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Neuerscheinungen, annotiert: Gedichte über die Pandemie, Liebe und Horror
Corona-Gedichte (1)
Pandemie und kein Ende: Schon November 2020 hat Dorle Gelbhaar den Band »Liebe in Corona-Zeiten« veröffentlicht. An ihren »Satzfetzen Gedichten« muss sie auch 2022 nicht viel ändern, scheint es. 2020 war sie noch sehr verwundert, aber auch schon mit der Historisierung der Katastrophe beschäftigt. Ein Gedicht heißt »Masken-Reminiszenz«: »Ein längst vergangener Spätherbst. Nasskalt / Matschwetter. Von den japanischen / Studierenden, die zu einem Schnupperkurs nach / Berlin an die Humboldt-Universität / gekommen sind, haben sich einige erkältet. / Sie tragen Masken. / Ein ungewohnter Anblick.« Um dann das Gedicht »Ein Problem« zu schreiben – bzw. ein solches zu haben: »Vor der öffentlichen Toilette. Ohne Maske« (Hirnkost, 178 S., geb., 14 €).
Corona-Gedichte (2)
Vor knapp vier Jahren schrieb Safiye Can über »Kinder der verlorenen Gesellschaft«, nun geht es um »Poesie und Pandemie«. So heißt ein Poem, in dem wie ein Refrain immer wieder diese Zeilen vorkommen: »Wir haben in diesem Jahr gelernt / dass der Notstand über Nacht kommt / unangemeldet /plötzlich da ist.« Und dann? »Wir haben dieses Jahr alles gewaschen / was uns in die Quere kam: / den gesamten Einkauf, die Einkaufstüte / den Einkaufenden. / Wir haben dieses Jahr gelüftet / wie es nur ging: Wohnungen, Büros und Gedanken.«
Es gibt aber auch explizit politische Gedichte in dem Band. Sehr gut sind »Wenn du eine Frau bist« (mit der Pointe »Wenn du ein Mann bist, kämpfst du für Frauenrechte«) sowie »Einzeltäter«: »Ein Einzeltäter / nur ein Einzeltäter / ein Einzeltäter nur / noch ein Einzeltäter / und noch ein Einzeltäter (...) und noch ein aller / letzter Einzeltäter / nur einer noch / wirklich / dann wird alles /wieder gut« (Wallstein, 96 S., geb., 18 €).
Gedichte und Horror
Katrin Göring-Eckhardt von den Grünen unterstützt den etwas putzigen Vorschlag, der Bundestag solle eine Parlamentsdichter*in anstellen. Dabei hat Axel Kutsch doch schon eine Sammlung »deutschsprachiger Grusel- und Horrorgedichte« herausgegeben – unter dem Titel »Fährten des Grauens« (mit imposanten Zeichnungen von Reinhard Kleist). Darin finden sich Klassiker wie »Erlkönig« von Goethe und »Erlkönigs Tochter« von Herder, aber auch jüngere Gedichte wie »Der Wachmann, seine Frau und ihr Liebhaber« von Michael Wildenhain (»Mal so oder mal so / dachten Passanten als die Schüsse fielen / jemand schlägt Türen oder Kinder spielen«). Und was hört man »Nachts auf dem Friedhof«, Jan-Eike Hornauer? Logisch: »Was bringt’s, wenn man flieht?« (Verlag Ralf Liebe, 247 S., geb., 22 €).
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