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Durchbruch nach zehn Jahren

Nach Sachsen bekennt sich jetzt auch der Bund zu einem NSU-Dokumentationszentrum. Das Konzept soll Ende 2022 stehen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Satz im Regierungsprogramm der Berliner Ampelkoalition aus dem Dezember 2021 bricht einen Bann. »Wir unterstützen die Errichtung eines Erinnerungsortes sowie eines Dokumentationszentrums für die Opfer des NSU«, ist im Abschnitt »Zivilgesellschaft und Demokratie« zu lesen. Engagierte wie Hannah Zimmermann sind erleichtert über das klare Bekenntnis von SPD, Grünen und FDP im Bund: »Wir haben eines unserer größten Ziele erreicht.«

Zimmermann arbeitet im Projekt »Offener Prozess«, das sich in Sachsen seit Jahren der Auseinandersetzung mit den Mordtaten des NSU und ihren Hintergründen widmet. Die rechtsterroristische Zelle hatte in den Jahren 2000 bis 2007 neun Geschäftsleute mit Migrationshintergrund und eine Polizistin ermordet, Bombenanschläge und Banküberfälle verübt. Das in Jena gebürtige Kerntrio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe lebte in der Zeit in Chemnitz und Zwickau im Untergrund. Es gilt als sicher, dass es ein umfangreiches Netzwerk von Unterstützern aus der lokalen rechtsextremen Szene gab. Dass es jahrelang ungestört morden konnte, lag auch an massiven Versäumnissen von Polizei und Verfassungsschutz.

Bald, nachdem der NSU am 4. November 2011 aufgeflogen war, wurde gefordert, die Aufarbeitung zu institutionalisieren. Die damalige Zwickauer Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) regte ein Dokumentationszentrum für Opfer rechter Gewalt an. Es sollte in der Stadt angesiedelt werden, wo sich in der Frühlingsstraße 26 der letzte Unterschlupf des NSU befunden hatte. Es brauche aber Hilfe von Bund und Land: »Allein sind wir überfordert«, sagte Findeiß. Ihr Wunsch verhallte indes ungehört. Auch nachdrückliche Appelle von Opfervertretern und aus der Zivilgesellschaft änderten daran nichts.

Nach der Bundestagswahl 2021, immerhin zehn Jahre nach Auffliegen des NSU, ging erneut ein Brief an die künftigen Koalitionäre. Der NSU-Komplex spiegele »beispielhaft den Umgang der Gesellschaft mit rechter Gewalt und rechtsterroristischen Strukturen«, hieß es in dem von 190 Menschen, Vereinen und Initiativen unterzeichneten Schreiben; es brauche »einen Ort, an dem Erkenntnisse und Erfahrungen gesammelt, aufbereitet, vermittelt und diskutiert werden«. Diesmal hatte das Ansinnen Erfolg: Die neue Bundesregierung stellte sich hinter das Anliegen.

Damit kommt nun endgültig Bewegung in die Sache. Schon Ende des Jahres könnte eine Konzept- und Machbarkeitsstudie vorliegen, sagt Robert Kusche, Geschäftsführer der RAA Sachsen. Die Bildungs- und Beratungsinitiative hat derzeit eine Stelle ausgeschrieben, um den Prozess bis dahin zu steuern und zu koordinieren. Geld dafür kommt von der sächsischen Landesregierung. Die Koalition von CDU, Grünen und SPD hatte sich in ihrem Regierungsprogramm Ende 2019 ebenfalls bereits hinter das Anliegen gestellt. Bei einem Gedenk- und Bildungstag zehn Jahre nach Selbstenttarnung des NSU überreichte Justizministerin Katja Meier (Grüne) im November 2021 einen Fördermittelscheck über 95 000 Euro für die konzeptionelle Planung des Dokumentationszentrums. Die Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex sei »von nationaler Tragweite«, sagte die Ministerin - und noch mehr: »Viele Menschen aus ganz Europa werden auf Sachsen schauen.«

In den nächsten Monaten, sagt Kusche, seien nun auf vier Fachforen grundlegende Fragen zu beantworten: »Was soll das Zentrum leisten, wer trägt es, welche Räumlichkeiten braucht es dafür, und nicht zuletzt: Wo soll es angesiedelt werden?« Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Einrichtung in einer der drei Städte errichtet wird, die mit den Tätern in Verbindung stehen: Zwickau, Chemnitz, Jena. Auch Kommunen wie Dortmund seien interessiert und wollten sich beteiligen, sagt Zimmermann. Mit Blick auf die Kontinuität rechtsterroristischer Strukturen sowie Wahlergebnisse halte sie es aber für sinnvoll, das Zentrum in Sachsen oder zumindest in Ostdeutschland anzusiedeln: »Hier gibt es noch viel aufzuarbeiten.«

Offiziell ihr Interesse bekundet hat bisher keine der drei Städte. Zimmermann denkt, dass eine vom »Offenen Prozess« erarbeitete gleichnamige Exposition Ausgangspunkt für eine zukünftige Dauerausstellung sein könnte. Sie tourt derzeit mit Erfolg durch Europa und wird ab 2023 wieder in Chemnitz zu sehen sein. Das Justizministerium verweist auf das dortige Konzept als Europäische Kulturhauptstadt 2025. Es habe die Idee eines NSU-Dokumentationszentrums »erfolgreich« aufgenommen; dieses solle 2025 als »Living Archive« (lebendiges Archiv) im Besucherzentrum der Kulturhauptstadt eröffnet werden, teilt das Ministerium im kürzlich verabschiedeten Gesamtkonzept der Regierung gegen Rechtsextremismus mit. Für Chemnitz spreche nach Ansicht von Zimmermann neben der Aufmerksamkeit aus Europa auch die Nähe zu einer Universität. In Zwickau gebe es aber eine sehr engagierte Zivilgesellschaft, die sich beharrlich für das Zentrum einsetze.

Dort zeigt sich die neue Oberbürgermeisterin Constance Arndt (parteilos) offen für die Ansiedlung. Die Idee gehe auf ihre Vorgängerin zurück »und wird von mir ebenfalls befürwortet«, erklärte sie vor einigen Wochen im Stadtrat. Von dort kommt indes Gegenwind. CDU-Stadtrat Gerald Otto sieht die Gefahr, dass Zwickau mit dem Zentrum als »Täter:innenstadt« wahrgenommen werde.

Konkret wird die Frage aber ohnehin erst, wenn inhaltliche Fragen geklärt sind. Bisher ist von einem Haus die Rede, das Raum für Dauer- und Wechselausstellungen hat, Anlaufstelle für Forschungen ist, ein Archiv beherbergt und Bildungsangebote ermöglicht. Zimmermann hält es zudem für unabdingbar, dass die Perspektive und Erfahrungen der migrantischen Gemeinschaften einbezogen werden und ein Begegnungsort für diese entsteht. Diese anzuhören und zu beteiligen, sei eine der wichtigsten Erfahrungen aus dem Umgang mit dem NSU-Komplex. Damit solche Forderungen berücksichtigt werden, gibt es seit Dezember einen »Gründungskreis« mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, der den weiteren Prozess eng begleiten will.

Unklar ist für alle Beteiligten bisher, wie groß sie planen können und müssen. Das dürfte nicht zuletzt davon abhängen, wie der Bund sein politisches Bekenntnis auch finanziell untersetzt. Die Frage ist bisher offen. Für ein Konzept, das einen Neubau beinhaltet, könnten Schätzungen zufolge 50 bis 70 Millionen Euro fällig werden. Intern wird damit gerechnet, dass die Pläne Ende 2023 stehen und ab 2024 gebaut werden könnte. Läuft alles gut, könnte das Dokumentationszentrum Ende des Jahrzehnts eröffnen.

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