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Impfpflicht mit Vergewaltigung verglichen
Impfgegner*innen vergleichen die Imfpflicht gegen das Corona-Virus mit Vergewaltigung
Das Wort Vergewaltigung trendet auf Twitter. Das ist nie - wirklich nie - ein gutes Zeichen. Das liegt zum einen am Sachverhalt selbst, zum anderen an den zum Teil wirklich unsensiblen Diskussionen, die zu konkreten Fällen geführt werden. Das Thema ist auch deshalb so präsent, weil die Berufungsverfahren des brasilianischen Fußballstars Robinho abgewiesen wurde; ein italienisches Gericht hatte ihn wegen der Beteiligung an einer Gruppenvergewaltigung verurteilt.
Ein weiterer Grund ist die Debatte über die von der Bundesregierung geplant allgemeine Impfpflicht. Dazu ging ein achtsekündiges Video von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) viral.
Das Internet ist voller Debatten, Aufregung und Absurditäten. Jeden Donnerstag schauen wir uns die bizarrsten, lustigsten oder wichtigsten Momente im Netz an. Ob hitzige Diskussion auf Twitter oder lustiger Trend auf TikTok: In unserer Rubrik »Aus dem Netz gefischt« greifen wir es auf. Texte zum Nachlesen: dasnd.de/gefischt
Der ausgebildete Mediziner hatte am Mittwoch in der Abendausgabe der »Tagesschau« gesagt: »Es wird ja niemand gegen seinen Willen geimpft, selbst die Impfpflicht führt ja dazu, dass man sich zum Schluss freiwillig impfen lässt.« Bei den »G2-Erpressten und Impfpflichtopfern«, wie sie sich selber nennen, löste das Empörung aus. Die Definition von Freiwilligkeit stand für sie in direktem Widerspruch zu der Pflicht, sich ein Vakzin zum Schutz vor dem Corona-Virus geben zu lassen. Eine Pflicht ist noch immer kein Zwang, aber dazu später mehr. Es folgte eine unschöne Tatsachenverdrehung. Die Impfgegner*innen in den sozialen Medien glauben, eine Impfpflicht mit einer Vergewaltigung vergleichen zu müssen: »Es gibt keine Vergewaltigung mehr. Jede Form von Zwang führt ja dazu, dass man zum Schluss freiwillig mitmacht« lautet so ein typischer Kommentar. Für viele ist natürlich nicht Lauterbachs Rhetorik das Problem, sondern das zukünftige Geimpftwerden an sich, für eine Userin ist das eine Vergewaltigung »mit ggf. tödlichen Ausgang, bleibender Behinderung oder Schädigung«.
Doch in der Kausalkette des Impfpflicht-Narrativs wird ein wichtiges Verbindungsstück vergessen: Eine Pflicht ist eine Verpflichtung, auch auf moralischer Ebene. Im Fall von Corona steht das Wohl der Allgemeinheit über dem Recht auf Unversehrtheit des Individuums. Ein Zwang ist eine Praktik der Durchsetzung. Eine Zwangsimpfung würde bedeuten, jemanden womöglich auch mit Gewalt zum Impfen zu bringen. Verfassungsrechtlich ist das gegenwärtig gar nicht möglich.
Ein traumatisierendes Verbrechen wie eine Vergewaltigung mit medizinischer Versorgung gleichzusetzen ist eine besondere Form der Tatsachenverdrehung. Denn so ein Vergleich verhöhnt und erniedrigt die Opfer sexualisierter Gewalt zusätzlich, in dem ihr Leid in einen absurden Kontext gerückt wird. Bei einer Vergewaltigung handelt es sich um direkte, unmittelbare, körperliche und psychische Gewalt, der man nicht entkommen kann. Das stellten auch User*innen im Netz klar: »Impfen mit Vergewaltigung gleichzusetzen ist ein Schlag ins Gesicht für die Personen, die eine Vergewaltigung erlebt haben« hieß es hier unter anderem.
Der Vergleich hinkt: Immer häufiger finden NS-Vergleiche ihren Weg in den aktuellen politischen Diskurs. Es geht um Aufmerksamkeit und Provokation und, das Sagbare auszuweiten.
Schon in der Vergangenheit hatten sich Impfgegner*innen feministische Forderungen angeeignet und verdreht. So war bei Impf-Protesten in den USA und Europa der Slogan »My body, my choice« zu hören, der ursprünglich für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche steht. Die Impfgegner*innen rissen ihn aus dem Kontext, was eine dreiste Vereinnahmung ursprünglich frauenrechtlicher Kernforderungen ist. Ähnlich absurd sind die geschichtlichen Vergleiche, die sich erschreckend häufig Analogien zur NS-Zeit herstellen: So werden die Corona-Impfungen oft mit dem Holocaust gleichgesetzt. Ein Organisator von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in Ofterding bei Tübingen soll gesagt haben, Impfärzt*innen seien schlimmer als der SS-Arzt Josef Mengele, der für grausame Menschenversuchen bekannt wurde. Ein elfjähriges Mädchen verglich sich auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen mit Anne Frank, weil sie ihre Geburtstagsparty entgegen der pandemischen Auflagen mit ihren Freund*innen leise feiern musste. Jana aus Kassel fühlte sich schon letztes Jahr wie Sophie Scholl, weil auch sie seit Monaten im Widerstand sei. Der Vize-Oberbürgermeister des sächsischen Freibergs, Holger Reuter, stellte die Coronapolitik, als angebliches »Kesseltreiben gegen Ungeimpfte« auf eine Stufe mit dem Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/1916. Seit knapp zwei Jahren kommen aus der Querdenker-Szene immer wieder Aussagen wie diese. Das ist Geschichtsrevisionismus. Der Vergewaltigungsvergleich jedoch ist neu, doch dass auch diese Grenze des Anstandes nicht gewahrt wurde, kann nicht wirklich mehr überraschen.
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