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Wodka Rotbäckchen
Spaß und Verantwortung: Karmapunkte auf dem Konto
Dieses Jahr fing für mich nicht besonders gut an. Schon in der ersten Januarwoche kam die Mitteilung, dass meine Kreditkarte wegen kontinuierlich unvollständiger Kontodeckung leider bis auf Weiteres gesperrt sei; ein paar Tage später kam die Abrechnung - und ihre Konsequenz direkt auf mein Girokonto: Ich war nun, plötzlich, 1500 Euro im Minus. Als ich am nächsten Tag zu meinem Impftermin stolperte, zu Fuß, weil kein Geld für die BVG-Karte, kam das Nächste auf mich zu: Auch meine Krankenkassenkarte war gesperrt. Bestimmt, weil ich die Beiträge nicht gezahlt habe, dachte ich sofort.
Zu Hause wartete dann im Briefkasten eine weitere Überraschung: Das Rechtsanwaltsbüro »Frommer Legal« aus München schrieb mir eine Rechnung über knapp 1000 Euro, weil jemand bei mir zu Hause einen Film illegal heruntergeladen hatte. Ich selbst konnte diese Person nicht gewesen sein - nicht, weil ich aus moralischen Gründen kein Download betrieb, sondern weil ich technisch so unbedarft bin, dass ich nicht mal weiß, wie man sich einen Adblocker herunterlädt.
Ich wusste aber genau, wer dieser Jemand war, der an meiner Stelle Download betrieben - und auch, welchen Film er gesehen hatte. Mein Freund P. aus Wien hatte nämlich kurz vor Weihnachten zwei Wochen lang heftig grippekrank auf meinen Dachboden verbracht. Er war sozusagen auf meiner fleckigen Gästematratze gestrandet, während ich selbst 24/7 zwischen meinen diversen Nebenjobs unterwegs war und keine Zeit hatte, ihm eine Hühnersuppe zu kochen. Der Höhepunkt meiner Fürsorge war, dass ich ihm eine Flasche »Rotbäckchen Immunstark« bei Rossmann kaufte, von der ich selbst aber die Hälfte trank - gemischt mit Wodka. »Wodka Rotbäckchen«, so dachte ich, könnte mein neues persönliches Kultgetränk des Winters werden, indem es zwei normalerweise entgegengesetzte Funktionen gleichzeitig erfüllte: Es macht besoffen und stärkt zugleich das Immunsystem.
Ich war P. wirklich eine besonders schlechte Gastgeberin gewesen. Vor allem weil ich mich weigerte, den Dachboden, auf dem er dahinsiechte, überhaupt zu betreten - die Angst, mich anzustecken, war zu groß, auch weil unter meinen sieben Nebenjobs leider keiner war, bei dem ich bezahlte Krankheitstage habe. P. jedenfalls hatte sich damit getröstet, sich in den langen Tagen auf dem schlecht beheizten Dachboden diverse Architektur-Dokumentationen anzuschauen - vor allem das Ehepaar Aino und Alvar Aalto hatten es ihm angetan. Ich war beeindruckt von seiner Disziplin, denn ich selbst hatte in den vergangenen Monaten hauptsächlich koreanische Romantic Comedies auf Netflix geschaut (ein Genre, das ich übrigens sehr empfehlen kann - unter anderem weil die Charaktere meistens laut aussprechen, was sie denken, und man sein Hirn deshalb eigentlich komplett abschalten kann).
Mein hingebungsvollster Moment mit P. war seine letzte Nacht auf dem Dachboden, als ich, endlich ohne Angst vor einer Tröpfchen- oder Schmierinfektion, todmüde (weil überarbeitet) auf seiner Bettdecke liegend, voll bekleidet mit Mantel und Schuhen eingeschlafen war. Der arme P. hatte sich dann nach unten schleppen und sich eine zweite Decke aus meinem Bett holen müssen.
P. jedenfalls sah seine Schuld sofort ein - und überwies mir knapp 1000 Euro, die ich dann, nach kurzem Zögern, ob ich sie vielleicht behalten sollte, direkt an »Frommer Legal« nach München weiterleitete.
Inspiriert von P.s zupackender Initiative nahm ich all meinen Mut zusammen und rief bei der Techniker Krankenkasse an, um mich nach der nicht funktionierenden Chipkarte und meinem Finanzstatus zu erkundigen. Die wahnsinnig nette Frau am Telefon, nur zwei Straßen von meiner Wohnung entfernt, begrüßte mich mit den Worten: »Frau Hohmann, ich wollte Sie heute sowieso anrufen!«
Ich bekam sofort panische Atemnot. Sie erklärte mir, dass ich durch meinen kürzlichen Eintritt in die KSK nun eine Rückerstattung der Beiträge des vergangenen halben Jahres und deshalb ein Guthaben von 1500 Euro bei der Techniker Krankenkasse hätte. Das Geld würde mir in den nächsten Tagen auf mein Girokonto überwiesen werden.
Zwei Tage später war mein Kontostand bei genau null Euro und ich immens erleichtert. Als ich P. von dem Ereignis erzählte, sagte er, es würde sich dabei um Karma handeln. »Kein Minus, kein Plus - das ist genau das, was du verdienst.« Ich glaube, er ist immer noch ein bisschen sauer, dass ich ihm die Bettdecke weggenommen habe.
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