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Das Jahr der leeren Hände
Nach Joe Bidens verlustreichem Amtsauftakt droht ihm nun eine Totalblockade der Republikaner
Als vor Jahresfrist bei Amtseinführung des neuen Präsidenten in Washington die Erleichterung über das Verschwinden Donald Trumps mit der Hoffnung auf Erneuerung konkurrierte, markierte der Demokrat Joe Biden in seiner Einführungsrede für sein Land vier Krisen, die zu meistern seien: Corona-Pandemie, Klima, Wirtschaft und Rassismus. Er sah die USA, wirtschaftsstärkste Nation, innen wie außen im Niedergang und erklärte die Dringlichkeit, sie innen wie außen zu sanieren. Und die Bilanz?
Corona-Pandemie
Biden versprach, die USA von der Pandemie zu befreien. Bis zum Sommer schien das zu klappen. Die Impfquoten stiegen zwischenzeitlich, die Wirtschaft nahm Fahrt auf, am Independence Day, dem Nationalfeiertag am 4. Juli, erklärte er Amerikas Unabhängigkeit vom Virus. Aber Delta und Omikron zerschossen schon bald den Scheinfrieden - und die Regierung zeigte sich schlecht vorbereitet. Die Krankenhauseinweisungen sind derzeit höher als je zuvor, während die Zahl der Toten auf 900 000 zugeht.
Klima
Bei seiner Amtseinführung gelobte Biden, den »Überlebenshilferuf unseres Planeten« energisch zu beantworten. Die USA traten dem Pariser Klimaabkommen wieder bei und sicherten auf dem Klimagipfel in Glasgow die Halbierung ihrer Treibhausgas-Emissionen bis Ende des Jahrzehnts im Vergleich zu 2005 zu. Doch inzwischen werden gleich mehrere Kernprojekte der Regierung blockiert, behindert oder zunichte macht: Bidens Schlüsselvorhaben, das Klima- und Sozialpaket »Build Back Better« (BBB), im Erstentwurf mit 3,5 Billionen Dollar veranschlagt und bereits auf die Hälfte geschrumpft, hängt seit Monaten im Gesetzgebungsprozess fest. Die Blockade erfolgt nicht nur durch allgegenwärtige Konzerninteressen und die Republikaner, sondern entscheidend durch die Uneinigkeit der Demokraten. Zuletzt verhinderte ein (!) demokratischer Senator die mögliche Mehrheit. Zwar gelang es Biden, gleichfalls nach krassen Kürzungen, das Infrastrukturprogramm zur Sanierung von Straßen, Brücken und Gleisen, Flughäfen, Häfen und Bahnhöfen zu verabschieden. Doch BBB steht in den Sternen. Scheitert es, scheitern alle Chancen für die USA, die gesetzten Klimaziele zu erreichen.
Wirtschaft
Unter Berücksichtigung der Pandemie hat sich die Wirtschaft robust entwickelt. Die Volkswirtschaft zählt zu den am schnellsten wachsenden weltweit. Lag die Arbeitslosenquote zu Bidens Amtsantritt bei 6,3 Prozent, ist sie mit derzeit 3,9 Prozent auf dem niedrigsten Stand in der Pandemie. Die Inflation dagegen stieg 2021 um sieben Prozent, so viel wie seit vier Dekaden nicht, und wird bei gestörten Lieferketten vielfach von leeren Warenregalen begleitet.
Beim Einzug ins Oval Office platzierte Biden seinem Schreibtisch gegenüber demonstrativ ein Porträt des früheren US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Der hatte in der Weltwirtschaftskrise mit dem »New Deal« Millionen Amerikanern ein besseres Leben ermöglicht. Das Klima- und Sozialpaket BBB soll erklärtermaßen Bidens »New Deal« werden und ein soziales Netz nach europäischem Vorbild knüpfen - für die USA eine Revolution, aber eigentlich nur eine zivilisatorische Nachholaktion. BBB sieht etwa die Einführung von Kindergeld, staatlich finanzierte Kindergartenplätze für Drei- und Vierjährige sowie bezahlte Elternzeit vor. Doch nicht nur die Klimaziele, auch diese Sozialvorhaben rücken in weite Ferne. Und wie beim Klima werden die Sozialziele durch Uneinigkeit in den eigenen Reihen aufs Spiel gesetzt. Die Demokraten haben in beiden Kammern des Kongresses knappe Mehrheiten, mit denen sie den Klima- und Sozialplan verabschieden könnten. Ohne Republikaner. Ganze zwei konservative unter den 50 demokratischen Senatoren jedoch blockieren den Plan. Falls er je das Licht der Welt erblickt, dann nur nach noch größerem Aderlass. So geht Trauerspiel.
Rassismus
In seiner Inauguration - acht Monate nach dem Tod des Schwarzen George Floyd unter dem Folterknie eines weißen Polizisten - vergaß Biden nicht, eine weitere US-Pandemie anzusprechen: Rassismus. Er sieht darin eine Gerechtigkeitsfrage und versprach sie anzugehen. Er berief eine beispielhaft diverse Regierung mit - nur zwei Namen hier - Vizepräsidentin Kamala Harris als erster schwarzer Frau, und Deb Haaland als erster indigener Innenministerin. Das Versprechen einer Polizeireform zur Beseitigung rassistischer Beamtengewalt indes scheiterte ebenso wie Bidens Plädoyer für eine Wahlreform, um People of Colour gleiche Wahlrechte zu sichern. Vor Tagen vereitelte eine demokratische Senatorin vom rechten Rand den möglichen Reformerfolg. Er hätte nationale Mindeststandards für Wahlen, beispielsweise einheitliche Fristen für Brief- und Frühwahl, geschaffen. Und er hätte es der Bundesregierung künftig erlaubt zu überprüfen, ob Änderungen von Wahlgesetzen, die in Bundesstaaten vorgenommen wurden, diskriminierende Wirkung haben könnten. Das jetzige Scheitern ist umso verhängnisvoller, als die Republikaner in immer mehr Teilstaaten mit eigenen Gesetzesänderungen sie begünstigende Fakten schaffen. Sie stellen für Angehörige ethnischer Minderheiten, die oft den Demokraten zuneigen, neue Hürden auf. Das hängt damit zusammen, dass es in den USA kein einheitliches System gibt, Wahlvorschriften vielmehr bis heute vor allem Sache der Bundesstaaten sind. Diese entscheiden, was Bürger zu tun haben, um als Wähler registriert zu sein. Sie können die Regeln für die Registrierung verschärfen oder Personen ohne Vorwarnung aus Wählerlisten streichen. Texas etwa schränkte die Briefwahl ein - und behindert damit Menschen, die sich für den Wahlgang nicht frei nehmen können.
Gerade an diesem Punkt, der die Demokraten bei der Kongresswahl im November und bei der Präsidentenwahl 2024 empfindlich schwächen kann, wird Biden kritisiert. Vom linken Flügel seiner Demokraten wie von Bürgerrechtsorganisationen. Nicht weil sie seine Aufrichtigkeit bezweifeln, sondern weil er mit einer kämpferischen Rede vor Tagen in Atlanta viel zu spät aktiv eingriff.
Demokratie
Ein fairer Bilanzversuch kann eine fünfte Krise nicht aussparen: die Bedrohung der Demokratie in den USA. Die »älteste Demokratie der Welt« ist wegen ihrer plutokratischen Grundierung, also der Macht des Geldes als Herrschaftsvoraussetzung, zwar von jeher begrenzt und bedroht. Doch da Bidens Antritt nur zwei Wochen nach dem Putschversuch von Noch-Präsident Trump erfolgte und dieser mit der Lüge vom gestohlenen Wahlsieg weiter zündelt, hat die latente Demokratiegefährdung einen akuten Stachel erhalten. Dieser resultiert aus der Entschlossenheit rechter Gruppen und Milizen, ordentlich verlaufene Wahlen und deren Ergebnisse gegebenenfalls mit Gewalt zu kippen. Aber natürlich auch aus dem Umstand, dass sich ein ehemaliger US-Präsident, der sich eine neuerliche Kandidatur für die nächste Wahl vorbehält, vor und hinter solche Gewaltfantasien stellt - und sie selbst wieder und wieder befeuert. Dies vergrößert die Gesamtkrise der USA.
Fazit
Das alles in Rechnung gestellt, war Joe Biden in seinem ersten Jahr ein Mann guten Willens, der die Schwere von Amerikas Krise erkennt und, zum Beispiel, die Sozialforderungen seines linken Rivalen Bernie Sanders zum Wohl der Arbeiterschaft ins Sozialpaket BBB aufnahm. Er war ein guter Kandidat für den Sieg gegen Trump, doch er wirkt überfordert mit der Aufgabe, seine Partei zu einen und die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Joe Biden ist ein Mann ohne eklatante Schuld, aber auch ein Präsident ohne Format und Fortune.
Die vergrößerte Systemkrise bedeutet freilich auch: Sie wiegt so schwer, dass es - in Teilen - belanglos wird, welche Persönlichkeit im Weißen Haus regiert. Das heißt, selbst eine Person von größerem Format wäre nicht automatisch erfolgreicher gewesen als Biden. Jedenfalls trug die Polarisierung dazu bei, dass das erste Amtsjahr für Joe Biden weithin ein Jahr der leeren Hände wurde. Da er aber schon so früh, während ihn und seine Demokraten die Mehrheitsverhältnisse noch begünstigen, mit dem Rücken zur Wand steht, droht ihm nun die Totalblockade der Republikaner - und für seine Präsidentschaft ein Blick in den Abgrund.
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