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Nicht allein dem Staat überlassen

Bundesweit finden jede Woche Proteste gegen die Corona-Maßnahmen statt, deren Teilnehmende sich nicht für Infektionsschutz interessieren. Einfach nur nach Verboten rufen ist aber falsch, warnt Sebastian Hansen.

  • Sebastian Hansen
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Auftreten der demokratiefeindlichen und antisemitischen »Querdenken«-Bewegung hat in den letzten Monaten ein Spannungsfeld bezüglich der Rolle des Staates, der Polizei und der Versammlungsfreiheit bei der Bekämpfung dieser Bewegung erzeugt. Insbesondere mit Blick auf die zahlreichen Regelverstöße bei Demonstrationen ergibt sich für eine emanzipatorische Kritik ein Dilemma. Einerseits muss »Querdenken« bekämpft werden, auch vonseiten des Staates. Andererseits ist für eine staatliche Bekämpfung die Polizei zuständig, sodass fast zwangsläufig Forderungen nach einem »härteren« Vorgehen der Polizei oder Versammlungsverboten entstehen.

Diese spielen jedoch dem Streben der Behörden nach mehr Befugnissen in die Hände, was aus einer Grundrechts- und demokratietheoretischen Perspektive sehr problematisch ist. Zudem werden sich Versammlungsverbote und mehr polizeiliche Befugnisse mittel- bis langfristig vor allem gegen linke Bewegungen richten.

Zur Person
Sebastian Hansen ist Mitglied bei den Grünen Bayern und zweiter Bürgermeister der Gemeinde Waldbüttelbrunn. Seine Kolumne ist eine gekürzte Fassung des Textes, der zuerst auf seinen Blog seb-hansen.de erschienen ist.  

Diese doppelten Standards im Umgang mit Personen aus dem linken und rechten Spektrum wurden in den vergangenen Wochen besonders deutlich. So äußerte der unterfränkische Polizeipräsident Detlev Tolle bezüglich »Querdenken«-Versammlungen gegenüber der Presse: »Eine Auflösung einer Versammlung mit friedlichem Verlauf kommt aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in Frage.«

Das ist soweit richtig, hinderte die Würzburger Polizei allerdings nicht daran, den friedlichen Gegenprotest der Grünen Jugend Würzburg zu einer verbotenen »Querdenken«-Demo aufzulösen. Dieses Verhalten der Würzburger Polizei ist im speziellen Fall völlig inakzeptabel, im Allgemeinen aber symptomatisch für den polizeilichen Umgang mit Demonstrationen in Deutschland.

Aus dieser Situation heraus ergibt sich die schwierige Frage, ob und wenn ja wie man aus einer emanzipatorischen Perspektive heraus ein »härteres« Vorgehen der Polizei gegen »Querdenken« und Einschränkungen des Versammlungsrechts fordern sollte.

Klar ist, dass eine wehrhafte Demokratie Angriffe auf sich selbst abwehren muss, um ihnen nicht zum Opfer zu fallen. Klar ist auch, dass die Polizei für den Umgang mit Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zuständig ist. Dennoch ist die Polizei nicht nur Teil der Lösung und »Werkzeug« zur Bekämpfung der »Querdenker*innen«, sondern auch Teil des Problems.

Doppelte Standards und ein übertrieben hartes Vorgehen gegen den Gegenprotest behindern den Widerstand der Zivilgesellschaft und die oft fehlende Sanktionierung der Verstöße ermuntert »Querdenken«, sich weiter zu radikalisieren.

Eine Kritik an »Querdenken« muss deswegen immer auch eine Kritik an den Verhältnissen sein, in denen diese Bewegung groß werden konnte. Verantwortlich dafür ist nicht nur die Polizei, sondern auch Verharmlosung durch führende Politiker*innen sowie die mangelhafte Analyse der Ideologie dieser Bewegung. Gleichzeitig müssen diese Probleme jetzt behoben werden. Es ist notwendig, klare Regeln aufzustellen, die die Versammlungsfreiheit und gleichzeitig den Gesundheitsschutz garantieren. Die Allgemeinverfügungen, die beispielsweise einige bayerische Städte zuletzt zum Verbot unangemeldeter »Querdenken«-Demonstrationen erlassen haben, sind ein harter Einschnitt in die Versammlungsfreiheit.

Sie sind angesichts der andauernden Regelbrüche als Ultima Ratio jedoch notwendig. Durchsetzen muss diese Regeln dann die Polizei. Und hierbei sollten wir ein effektives, aber keinesfalls übermäßig gewalttätiges Vorgehen erwarten, so wie zuletzt in München. Dass Polizist*innen sich bei tätlichen Angriffen verteidigen können müssen, ist selbstverständlich, aber aus einer emanzipatorischen Perspektive darf die Gewalt des Staates niemals Selbstzweck sein.

Trotz aller notwendigen und vollkommen berechtigten staatlichen Maßnahmen muss »Querdenken« jedoch vor allem auch politisch bekämpft werden. Die Zivilgesellschaft muss zeigen, wo sie steht, denn die Demokratie muss gegen die Angriffe der »Querdenker*innen« verteidigt werden. Und zwar von uns.

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