- Politik
- Olaf Scholz
Anführer oder Abgeordneter
Debatte um Impfpflicht ist auch eine um die Rolle des Kanzlers
Man muss sich an die neue Rolle von Kevin Kühnert noch gewöhnen. Der ehemalige Juso-Chef, als solcher stets angriffslustig auch gegen die eigene Parteispitze, verhält sich als Generalsekretär ganz anders: wie der inoffizielle Security-Chef des Bundeskanzlers. Mittlerweile benutzt er sogar dessen Vokabular: In seiner Neujahrsbotschaft hatte Olaf Scholz von einem »neuen Zusammenrücken und Unterhaken« in der Gesellschaft gesprochen. Kühnert, der sich am Montagmittag zu Beginn der ersten parlamentarischen Sitzungswoche des neuen Jahres in Berlin der Presse stellte, erkannte in des Kanzlers Worten wiederum einen »Aufruf, sich unterzuhaken«. Wer wollte das bezweifeln?
Nun, in der Tat drängt sich dieser Tage der Eindruck auf, als brauche der Regierungschef ein paar starke Leute um sich. Olaf Scholz, ohnehin kein politischer Lautsprecher, wird vorgeworfen, in der Debatte um die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht zu wenig Führung zu zeigen. Nach der Bund-Länder-Runde am Freitag hatte Scholz geflüstert, er werbe weiter für eine Impfpflicht und werde auch für sie stimmen – allerdings als Abgeordneter. Das ist der Union jedoch zu wenig: Sie will Scholz nicht als Abgeordneten, sondern als Kanzler sehen.
Immer wieder wird in diesen Tagen ein altes Scholz-Zitat hervorgekramt, das der Regierungschef einst in seiner Zeit in Hamburg prägte: »Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch!« Ob so Führung aussehe, fragen nun CDU und CSU. Man könnte jedoch auch fragen, ob die Kritik aus der Union überhaupt angebracht ist – schließlich hat sich die Regierung dazu entschlossen, über die Impfpflicht im Bundestag ohne Fraktionszwang abstimmen zu lassen.
Impfregister? Kühnert skeptisch
»Die Union sucht noch nach ihrer Rolle in der Opposition«, befand Kevin Kühnert am Montag, gänzlich von alter Angriffslust ergriffen, jedoch diszipliniert genug, diese nun am politischen Gegner und nicht mehr an der eigenen Führung – oder: Nicht-Führung – auszulassen. Er selbst habe sich »auch noch nicht entschieden, wie ich abstimmen werde«, ergänzte der Generalsekretär auf Nachfrage. Gegenüber einem Impfregister zur Erfassung des Impfstatus der Bürger*innen zeigte sich Kühnert jedoch skeptisch: »Was wir fürs Impfen tun, muss zügig, unbürokratisch und zielführend möglich sein.« Ein Impfregister, das erst einmal vorbereitet und administriert werden müsste, könnte diesem Vorhaben entgegenstehen – allerdings bliebe dann das Problem der Erfassung. Kühnert sprach sich für »stichprobenartige Kontrollen« aus – unklar, ob das reichen wird.
Gewiss, die Führungsfrage ist auch eine nach dem Umgang des Kanzlers mit seinem kleinsten Koalitionspartner, den er bereits einen Gutteil des Koalitionsvertrages gestalten ließ. In der FDP gibt es verschiedenartige Bedenken gegen eine Impfpflicht: Die Gruppe um Wolfgang Kubicki ist generell dagegen, der liberale Gesundheitsexperte Andrew Ullmann regt eine altersbezogene Impfpflicht etwa für Menschen ab 50 an. Darauf nimmt Olaf Scholz Rücksicht.
Eines jedenfalls scheint sicher: Schnell gehen wird es eher nicht. Ende Januar soll es nach aktuellem Stand zunächst eine »Orientierungsdebatte« zur Impfpflicht geben. Weil für Februar nur eine Sitzungswoche angesetzt ist, könnte frühestens in der Woche ab dem 14. März eine Entscheidung fallen. Dann muss aber noch der Bundesrat zustimmen, und der tagt danach erst am 8. April. Der CDU-Abgeordnete Christoph Ploß hat deshalb eine Sondersitzung des Bundestages ins Gespräch gebracht: »Eine Entscheidung darüber darf nicht um Wochen geschoben werden«, sagte Ploß dem »Spiegel«.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.