Werbung

Rebellion gegen das Artensterben

Der Konzern Bayer ist einer der größten Umweltverbrecher der Welt, kritisieren Aktivist*innen

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Spruch »Rebel for Life« ist eine Anlehnung an den Bayer-Slogan »Science for a Better Life«.
Der Spruch »Rebel for Life« ist eine Anlehnung an den Bayer-Slogan »Science for a Better Life«.

Eine Gruppe von etwa 15 Personen läuft am Freitagmorgen bei Grün über die Müllerstraße an der Ecke Fennstraße in Wedding. Bei Rot bleiben sie über die ganze Fahrspur verteilt stehen, rollen Banner mit den Aufschriften »animal rebellion« und »There is no planet B« aus. Ein Lkw und mehrere Autos kommen direkt vor ihnen zum stehen und hupen, doch die Straße ist blockiert, der Verkehr staut sich.

Einige Meter weiter die Müllerstraße hinunter, gegenüber der U-Bahn-Station Reinickendorfer Straße, haben weitere Aktivist*innen der Umweltschutzbewegung Extinction Rebellion (XR) bereits den Eingang des dortigen Sitzes des Chemiekonzerns Bayer in Beschlag genommen. Fünf von ihnen haben das Vordach erklommen. Auf dem Schnee sind grüne – umweltverträgliche – Uranin-Farbe, gelbe Schilder mit chemischen Gefahrensymbolen und hölzerne »tote« Bienen verteilt. »Bayer Monsanto ist einer der größten Umweltverbrecher der Welt. Durch die Geschäfte von Konzernen wie Bayer verlieren wir Millionen Arten von Insekten«, sagt Annemarie Botzki vom XR-Presseteam.

Schluss mit lustig. Vom Klimastreik zur A100-Besetzung – Bewegungsbündnis fordert Gerechtigkeit

Das Leverkusener Unternehmen Bayer, das 2016 den US-Konzern Monsanto übernommen hat, gehört zu den größten Herstellern des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat, ein sogenanntes Totalherbizid, bekannt unter dem Namen »Roundup«. Es tötet jede Pflanze, die nicht gentechnisch verändert wurde, und kommt vor allem in der industriellen Landwirtschaft zum Einsatz – obwohl es extrem schädlich für Böden, Gewässer, Tiere und Menschen ist. Bayer selbst widerspricht: Glyphosat erlaube eine »schonende Bodenbearbeitung«, sichere Landwirt*innen »eine höhere Profitabilität ihrer Betriebe« und sei laut verschiedener Zulassungsbehörden »gesundheitlich unbedenklich«, sagt Konzern-Sprecher Hans-Bernd Schmitz.

In den USA klagen jedoch bereits Tausende Menschen, die Krebserkrankungen auf den Kontakt mit Roundup zurückführen, gegen das Unternehmen. »Bayer Monsanto verdient Geld damit, dass Böden zerstört werden und Arten sterben«, sagt XR-Aktivistin Judith zu »nd«. Sie wohne gleich um die Ecke »und ich ärgere mich jeden Tag über diesen Scheiß-Konzern«. Laut Hans-Bernd Schmitz entbehre es jeder wissenschaftlichen Grundlage, das Artensterben einem einzigen Wirkstoff zuzuschreiben. Er verweist darauf, dass auch durch Bebauung Lebensräume zerstört würden.

Mit der Aktion fordert XR von der neuen Bundesregierung ein Artenschutz-Sofortprogramm. »Die Regierung ist verantwortlich dafür, solche Konzerne, die unsere Lebensgrundlagen zerstören, zu stoppen. Dazu gehört ein Verbot von Glyphosat«, sagt Annemarie Botzki. Das müsse Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) auf europäischer Ebene vorantreiben. In diesem Jahr will die EU darüber entscheiden, ob Glyphosat weiter genutzt werden darf. Die aktuelle Genehmigung läuft im Dezember 2022 aus. Bayer-Sprecher Schmitz ist optimistisch, dass Glyphosat »eine breite und solide wissenschaftliche Basis für die Wiederzulassung in Europa« hat.

Laut dem Bericht der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt hat Deutschland bereits jedes der für 2020 gesetzten Biodiversitätsziele verfehlt. »Das ist Zeichen eines kaputten Systems. Biodiversität ist unsere Lebensgrundlage«, sagt Judith. Sie betont jedoch, dass nicht die Beschäftigten von Bayer dafür angeklagt werden sollten und fordert von der Berliner Regierung, andere Jobs zu schaffen, damit die Arbeiter*innen nicht bei einem Umweltsünder ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Dennoch bittet ein Redner die Mitarbeiter*innen des Konzerns, »sich die Wahrheit anzusehen.«

Kann Berlin Paris? Zu vage, ein schwacher Auftakt bis hin zu »Zerstörungskurs«: Klimainitiativen üben harte Kritik am rot-grün-roten Sondierungspapier

Die Straßenblockade wurde inzwischen von der Polizei aufgelöst, alle etwa 40 Aktivist*innen haben sich nun vor dem Bayer-Eingang eingefunden und sinken für ein »Die-in« auf den verschneiten Boden. Mit dem Totstellen wollen sie darauf aufmerksam machen, »dass erst die Tiere sterben, dann die Ökosysteme und in der Folge auch wir Menschen«, so der XR-Aktivist am Mikrofon. »Bitte entzieht euch diesem System!«, ruft er. Obwohl die Protestaktion nicht angemeldet war, hat die Polizei sie inzwischen als politische Versammlung genehmigt. Die Aktivist*innen, einige von ihnen in Bienen- und anderen Tierkostümen, tanzen nun zum Bee Gees-Song »Stayin’ Alive« und zu »Deine Schuld« von den Ärzten.

Anschließend macht XR-Aktivistin Cléo Mieulet auf die Nachteile weiterer Bayer Monsanto-Produkte aufmerksam. Zum Beispiel darauf, dass Hybrid-Saatgut gentechnisch so verändert ist, dass es von Landwirt*innen nicht weiter vermehrt werden kann. »Es macht sie also abhängig von dem Konzern«, sagt sie. Außerdem würden Pestizide hergestellt, die in der EU bereits verboten sind, aber in Länder des globalen Südens exportiert werden. Unternehmenssprecher Hans-Bernd Schmitz verweist dabei auf die Zulassungsbehörden der jeweiligen Länder: »Ihre Bewertungen spiegeln die spezifischen agronomischen Bedingungen der jeweiligen Länder wider und stellen mitnichten einen von einigen NGOs vorgeworfenen Doppelstandard dar«, meint er. Cléo Mieulet dagegen findet, dass diese Exporte verboten werden sollten, genau wie das Glyphosat.

Ein Vorbild sei Mexiko, das den Einsatz des Herbizids ab 2024 verboten hat. Bayer will mit Verweis auf den Freihandel dagegen vorgehen, weil ihm sonst einer seiner wichtigsten Märkte wegbräche. »Der Gewinn von Bayer Monsanto ist unser Verlust«, sagt Mieulet. Dennoch sei die Agrarwende immer noch möglich, es brauche jedoch Fachkräfte, eine Transformation des Arbeitsmarktes und »eine Politik mit Rückgrat, die sich mit dem Bauernverband und mit Bayer Monsanto anlegt«. Dafür wolle Extinction Rebellion weiter Druck machen.

Aber auch die Berliner Politik müsse endlich handeln, fordert XR-Sprecherin Annemarie Botzki. »Die Regierung baut weiter Autobahnen, findet aber keine Antwort darauf, wie unsere Lebensgrundlagen, wie gesunde Böden und Wasser geschützt werden können«, sagt sie. Botzki setzt dabei auf den Klima-Bürger*innenrat, den der rot-grün-rote Senat laut seines Koalitionsvertrags einberufen will. Hier müsse die Rettung der Ökosysteme für den Klimaschutz mitgedacht werden.

Nach drei Stunden, gegen 11 Uhr, beendet XR die Protestaktion am Freitag. Lediglich die Aktivist*innen, die den Balkon in Beschlag genommen hatten, klebten sich dort selbst an, wurden jedoch von der Polizei hinausgebraucht. Zwei Personen, die ihre Personalien verweigerten, wurden in Gewahrsam genommen. Extinction Rebellion bewertet die öffentlichkeitswirksame Aktion gegen das Artensterben als Erfolg.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -