Ohne Maske bei Rot über die Straße

Corona-Protest in Bernau und anderswo ungehindert - in Potsdam von einer Reiterstaffel gestoppt

  • Andreas Fritsche, Bernau
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf dem Bahnhofsvorplatz von Bernau hängen an einem Bauzaun zwei Transparente. Das eine fordert dazu auf, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Das andere gedenkt der 61 Todesopfer der Pandemie in der Stadt Bernau. Auch an 293 Opfer im Kreis Barnim und 4408 im Land Brandenburg wird erinnert. Die Zahlen sind nicht auf dem neuesten Stand. Mittlerweile sind im Kreis 311 und im Land 4815 Menschen gestorben.

Ein Pärchen geht am Montagabend achtlos an den Transparenten vorbei und strebt der Bürgermeisterstraße zu. Dort versammeln sich Hunderte mit Kerzen, um gegen die Corona-Maßnahmen und gegen einen Impfzwang zu protestieren. Das Pärchen reiht sich ein. Ansprachen gibt es nicht. Kurz nach 18 Uhr setzt sich die Menge in Bewegung und läuft kreuz und quer durch die Stadt, zumeist auf dem Bürgersteig, aber auch mal über die Fahrbahn der Nelkenstraße. Dort rollt ein Auto im Schritttempo in der Lücke des Zuges mit, in die es hineingerät. Es ist einer der angeblich spontanen Abendspaziergänge. Doch gibt es ein paar Männer und Frauen, die das Ganze zu dirigieren versuchen. Sie lotsen die lange Schlange auch dann noch über eine Kreuzung, als die Fußgängerampel auf Rot wechselt. Manche bleiben aber doch lieber stehen. Es wird das Kommando durchgegeben, vorne zu warten, bis alle aufgeschlossen haben.

»Frieden, Freiheit, keine Diktatur«, wird gerufen. Eine Frau an der Spitze formt mit den Händen einen Trichter vor dem Mund und brüllt immer wieder: »Hände weg von unseren Kindern!« Sie animiert dazu, die Losung aufzunehmen, was nur zögerlich geschieht.

Die Mehrzahl der Teilnehmer trottet einfach nur mit und führt dabei Gespräche, die sich um die Corona-Proteste drehen. Da wird entgeistert berichtet, eine Bekannte habe ihr neunjähriges Kind impfen lassen. Da wird begeistert erzählt, es gebe heute in Deutschland 529 Protestaktionen.

Den Hinweis, es seien in Brandenburg zuletzt immer mehr Versammlungen gewesen, aber insgesamt keine größer werdende Zahl von Teilnehmern, kommentiert eine Frau: »Glaube ich nicht!« Stattdessen glaubt ein Mann, die Regierung müsse bald abtreten. »Die werden sich umgucken. Dauert nicht mehr lange«, ist er sich sicher. Ein Glas mit einer brennenden Kerze hängt an seinem Gürtel. Er hält Händchen mit seiner Partnerin, die in einer Tour über Politiker schimpft. Er bestätigt sie: »Genauso ist es!«

Eine Maske trägt hier niemand, obwohl das bei Demonstrationen Pflicht ist. An Fenstern und auf Balkonen zeigen sich Anwohner. »Schließt euch an«, werden sie aufgefordert. Vergeblich! Trotzdem sind rund 1000 Teilnehmer unterwegs, vielleicht auch etwas mehr. Damit wäre die in Brandenburg derzeit zulässige Obergrenze überschritten. Die Polizei lässt die Leute aber gewähren. Ab und an kreuzt ein Streifenwagen den Weg, dann ist wieder weit und breit kein Beamter zu sehen. In der Nähe des Startpunkts befindet sich ein Büro der Linken. Im Schaufenster hängt der offene Brief aus, in dem das Bernauer Netzwerk für Weltoffenheit Unverständnis und Sorge über die Spaziergänge äußerte.

Am Montagabend gibt es es nach Kenntnis der Polizei in Brandenburg 93 Corona-Versammlungen an 76 verschiedenen Orten. 63 Versammlungen sind nicht angemeldet. Polizisten nehmen 60 Strafanzeigen und 220 Ordnungswidrigkeiten auf. Insgesamt zählen die Proteste 26 000 Teilnehmer, davon 4000 in Cottbus. In Potsdam demonstrieren Hunderte, obwohl die Versammlung hier verboten wurde. Eine Reiterstaffel hindert die Leute am Weiterlaufen. In Angermünde marschiert die Nazipartei »Der dritte Weg«.

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