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Bürger auf dem dritten Weg
Verfassungsschutz sieht bei den Corona-Protesten in Brandenburg die Neonazis klar in der Minderheit
»Ja, ich habe den schweren Verlauf gehabt, es ist eine Grippe gewesen«, erklärt am Mittwoch der Landtagsabgeordnete Daniel Freiherr von Lützow (AfD) zu seiner Infektion mit dem Coronavirus. Trotzdem möchte er gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie demonstrieren. »Ich war leider kränklich verhindert, konnte nicht spazieren gehen, werde es wieder tun.«
In der AfD-Fraktion sind zuvor schon einige Coronafälle bekannt geworden: Christoph Berndt, Dennis Hohloch, Lars Hünich, Michael Hanko. Der am 30. Dezember gestorbene Abgeordnete Franz Wiese soll sich eventuell kurz vor seinem Tod auch noch infiziert haben. Allerdings gibt es dazu keine gesicherten Erkenntnisse.
In den brandenburgischen Krankenhäusern werden aktuell 649 Corona-Patienten behandelt. 159 liegen auf der Intensivstation, 130 werden beatmet.
21,8 Prozent der verfügbaren Betten auf den Intensivstationen sind mit Corona-Patienten belegt. Die Zahl der gemeldeten Todesfälle stieg am Mittwoch um 17 auf 4738.
1,64 Millionen Brandenburger sind vollständig geimpft. Das sind 64,7 Prozent der Bevölkerung. 853 967 Brandenburger haben auch schon ihre Auffrischimpfungsimpfung erhalten. Das sind 33,7 Prozent der Bevölkerung.
In der vergangenen Woche wurden 71 406 Impfungen verabreicht, darunter allein 28 416 Impfungen am Dienstag.
In den zurückliegenden sieben Tagen haben sich 400 Menschen je 100 000 Einwohner mit dem Coronavirus infiziert, am Mittwoch lag die Inzidenz bei 400,4. af
Am Mittwoch beschäftigt sich der Innenausschuss des Landtags in drei Tagesordnungspunkten mit den Corona-Protesten und mit der Frage, ob dabei eine Radikalisierung festzustellen sei. Es geht auch um das Problem gefälschter Impfnachweise. Gegen Kontaktbeschränkungen und andere Maßnahmen gehen vor allem montags an mittlerweile 60 Stellen in Brandenburg Menschen auf die Straße. In der Woche vor Weihnachten waren es insgesamt 32 500 Teilnehmer bei 94 verschiedenen Versammlungen. In der Woche danach gab es 97 Versammlungen mit zusammen 22 700 Teilnehmern, und zuletzt im neuen Jahr waren es 24 500 Teilnehmer bei 94 Versammlungen. Diese Zahlen nennt Staatssekretär Uwe Schüler im Innenausschuss. Allein vergangenen Montag seien 78 Versammlungen bekannt geworden. Der Zulauf beschränkt sich zuweilen auf einstellige Zahlen. Manchmal kommen aber auch bis zu 3000 Personen zusammen, so wie mehrfach in der Cottbuser Innenstadt geschehen. Die Gegendemonstrationen werden mitgerechnet.
Nur ein kleinerer Teil der Versammlungen wird ordnungsgemäß 48 Stunden vorher bei der Polizei angemeldet. In den anderen Fällen verbreiten sich die Termine wie ein Lauffeuer im Internet, und dann finden sich Demonstranten ein, die auf Nachfrage zuweilen behaupten, sie gehen hier nur spazieren und wüssten selbst nicht, warum die anderen Leute auf der Straße zufällig den selben Weg haben.
Es sei vielen Bürgern unverständlich, warum sie wegen der Pandemie Silvester nicht mit mehr als zehn Personen feiern durften, aber zugelassen werde, dass Tausende Demonstranten ohne Abstand herumlaufen, begründet die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke), warum dringend über den Umgang der Polizei mit den sogenannten Abendspaziergängen geredet werden müsse. Dabei hat Johlige Verständnis dafür, dass die Polizei nicht an 60 Orten zugleich mit jeweils 100 Beamten präsent sein könne.
Das wären zusammen 6000 Polizisten, aber es gibt nur etwas über 8000 Kollegen im Landesdienst, und die haben auch anderes zu tun und nicht alle gleichzeitig Schicht. Damit entfällt auch die Variante, Demonstrationen aufzulösen, wenn sich die Teilnehmer nicht an die Maskenpflicht und die Abstandsregel halten oder wenn die derzeitige Obergrenze von 1000 Personen pro Versammlung überschritten wird. Die Polizei machte auch die Erfahrung, dass sie einen Aufzug zwar vielleicht auflösen kann, sich dann aber um die Ecke schnell ein neuer Aufzug formiert. Also lässt sie die Menschen gewähren, solange es friedlich bleibt.
Bisher seien die Corona-Proteste in Brandenburg, von einzelnen Störungen abgesehen, friedlich verlaufen, ist Staatssekretär Schüler froh. Anderswo hat es schon schwere Zusammenstöße gegeben. Davon abgesehen seien auch Spontandemonstrationen zulässig, stellt der Staatssekretär klar. Unangemeldete Versammlungen prinzipiell aufzulösen, lasse das Versammlungsrecht nicht zu.
Der Großteil der Demonstranten in Brandenburg entstamme dem »bürgerlichen Spektrum«, berichtet Schüler. Man könne nicht sagen, dass es vor allem Rechte seien. Diese Einschätzung bestätigt Verfassungsschutzchef Jörg Müller, und das deckt sich mit dem Eindruck, den der CDU-Abgeordnete Björn Lakenmacher gewonnen hat. »Die Extremisten sind in der absoluten Minderzahl«, meint Geheimdienstler Müller. Nach den Beobachtungen seiner Mitarbeiter gibt es berechtigte Sorgen in der Bevölkerung, die aber von der rechten Szene ausgenutzt werden.
Auf Nachfrage der Abgeordneten Marie Schäffer (Grüne), wer denn die Proteste steuere und dazu aufrufe, teilt Müller mit, dass die Aufrufe von dem asylfeindlichen Verein »Zukunft Heimat« oder vom »Compact«-Magazin des rechten Journalisten Jürgen Elsässer verbreitet werden, aber auch von »ganz normalen Leuten«. Es gebe naturgemäß keine Statistik, wo es am Ende die Leute gelesen haben, die demonstrieren gehen. Sorge bereitet Müller, dass es die neofaschistische Splitterpartei »Der dritte Weg« geschafft hat, dass sich in Wittstock harmlose Leute ihrem Fackelmarsch gegen die Corona-Maßnahmen anschließen.
Laut Innenministerium ist eine Verrohung der Sprache festzustellen. Es gebe auch an immer mehr Orten Aktionen. Aber es bleibe dabei, dass konstant höchstens ein Prozent der Bevölkerung auf die Straße geht. Es sei nur so, dass sich ein paar Tausend Demonstranten an der Berliner Siegessäule verlaufen. In einer Kleinstadt wie Kyritz dagegen erzeugen sie das Bild eines machtvollen Aufzugs.
Die Demonstranten wehren sich dagegen, dass Ungeimpfte Modegeschäfte und Restaurants nicht betreten und ohne negativen Test auch nicht Bus und Bahn fahren dürfen. Einzelne besorgen sich zu diesem Zweck gefälschte Impfnachweise. 277 Fälle habe es mit Stand 30. Dezember gegeben, erklärt Staatssekretär Schüler. Meistens fallen die Fälschungen in den Apotheken auf, wenn versucht wird, sich dort einen digitalen Impfpass ausstellen zu lassen. Es gebe nicht mehr so viele Fälle wie im November, komme aber doch noch täglich vor.
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