Die kleine radikale Minderheit der Impfgegner, Querdenker, Corona-Leugner, Medienhasser und Demokratiefeinde hat sich mal wieder zusammengerottet. Solidarität mit den Kolleg*innen vor Ort und im Gebäude!« heißt es in der Erklärung des DJV.
Während es in den innenstadtnahen Bereichen eher kleinere Gruppen sind, die den rechten Parolen folgen, auch wenn man zum Teil versucht, sich mit Schildern abzugrenzen, sind es in Pankow und Tegel deutlich größere Zusammenrottungen von bis zu 600 Menschen bei den verharmlosend als »Spaziergänge« angekündigten Demonstrationen. Auch in Neukölln, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf gibt es größere unangemeldete Versammlungen, sowie in allen anderen der zwölf Bezirke. Beobachter*innen gehen berlinweit von etwa 3000 Teilnehmenden aus. Dies deckt sich mit den durch die Polizei erhobenen Zahlen vom Dienstag. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) spricht am Dienstag auf nd-Nachfrage von 25 »Anti-Corona-Demonstrationen«, die sich an unterschiedlichen Orten in der Stadt versammelt hätten. Die Informationen stammten demnach von der Senatsinnenverwaltung.
Trotzdem funktioniert die Mobilisierung zu den Aufmärschen nicht wie von den Protestierenden erhofft. So wie in Friedrichshain gibt es auch in Neukölln und Pankow Gegenprotest durch Anwohnende. So haben die »Omas gegen rechts« zu einer Kundgebung nach Pankow mobilisiert, Gruppen von Antifaschist*innen demonstrieren auch am Alexanderplatz und in Neukölln. Die Initiative »Geradedenken« kritisiert auf dem Nachrichtenportal Twitter Platzverweise für ihre Unterstützer*innen durch die Polizei – während etwa 100 »Corona-Demonstranten« unangemeldet und angeblich von der Polizei unbehelligt, über die Sonnenallee zum Hermannplatz laufen.
Auch in Brandenburg gibt es am Montagabend zahlreiche unangemeldete Aufmärsche. Über 1000 Menschen ziehen in kleineren und größeren Gruppen durch Cottbus. Anscheinend sieht die Polizei vor Ort keinen Grund einzuschreiten. Die Situation sei »völlig entspannt«, stellt der Sprecher der Polizeidirektion Süd fest. Es habe keine besonderen Vorkommnisse gegeben. Auch Proteste in Königs Wusterhausen und in den Landkreisen Elbe-Elster und Oberspreewald-Lausitz werden bekannt.
In Potsdam hatte am Montag das Bündnis »Potsdam bekennt Farbe« dazu aufgerufen, den Gegnern der Corona-Maßnahmen nicht die Stadt zu überlassen. Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) sagt auf einer der Kundgebung zu den Teilnehmern, sie machten mit ihrer Anwesenheit deutlich, dass es nicht nur den Protest gegen die aktuellen Maßnahmen gebe. »Dass es nicht nur diejenigen gibt, die eine Impfung ablehnen, sondern auch diejenigen, die in der Impfung den Weg aus der Pandemie sehen«, so Schubert. »Ihr müsst nicht mit Reichsbürgern, Rechtsradikalen, dem III. Weg, der AfD oder anderen rechten Parteien spazieren gehen, um eure Meinung zu sagen«, betont der Oberbürgermeister.
Insgesamt waren in der Landeshauptstadt drei angemeldete Gruppen mit nach Polizeiangaben insgesamt mehreren Hundert Teilnehmern unterwegs. Zum Teil habe es verbale Attacken gegeben, die Stimmung sei aber meist friedlich gewesen, so die Polizei am frühen Montagabend. Ein Teilnehmer habe versucht, durch eine Polizeiabsperrung zu gelangen, sei aber daran gehindert worden. Daraufhin sei es zu einer versuchten Körperverletzung gegen einen Polizeibeamten und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gekommen. Beobachter*innen der Demonstrationen gehen davon aus, dass Rechtsextreme weiterhin versuchen werden, die wachsenden Proteste zu instrumentalisieren. So habe auch die Neonazipartei »Der III. Weg« ihre Aktivitäten bei den Demonstrationen in Brandenburg verstärkt. Auch provozierten häufig Rechtsextreme polizeiliche Maßnahmen, mit denen man im Nachhinein die »friedlichen Spaziergänge« als von »Angriffen durch die Polizei« traktiert darstellen könne.
Die »mangelnde Abgrenzung zu Rechtsextremismus« bereite durchaus Sorge, erklärt Maica Vierkant vom Aktionsbündnis Brandenburg gegenüber »nd«. »Sorge bereitet uns darüber hinaus die starke Aggressivität auf einigen dieser Versammlungen. Es wird zwar betont, wie friedlich der Protest sei. Aber zum einen gibt es Situationen, die alles andere als friedlich verlaufen und zum anderen wird in Redebeiträgen eine hoch aggressive Stimmung erzeugt. Es ist absurd, von friedlichem Protest zu sprechen, wenn gleichzeitig Menschen per Mikrofon beleidigt, verunglimpft und sogar bedroht werden«, so Vierkant weiter. Es gebe aber auch viele Menschen in Brandenburg, die sich für Demokratie und eine offene Gesellschaft stark machten. Und für diese stelle sich oft die Frage, wie ein verantwortungsvoller Protest mit Abstand möglich sei. Offene Briefe wie den, der in Bernau entstanden ist, sei eine Möglichkeit. »Es ist wichtig, gerade jetzt im Moment Stellung zu beziehen und wir finden es toll, welche Kreativität zivilgesellschaftliche Initiativen dazu entwickeln«, betont die Vertreterin des Aktionsbündnisses.
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