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Erneut Datenschutzpanne an der Freien Uni
Nutzung eines Video-Konferenzsystems verletzt die Grundrechte der Studierenden
Studieren in der Pandemie - ohne Videokonferenzen wäre das wohl undenkbar. An der Freien Universität Berlin werden Online-Vorlesungen, -Seminare, -Gremiensitzungen oder auch -Lerngruppen in den meisten Fachbereichen über den Videokonferenz- und Kommunikationsdienst Cisco Webex organisiert. Das Problem dabei: Das System lässt sich laut der Berliner Datenschutzbeauftragten »derzeit nicht datenschutzkonform einsetzen«. Die momentane Nutzung der Dienste Webex Events, Webex Training und Webex Teams ist demnach »rechtswidrig«, heißt es in einem Brief der Datenschutzbeauftragten an den Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der FU von Dezember 2021, der »nd« vorliegt.
Schon im Januar vor einem Jahr ließ der AStA Cisco Webex von der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit überprüfen, da Webex als US-amerikanische Firma schon länger in der Kritik stand. Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Übermittlung personenbezogener Daten vom Juli 2020 (»Schrems II«) ist die Übermittlung von Daten, wie zum Beispiel Mail-Adressen, an amerikanische Dienstleister unzulässig, da in den USA andere Datenschutzbestimmungen gelten als in der Europäischen Union.
»Dass die Daten der Uni-Mitglieder an Webex übertragen werden, verletzt unsere Grundrechte«, sagt Janik Besendorf, AStA-Referent für Kommunikation und Datenschutz und Informatikstudent an der FU zu »nd«. Um Studienleistungen zu erbringen, seien die Studierenden praktisch dazu gezwungen, Webex zu nutzen und so ihre Daten dem Unternehmen zur Verfügung zu stellen.
Im November informierte die Berliner Datenschutzbeauftragte laut ihrem Schreiben die Kanzlerin der Freien Universität, Andrea Bör, über dieses Ergebnis und bat darum, »zu klären, ob seitens der FU bestimmte technische und organisatorische Maßnahmen getroffen werden können, die die Verletzung der Grundrechte der betroffenen Personen entscheidend verringern«.
Der AStA begrüßt diese Entscheidung. »Die FU unter Leitung von Kanzlerin Andrea Bör fiel bereits in der Vergangenheit durch Probleme im Umgang mit Datenschutzfragen auf«, kritisiert Besendorf mit Verweis auf eine Fehlkonfiguration des Notensystems Campus-Management vor einem Jahr. Damals wurden die Noten aller Studierenden öffentlich einsehbar. »Die Entscheidung der Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ist ein notwendiges Korrektiv für das Versagen der FU in diesem Bereich«, so Besendorf.
Laut einem Sprecher der Freien Universität, Carsten Wette, befindet sich die Uni »aktuell im Austausch mit der Aufsichtsbehörde. In kommenden Gesprächen soll gemeinsam mit der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit der konkrete Einsatz von Webex an der Freien Universität weiter erörtert werden.« Da noch kein abschließendes Ergebnis vorliege, könne »nicht von einer rechtswidrigen Nutzung gesprochen werden«, so Wette.
Die Mitglieder und Gremien der Freien Universität sind nach Angaben des AStA bislang nicht über die rechtswidrige Datenverarbeitung informiert worden. Dazu sei die FU nach Artikel 34 der Datenschutz-Grundverordnung jedoch verpflichtet. »Dieses Versäumnis muss umgehend nachgeholt werden«, findet Janik Besendorf. Er würde sich wünschen, dass die Uni gemeinsam mit ihren Mitgliedern nach Alternativen zu Cisco Webex sucht und dafür zum Beispiel eine Kommission gründet.
Der AStA fordert »eine datensparsame Lösung ohne Kompromisse, idealerweise auf Servern der FU«. Carsten Wette nennt dies »technisch und wirtschaftlich nicht praktikabel«. Zudem gebe es laut ihm keinen ausschließlich europäisch agierenden alternativen Anbieter für die hohe Anzahl von Nutzer*innen der Universität. Der AStA verweist dagegen auf das Open-Source-Webkonferenzsystem BigBlueButton, das von anderen Hochschulen und auch einzelnen Fachbereichen der FU bereits verwendet werde.
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