• Sport
  • Einreiseerlaubnis

Vorteil Djokovic

Nach einem Gerichtsentscheid darf der ungeimpfte serbische Weltranglistenerste nach Australien einreisen

Es kam für viele überraschend: Unbehelligt durfte Tennisprofi Novak Djokovic am Montag nun doch nach Australien einreisen - nach knapp vier Tagen Wartezeit, die er anfangs in einem berüchtigten Abschiebehotel und zuletzt an einem der Öffentlichkeit unbekannten Ort verbracht hatte, nachdem ihm australische Grenzschützer zuvor am Flughafen Melbourne das Visum entzogen hatten.

Ein Richter gab in Melbourne per Eilbeschluss dem Einspruch des Tennisweltstars gegen Einreiseverweigerung statt: Der serbische Weltranglistenerste, von dem man nun weiß, dass er nicht geimpft und mit einer ziemlich wirrköpfigen Familie gesegnet ist, darf auch 2022 an seinem Lieblingswettbewerb teilnehmen: den Australian Open, die am 17. Januar in Melbourne beginnen.

Neunmal hat der 34-Jährige das Grand-Slam-Turnier bereits gewonnen, die letzten drei Jahre in ununterbrochener Folge. Ob ihm auch diesmal so viel Freude an Publikum und Berufsausübung gegönnt sein wird? Werden die Fans ihm zujubeln? Oder werden eher Buhrufe für den Rekordsieger auf den Tribünen erklingen?

Alle Welt sieht darin ein Exempel

Viele haben sich schon heftig erregt über die Einreise-Posse am Flughafen Melbourne: Die einen darüber, dass ignorante Tennismillionäre wohl glaubten, sie könnten sich über geltende Gesetze hinwegsetzen. Die anderen, beispielsweise serbische Regierungsmitglieder, weil sie meinten, am Grundlinien-Dominator aus Belgrad werde ein Exempel der Ungeimpften-Schikanierung statuiert; der »Djoker« müsse Buße tun für Millionen Menschen, die sich von keiner Impfkampagne überzeugen lassen. Ja, dies sei nur eine weitere Untat ausgerechnet in jenem Staat, der mit 246 Lockdown-Tagen zu den restriktivsten weltweit gehört. Wahlweise forderten die einen, den Serben schleunigst abzuschieben - ungeimpft! Die anderen verlangten, ihn sofort nach Australien einzulassen - Freiheit!

Was aber wirklich passiert ist, trat in all der Aufregung um die Abweisung seitens der Grenzbeamten nur langsam zutage, zumal die Gemengelage - gelinde gesagt - unübersichtlich ist. Wer Lust auf juristische Lektüre hat, kann sich im Internet die Unterlagen ansehen, die das Bundesgericht im Fall »Djokovic vs. Minister of Home Affairs« komplett veröffentlicht hat.

Die Nacht des Visa-Entzugs

In einer 41-seitigen Eidesstattlichen Erklärung ist Djokovic’ Version der Geschichte zu lesen, belegt mit offiziellen Bestätigungen, PCR-Tests und Einreisepapieren: Er hat demnach bereits im November ein Visum für den Januar 2022 erteilt bekommen. Nach einem positiven PCR-Test am 16. Dezember und einem weiteren negativen PCR-Test am 22. Dezember sei ihm am 30. Dezember schließlich eine medizinischen Ausnahmegenehmigung ausgestellt worden.

Darin bestätigt ein unabhängiger medizinischer Gutachterausschuss des australischen Tennisverbandes TA, dass Djokovic die Bedingungen für eine Ausnahme von den strengen Covid-Einreiseregeln erfülle. Aktuell dürfen Ausländer nur als doppelt Geimpfte nach Australien einreisen. Allerdings: Eine überstandene Covid-Infektion innerhalb der letzten sechs Monate zählt zu den anerkannten Ausnahmen. Und Djokovic’ Ausnahmegenehmigung wurde »geprüft und gebilligt« vom zuständigen Prüfungsausschuss der Regierung des Bundesstaates Victoria, in dem Melbourne liegt.

Der Tennisprofi erklärte zudem an Eides statt, in jener Nacht zu Donnerstag sei er aus Dubai kommend am Mittwoch um 23.30 Uhr gelandet, bei der Passkontrolle umgehend von der Australian Border Force zu einer Befragung abgeführt worden. Djokovic schildert, wie ihn der Beamte »nach 25 Stunden Anreise« befragt und dabei immer wieder das Zimmer verlassen habe, scheinbar, um sich telefonisch Instruktionen zu holen. Anfangs sei ihm selbst Telefonieren untersagt worden, so Djokovic. Er sei stets kooperativ gewesen.

Gegen 4 Uhr habe er auf einem bequemeren Sofa Platz nehmen dürfen, später sei ihm auch ein Zimmer mit Bett zugewiesen worden. Er habe - mit Erlaubnis der Grenzbeamten - versucht, einen Anwalt oder den australischen Tennisverband zu erreichen, dies sei mitten in der Nacht nicht gelungen. Ihm sei dann erklärt worden, er habe bis 8.30 Uhr Zeit, um sich zur Visaablehnung zu äußern. Doch dann sei er schon um 6.14 Uhr erneut befragt worden. Kurz vor 8 Uhr sei ihm der Ablehnungsbescheid überreicht worden: Gemäß Abschnitt 116 des Migrationsgesetzes von 1958 werde ihm das Visum entzogen und die Einreise verweigert, ist auf dem Bescheid zu lesen.

Nach dem Gesetz kann ein Visum verwehrt werden, »wenn die Anwesenheit des Inhabers in Australien ein Risiko für die Gesellschaft ist oder sein kann oder die Gesundheit, die Sicherheit oder die Ordnung der australischen Gemeinschaft oder einer oder mehrerer Personen« gefährde.

Der Richter am Bundesgericht Melbourne, Anthony Kelly, wollte am Montag nach der Anhörung denn aber tatsächlich kein Fehlverhalten des Tennisstars erkennen: Kelly hatte schon während der Verhandlung erklärt, er halte vielmehr das Vorgehen der Behörden gegenüber Djokovic für unverhältnismäßig: »Was hätte dieser Mann noch mehr tun können?« Für Djokovic sei schlicht nicht genügend Zeit gewesen, heißt es denn auch in der Begründung des Gerichtsentscheids, der Djokovic’ Einspruch stattgab, dessen unverzügliche Freilassung anordnete und der Gegenseite alle Kosten des Verfahrens auferlegte. Man hätte Djokovic wie versprochen bis 8.30 Uhr Zeit lassen müssen, um »andere zu konsultieren« und »weitere Argumente vorlegen zu können, warum sein Visum nicht annulliert werden sollte«.

Vor dem Gerichtsgebäude hatten sich derweil Dutzende Unterstützer des Serben versammelt, die »Novak, Novak, Novak!« skandierten. Ebenso waren etliche Menschen zum Rialto-Tower von Melbourne gekommen, in dem Djokovic’ Anwälte ihre Büros haben. Videos auf Twitter zeigen jubelnde Menschen, die von der australischen Polizei mit Pfefferspray auseinandergetrieben werden, als die Menge fälschlicherweise einen SUV bestürmt, der das Gerichtsgebäude verlässt: Man vermutete Novak Djokovic in dem Auto.

Der so Umjubelte indes meldete sich ein paar Stunden nach dem Urteil auf Twitter. Er sei froh und dankbar: »Trotz allem, was passiert ist, möchte ich bleiben und versuchen, bei den Australian Open mitzustreiten.« Er sei nach Melbourne geflogen, um »bei einem der wichtigsten Events vor den großartigen Fans zu spielen«. Zusammen mit seinem Trainer Goran Ivanisevic trainierte Djokovic auch schon in der Rod Laver Arena.

Die serbischen Medien frohlockten, schließlich hatten sie die Angelegenheit schon vor Tagen zum Politikum erklärt. Djokovic habe in Australien »gewonnen, wie er es immer tut«, schrieb die Tageszeitung »Blic«. Auch seine Familie hielt in der Heimat eine mehr als einstündige Pressekonferenz ab, in der Vater Djokovic seinen Sohn diesmal zwar nicht mit Jesus verglich, aber zehn weitere Grand-Slam-Siege ankündigte. Das Gezerre um das Visum habe seinem Novak »zusätzliche Kraft« verliehen.

Djokovic’ Teilnahme ist noch nicht sicher

Doch trotz seines erstens Trainings um Mitternacht könnte Djokovic noch von einem Start bei den Australian Open abgehalten werden. Noch in der Verhandlung hatte der Anwalt der australischen Regierung, Christopher Tran, erklärt, dass Einwanderungsminister Alex Hawke trotz des Entscheids noch von seinen ministeriellen Befugnissen Gebrauch machen und Djokovic’ Ausreise persönlich anordnen könne. In diesem Fall dürfte der Tennisspieler gleich drei Jahre lang nicht mehr einreisen. Allerdings stünde ihm dann noch einmal der Rechtsweg offen, um wieder dagegen vorzugehen.

Novak Djokovic's family gives press conference after Australia court win – watch live
Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.