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Klimaneutralität Berlins bis 2030 ausgeschlossen
Eine Studie zeigt, welche CO2 -Reduktionen in der Hauptstadt realistisch sind. Wichtig für den Erfolg sei Bürgerbeteiligung
In dem Diagramm sind acht Linien zu sehen, die an unterschiedlichen Stellen bei null landen. Jede der Linien stellt eine andere Berechnung des CO2-Budgets für Berlin dar. »Es gibt sehr viele Möglichkeiten, das globale CO2 zu verteilen: nach Bevölkerungsgröße oder auch nach Wirtschaftskraft, weil Industrieländer ja ganz andere Möglichkeiten haben als Entwicklungsländer«, erklärt Bernd Hirschl vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Er ist Projektleiter der Machbarkeitsstudie »Berlin Paris-konform machen« im Auftrag der Senatsverwaltung für Klimaschutz, die er in der vergangenen Woche der Landesarbeitsgemeinschaft Klimagerechtigkeit der Berliner Linken bei einem Online-Treffen präsentierte.
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Während der Masterplan Solarcity noch davon ausgeht, dass Berlins Energieversorgung zu 25 Prozent über Photovoltaik gedeckt werden kann, rechnet die Studie »Berlin Paris-konform« sogar mit einem Solarpotenzial von 37 Prozent. Außerdem werde der Importanteil von Strom zunehmen und müsste über kommunale Windkraftprojekte in Brandenburg gedeckt werden.
Im Wärmesektor sei die Nutzung von Fern- und Abwärme effizient und wirtschaftlich, Wasserstoff jedoch kaum.
Geothermie steht in Berlin vor der Herausforderung, dass das Trinkwasser hier komplett aus dem Grundwasser stammt, das nicht belastet werden darf. Dafür brauche es noch Lösungen.
Dringend notwendig sei eine Aus- und Weiterbildungsoffensive im Energiesektor.
Die Studie geht davon aus, dass der motorisierte Individualverkehr um 61 Prozent reduziert werden muss, jedoch nicht komplett abgeschafft werden kann. Deswegen müsse der Rest elektrisch werden.
Auch CO2-Kompensation sei eine Chance. ltb
Da es keinen klaren Wert für ein CO2-Budget gebe, seien für die Studie Reduktionsziele in den verschiedenen Sektoren maßgeblich gewesen. Der konkrete Auftrag des Senats lautete, »realistisch-plausible Szenarien zu berechnen«, ob oder wie Berlin seine CO2-Emissionen bis 2030, 2040 oder 2050 um 95 Prozent reduzieren könne. Der Senat gehe davon aus, dass die übrigen fünf Prozent durch Senken kompensiert werden könnten, also durch Wälder oder Moore, die CO2 aufnehmen - was einen kritischen Punkt der Studie darstellt. »Die Senken werden uns nicht retten. Das 100-Prozent-Reduktionsziel ist total wichtig«, findet Hirschl.
Dabei müssten jedoch Hemmnisse einbezogen werden, zum Beispiel dass die Ausbildung von Fachkräften, die für die Energiewende dringend benötigt werden, einige Jahre in Anspruch nehme. Oder dass bei energetischen Sanierungen der soziale Aspekt mitgedacht werden müsse. So könne nicht einfach festgelegt werden, dass Berlin eine Sanierungsrate von fünf Prozent brauche oder dass neu eingebaute Ölkessel sofort durch klimafreundliche Wärmepumpen ersetzt werden, weil das unrealistisch sei. »Wir kriegen falsche Empfehlungen für ein Energiesystem raus, wenn wir uns in die Tasche lügen«, stellt Hirschl klar.
Die größte Stellschraube seien Energie- und Wärmewende. Noch würden zu 92 Prozent fossile Energieträger eingesetzt, zum Großteil Erdgas und Mineralöl. Bis 2030 könnte die Hälfte der Strecke geschafft werden, das bedeute eine CO2-Reduktion um 67 Prozent - aber nur unter der Bedingung eines bundesweiten Kohleausstiegs. Wenn der nicht gelingt, »dann verhagelt uns das die Reduktionsquote um fünf Prozent«, was wiederum durch den Gebäude- und Verkehrssektor kompensiert werden müsste.
Deshalb sei auch klar, dass die Hauptstadt allein ohnehin nicht klimaneutral werden kann, sondern vom Bund und einem Erneuerbare-Energien-Gesetz abhängig sei. Dabei sei auch der Wunsch der Gaslobby nach dem großflächigen Einsatz von Wasserstoff nicht realistisch. »In unseren Szenarien setzt sich ganz klar die Fernwärme durch, Gasinfrastruktur wird zurückgebaut«, sagt Hirschl.
Außerdem habe Berlin enormes Solarpotenzial und könnte sich künftig im Sommer durch Photovoltaik nahezu selbst versorgen. Im Winter werde jedoch Windkraft aus Brandenburg benötigt, die idealerweise über kommunale Bürger*innenbeteiligung organisiert werden sollte. Die dortigen Gemeinden sollten auch selbst davon profitieren, Windkraft-Eignungsgebiete zu werden. Beteiligung sei sowohl eine soziale Frage als auch der entscheidende Hebel.
Leider sei die politische Umsetzung bislang »kein Erfolgsmodell« gewesen, findet Hirschl. Viele Maßnahmen würden im rot-grün-roten Koalitionsvertrag zwar angesprochen, doch nun müsse »ein wirklich ernst genommenes Projekt« des gesamten Senats daraus werden. Das bedeutet: Es braucht mehr Personal, die Bezirke und die Kooperation mit Brandenburg müssten gestärkt werden. Auch der im Koalitionsvertrag versprochene Klima-Bürger*innenrat könne dabei helfen, Lösungen zu finden.
Unabhängig davon fällt das Ergebnis der Studie ernüchternd aus: Eine CO2-Reduktion um 95 Prozent sei in Berlin bis 2030 ausgeschlossen, bis 2040 kaum, aber immerhin vor 2050 erreichbar.
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