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  • Corona-Infektionen in Indien

Sorge vor der nächsten Welle

Nach lange niedrigem Infektionsgeschehen steigen in Indien die Fallzahlen rapide

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 4 Min.

Indien war einst der erste Hotspot der Delta-Variante des Coronavirus. Vor einem Dreivierteljahr erlebte der Subkontinent eine dramatische Eskalation seiner zweiten Corona-Welle. Anfang Mai 2021 lagen die täglichen Zahlen an Neuinfizierten eine ganze Woche lang über 400 000, das Gesundheitssystem war vielerorts total überlastet, insbesondere Sauerstoff zur Beatmung von Covid-Patienten mit schwerem Verlauf Mangelware. Viele schafften es gar nicht erst in die überfüllten Krankenhäuser, starben draußen in den Straßen oder daheim - oft ohne amtlich dokumentierten Nachweis einer Infektion.

In den vergangenen Monaten hingegen hatte Indien trotz einer gewissen Dunkelziffer ein geradezu traumhaft niedriges Level, als etwa in den meisten europäischen Ländern die dort vierte Welle längst in vollem Gange war. Damit ist es nun aber vorbei. Am Silvestertag überstieg die Zahl der amtlich registrierten Neuinfektionen erstmals wieder die 20 000er Marke. Am Freitag waren es schon 117 000. Laut Delhis Gesundheitsminister Satyendar Jain sind mehr als 80 Prozent der positiven Fälle auf die Omikron-Variante zurückzuführen.

Einmal mehr dürften Massenveranstaltungen zur raschen Verbreitung beitragen: So wurden in einem Tempel in der für Hindus besonders heiligen Stadt Varanasi zu Jahresbeginn drei Millionen Pilger gezählt. Der Polizei gelang es bei diesem Ansturm nicht mehr, die Einhaltung von Mindestabständen durchzusetzen.

Bei fast 1,4 Milliarden Gesamtbevölkerung liegen die Zahlen noch auf relativ niedrigem Niveau, aber Politik, medizinische Fachkräfte und andere sind aufgeschreckt. Betroffen sind derzeit vor allem die Hauptstadt Delhi und der Bundesstaat Maharashtra, dort mit der Wirtschaftsmetropole Mumbai an der Spitze. Doch es scheint nur eine Frage der Zeit, wann sich die Welle abermals in die Fläche ausbreitet.

Delhis Chefminister Arvind Kejriwal wiegelte in einer ersten Stellungnahme indes ab. Noch bestehe kein Grund, in Panik zu verfallen, sagte er mit Blick auf den Umstand, dass auch in der Hauptstadtregion bisher kein deutlicher Anstieg der Krankenhauseinweisungen zu verzeichnen sei. In einer der größten Kliniken in Delhi wurden aber zur Sicherheit schon mal die Winterurlaube des medizinischen Personals gestrichen. Für den Moment könne es beruhigen, dass es trotz vieler Neuansteckungen offenbar zumeist nur milde Verläufe gibt. Das deckt sich mit dem, was hinsichtlich Omikron auch andernorts zu beobachten ist. Die neue Virusmutation, die immer mehr zur bestimmenden Corona-Variante wird, zeichnet sich zwar durch eine schnellere Verbreitung, aber offenbar auch durch weniger schwere Fälle aus.

Mit Blick auf diesen Fakt wurde in manchen Regionen Indiens die Quarantänezeit reduziert. So müssen Personen etwa in Delhi nur noch sieben statt bisher vierzehn Tage Heimisolation absolvieren. Zeigt der Betroffene an drei aufeinanderfolgenden Tagen keine Symptome, so ist er automatisch aus der Quarantäne entlassen - auch ohne Test.

Noch ist der Omikron-Krankheitsverlauf wissenschaftlich aber nicht abschließend geklärt, um Entwarnung zu geben oder auf weniger Vorsicht zu setzen. In Mumbai verfügte die Stadtverwaltung, dass die Schulen noch bis 31. Januar geschlossen bleiben. Die Zentralregierung erließ die Order, dass Staatsangestellte nur zu 50 Prozent in den Büros erscheinen müssen - für Schwangere, behinderte Mitarbeiter und andere mit erhöhtem Risiko ist die Präsenzpflicht sogar ausgesetzt. Die Administration im östlichen Bundesstaat Jharkhand wiederum verfügte die Schließung von Märkten, Sportstätten und touristischen Einrichtungen. Auch Schulen bleiben dort zunächst bis Monatsmitte geschlossen. In Delhi und Mumbai wurden zudem Ausgangssperren verhängt, um die Ausbreitung zu verlangsamen. Aus Maharashtra verlautete, dass viele Menschen bei einer Ansteckung die Isolationsanordnungen sehr ernst nähmen.

Derweil setzt das Land weiter auf seine Impfkampagne. Im Schnitt fünf bis sechs Millionen Dosen werden täglich verimpft, am 2. Januar gab es mit 9,3 Millionen sogar den bisherigen Tagesrekord. Seit Jahresbeginn werden auch Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren geimpft. Bei insgesamt nun rund 1,5 Milliarden verabreichten Dosen sind knapp 620 Millionen Einwohner doppelt geimpft. Trotz dieser beeindruckenden Zahlen liegt die Quote von 45 Prozent vollständig Geimpfter aber etwas unter dem globalen Durchschnitt - dabei gehört Indien zu den weltgrößten Corona-Impfstoffproduzenten.

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