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Rechtes Gift verbreiten ohne Konsequenz
Mit welchen Problemen die Ampel-Koalition beim Vorgehen gegen Telegram und Hass im Netz zu kämpfen hat
Die Al Kazim Towers von Dubai sind weithin sichtbar – und doch sind diejenigen, die sich in den Büros 2301 und 2303 der beiden 265 Meter hohen Zwillingstürme inmitten der weltberühmten Skyline eingenistet haben, politisch nur schwer zu greifen. Hier in der Wüstenstadt in den Vereinigten Arabischen Emiraten hat der russische Instant-Messenger Telegram, über den seit vielen Monaten im Zuge der Corona-Maßnahmen Verschwörungstheorien, Hetze und Gewaltfantasien verbreitet werden, seinen Sitz. Laut eigenen Angaben stammen die meisten Entwickler des Messengerdienstes aus St. Petersburg. Die Stadt sei »bekannt für hoch qualifizierte Programmierer«, heißt es auf der Internetseite des Unternehmens. Allerdings habe das Telegram-Team Russland »aufgrund lokaler IT-Vorschriften verlassen müssen« und eine Reihe von alternativen Standorten ausprobiert, darunter Berlin, London und Singapur. Derzeit sei man »mit Dubai zufrieden«, aber jederzeit bereit, wieder umzuziehen, sollten sich die dortigen Vorschriften ändern.
Telegram und die Vorschriften – das ist eine eigene Geschichte. Nachdem es am Montagabend zu erneuten Ausschreitungen bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen gekommen war und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) eine Morddrohung erhalten hatte, werden die Rufe nach einem härteren Vorgehen gegen den Messengerdienst lauter. Zwischen dem 1. November und dem 31. Dezember 2021 hat tagesschau.de auf Telegram mehr als 250 Tötungsaufrufe gegen Personen aus Politik, Wissenschaft und Medien gefunden. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) forderte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf, alle Register zu ziehen: »Wir Journalistinnen und Journalisten erleben die Anfeindungen aus dem Lager von Impfgegnern und Coronaleugnern tagtäglich«, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall am Mittwoch.
Gilt das Gesetz auch für Telegram?
Doch die Sache ist kompliziert. Zwar gibt es in Deutschland seit dem 1. Oktober 2017 das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das darauf zielt, strafbare Inhalte auf den Plattformen sozialer Netzwerke wirksam zu bekämpfen. Facebook, Twitter und YouTube werden verpflichtet, Beschwerden von Nutzer*innen auf strafrechtliche Relevanz zu prüfen und offensichtlich strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde zu löschen oder zu sperren.
Doch gilt dieses Gesetz auch für Messengerdienste wie Telegram? Die Bundesregierung ist offensichtlich dieser Ansicht. »Wir haben hier vor einigen Wochen schon bekanntgegeben, dass Telegram unter die Regelung fällt, die bestimmte Pflichten für die Anbieter vorsieht«, sagte Steve Alter, Sprecher des Bundesinnenministeriums, am Mittwoch in der Regierungspressekonferenz. Rabea Bönnighausen aus dem Justizministerium sekundierte: »Die sozialen Netzwerke wie Telegram sind in der Verantwortung.«
Der Teufel steckt im Detail. Telegram sei ein soziales Netzwerk im Sinne des NetzDG und eben kein reiner Messengerdienst, glaubt man im Justizressort. Das Bundesamt für Justiz führt bereits zwei Bußgeldverfahren gegen Telegram – bislang ergebnislos. Der Dienst geht bisher nur spärlich gegen rechtsextreme Beiträge vor. Kontakte in die Emirate gebe es noch nicht, sagte Sprecherin Bönnighausen am Mittwoch. Über das weitere Vorgehen wollte sie sich nicht äußern.
Gewiss: Eine Bewertung, unter welcher Kategorie Telegram zu fassen ist, fällt schwerer als bei Facebook und Twitter, da Telegram hauptsächlich zur Individualkommunikation genutzt wird. Allerdings werden dort eben auch Nachrichten in öffentlichen Gruppen geteilt. Über solche Gruppen rufen »Querdenker« zu Mord und Hetze auf. Es scheint also, als würde Telegram die geltenden Gesetze einfach ignorieren.
Linke sieht nur eine »Alibi-Debatte«
Das andere Problem bei der Bekämpfung strafbarer Inhalte im Netz ist das unmittelbare Vorgehen der Behörden gegen die Hetzer selbst. Immer wieder fällt auf, dass Kriminalämter bei Online-Ermittlungen hinterherhinken. Ein Beispiel: Erst nachdem Journalisten über Mordpläne der Telegram-Chatgruppe »Dresden Offlinevernetzung« gegen Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) berichtet hatten, griff das Landeskriminalamt Sachsen ein und durchsuchte im Raum Dresden sechs Objekte. Die Beamten fanden Waffen und Armbrüste.
»Die Diskussion über Telegram ist eine Alibi-Debatte«, findet Martina Renner. Ein langwieriges politisches Vorgehen gegen das Dubaier Büro werde »keinen Erfolg haben«, meint die Linke-Innenpolitikerin. Stattdessen müsse jetzt »sofort gehandelt werden«, sagte sie dem »nd« am Donnerstag. Renner fordert, die Sicherheitsbehörden müssten die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel endlich nutzen. Die Polizei brauche auch keine neuen Befugnisse, wie sie Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) nach den Ausschreitungen vom Montag beanspruchte. Renner unterstellte Wöller eine »völlige Unkenntnis der rechtlichen und faktischen Lage« und forderte ihn zum Rücktritt auf. Dies sei »das Beste«, was der seit langem in der Kritik stehende Dresdner Ressortchef tun könne, um Verbesserungen beim Kampf gegen die extreme Rechte zu erreichen.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic betonte gegenüber »nd«, im Umgang mit Telegram sei insbesondere die Abstimmung mit europäischen Partnern wichtig. Ministerin Faeser hatte bereits Kontakt etwa zu den Niederlanden aufgenommen, auch dort ist die Gewaltbereitschaft von Maßnahmengegner*innen sehr hoch. Weiterhin müsse die Ampel Polizei und Staatsanwaltschaften personell sowie im Bereich digitaler Kompetenzen entsprechend ausstatten, ergänzte Mihalic. Bisher mangele es daran, die ideologischen Grundlagen für solche Taten zu erkennen: »Diese immer noch in weiten Teilen fehlende Analysefähigkeit muss dringend behoben werden.«
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