Im Visier der libyschen Milizen

Geflüchtete werden Opfer willkürlicher Festnahmen

  • Mirco Keilberth, Tunis
  • Lesedauer: 4 Min.

Libysche Sicherheitskräfte sind erneut gewaltsam gegen Migranten und Flüchtlinge vorgegangen. In dem Tripolitaner Stadtteil Ain Zara fuhren am frühen Montagmorgen gepanzerte Fahrzeuge der sogenannten Jansour-Brigade und anderer Milizen auf. Vermummte Uniformierte gingen dann gegen einen Sitzstreik Hunderter Menschen aus dem Südlichen Afrika vor. Nach Angaben libyscher Medien wurden über 600 Menschen festgenommen. Die Migranten und Flüchtlinge hatten vor dem lokalen Hauptquartier des Flüchtlingshilfswerks UNHCR gegen ihre Lebensumstände protestiert.

In den vergangenen Monaten hatten unter dem Befehl des Innenministeriums stehende Bewaffnete mehrere Unterkünfte in der Zwei-Millionen-Stadt Tripolis geräumt. In dem Stadtteil Gargaresch waren alle Schwarzen Geflüchteten aus ihren Wohnungen geholt oder auf offener Straße verhaftet und auf Pick-ups abtransportiert worden.

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Nach Misshandlungen und Mangel an Nahrungsmitteln brach in einem Gefängnis ein Aufstand aus; mehreren Tausend der zuvor Festgenommenen gelang die Flucht in die Industrieviertel wie Ain Zara. Bei libyschen Firmen verdienen die Migranten als Tagelöhner zumindest das Geld zum Überleben. Doch seit die Regierung von Übergangspremier Abdelhamid Dbaiba immer wieder gegen die insgesamt auf über 20 000 geschätzten Nicht-Libyer in Tripolis vorgeht, trauen sich immer weniger Libyer, den Menschen eine Wohnung zu vermieten.

Vor der Revolution war das ölreiche Libyen ein beliebtes Ziel von Arbeitsmigranten aus der Region. Weil Arbeitsgenehmigungen kaum noch ausgestellt werden, halten sich fast alle, die aus West- oder Zentralafrika auf dem Weg nach Europa sind, im zum Transitland gewordenen Libyen illegal auf. Milizen nehmen die Menschen wie Verbrecher fest, um sie nach Lösegeldzahlungen von Familie oder Freunden wieder freizulassen.

Die im Oktober aus Gargaresch und nun am Montag aus Ain Zara Vertriebenen fordern von den libyschen Behörden und vom UNHCR daher einen offiziellen Aufenthaltsstatus und bessere Lebensbedingungen oder die Ausreise aus Libyen. Erst letzten Sommer hatten sich die Uno und die libyschen Behörden darauf geeinigt, die meisten Gefängnisse für Migranten zu schließen und die Integration der Menschen in Tripolis zu fördern. Doch libysche und aus den Herkunftsländern stammende Menschenhändler unterwanderten das Abkommen.

Der libysche Menschenrechtsaktivist Almoatassam Senoussi berichtet gegenüber »nd«, dass er und seine Kollegen immer wieder von unbekannten Männern daran gehindert werden, den vor dem UN-Gebäude übernachtenden Menschen zu helfen. Bis vor Kurzem brachte er den aus ihren angemieteten Wohnungen Vertriebenen Lebensmittel und Medikamente. »Wir haben Mütter mit Kindern und Menschen mit Knochenbrüchen versorgt, bis uns diese Männer mit den libyschen Milizen gedroht haben, mit denen sie wohl zusammenarbeiten«, so Senoussi.

Abhörprotokolle der italienischen Staatsanwaltschaft in Catania erklären, warum die Allianz der Menschenhändler jeden Kontakt ihrer Kunden mit der Außenwelt fürchtet. »Der Transport der Leute ist von der Abreise bis zur Ankunft auf Sizilien genauestens geplant«, sagt die Staatsanwältin Lina Trovato, die auf Mafia-Fälle und Schmugglernetzwerke spezialisiert ist.

Migranten, die das »nd« über soziale Medien am Dienstag in Tripolis erreicht hat, berichten vom Abtransport der in Ain Zara Festgenommenen in die Küstenstädte Sabratha und Zauwia, von wo in den letzten Wochen trotz der winterlichen Stürme immer wieder Boote ablegten. »Man will uns aus Tripolis weghaben«, berichtet ein Mann aus der Elfenbeinküste. Der Menschenrechtsaktivist Tarik Lamloum berichtete, dass die Truppen bei ihrer Aktion sämtliche Zelte, provisorische Küchen und Behelfsunterkünfte zerstörten. In sozialen Medien kursieren Videos von brennenden Zelten und in Panik fliehenden Migranten.

Aktivisten wie Senoussi kritisieren, dass die Helfer der Vereinten Nationen im Dezember ihre Stadtteilzentren in Tripolis geschlossen hatten. Dort versorgte das UNHCR die aus den Camps Entlassenen unter anderem mit Lebensmitteln und Identitätskarten. »Die Milizen glauben, mit dem strikten Vorgehen gegen die Fremden die Unterstützung der Bevölkerung zurückzugewinnen«, sagt Senoussi. Er hatte bis zum letzten Moment Schwangere und Verletzte heimlich zu Ärzten gebracht.

Politische Beobachter nehmen an, dass auch der derzeitige Premier Dbaiba mit der Räumung des Lagers in Ain Zara seinen Ruf als Macher verfestigen will. Sein Mandat ist am 25.Dezember abgelaufen. Nachdem die geplanten Wahlen auf unbestimmte Zeit verschoben wurden, will der Geschäftsmann aus Misrata zusammen mit seinen fast 30 Ministern weiter im Amt bleiben.

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