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Erneutes Scheitern an der Systemfrage

Zahlreiche Demokraten in Kalifornien wollen eine allgemeine staatliche Krankenversicherung einführen - bisher ohne Erfolg

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Demokraten in den USA sind wieder einmal an sich selbst gescheitert in ihrem Bemühen, den Sozialstaat auszubauen. Beziehungsweise am Einfluss des großen Geldes. In Kalifornien hätte die entsprechende Gesetzesvorlage AB1400 spätestens am Montag verabschiedet werden müssen, damit die von den Demokraten angekündigte allgemeine staatliche Krankenversicherung noch dieses Jahr hätte in Kraft treten können.

Der Tag markierte damit auch das mindestens vorläufige Scheitern entsprechender Bemühungen für den einwohnerreichsten Bundesstaat der USA. Der Grund: Der für den Gesetzentwurf zuständige Abgeordnete Ash Calra entschied in letzter Minute, die für Montag geplante Abstimmung über die Einführung von CalCare, wie der Gesetzesvorschlag auch genannt wird, abzublasen.

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In einer Erklärung versuchte Calra, der aufgebrachten Parteibasis seine Entscheidung zu erklären, es nicht zu einer Abstimmung kommen zu lassen. Es sei klar geworden, dass »einfach nicht genug Stimmen« für eine Mehrheit zusammengekommen wären, wegen »heftiger Opposition und Falschinformation von denen, die von unserem derzeitigen Gesundheitssystem profitieren«. Das bedeute aber lediglich »eine Pause«, so der indischstämmige Demokrat, der einen Wahlkreis in San José vertritt, sich auf seinem Twitter-Account als »konzernfrei« bezeichnet und 2020 Bernie Sanders unterstützt hatte.

Damit handelt Calra so wie Sanders’ Verbündete im US-Repräsentantenhaus um Alexandria Ocasio-Cortez und die Parteilinken-Vereinigung Progressive Caucus. Sie hatten im vergangenen Jahr gegen die unter dem Hashtag ForceTheVote agierende Kampagne von Teilen der Linken gehandelt, eine Abstimmung über die landesweite Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung über die Gesetzesvorlage Medicare For All zu erzwingen. Man wolle keine Abstimmungsniederlage riskieren, die dem Projekt möglicherweise in Zukunft geschadet hätte, hieß es zur Begründung.

In Kalifornien war der Plan der Demokraten, anstelle des derzeitigen Flickenteppichs aus staatlichen Krankenversicherungen für Arme und Rentner sowie privaten Versicherungen, die oft an einen bestimmten Job gekoppelt sind, eine allgemeine staatliche Krankenversicherung einzuführen. Damit wären auch die derzeit drei Millionen Nichtversicherten in dem Bundesstaat versorgt gewesen, unabhängig von Beschäftigungsstatus oder Staatsbürgerschaft. Zudem wären die teils mehrere Tausend Dollar teuren Zusatzzahlungen bei vielen Privatversicherungen abgeschafft worden, die zudem oft eingeschränkte Leistungen haben.

Die Kosten für das Vorhaben würden sich pro Jahr laut einer Schätzung auf 314 bis 391 Milliarden Dollar pro Jahr belaufen. Das ist mehr als der derzeitige gesamte kalifornische Staatshaushalt von rund 284 Milliarden Dollar umfasst. Aber es wäre weniger als die rund 517 Milliarden Dollar, die laut einer Analyse aus dem Büro von Gouverneur Gavin Newsom im Gesundheitssystem des 39-Millionen-Einwohner-Staates dieses Jahr ausgegeben werden. Der größte Teil dieses Betrages fließt von Unternehmen und Privatpersonen an private Krankenversicherungen. Befürworter des Gesetzentwurfs AB1400 argumentieren, damit würde das neue System sogar Kosteneinsparungen bringen - trotz Leistungsausweitung. Das zeigt auch eine Analyse von Parlamentsökonomen vom April 2021.

Weil ähnliche Versuche, eine allgemeine Krankenversicherung einzuführen, in anderen Staaten an der Finanzierung gescheitert waren, hätte ein zweites Gesetz diese in Kaliforniern detailliert geregelt.

Die entsprechende Vorlage sah eine Steuer in Höhe von 2,3 Prozent für Unternehmen mit mehr als zwei Millionen Dollar Jahresumsatz, einen Arbeitgeberbeitrag von 1,25 Prozent auf alle Lohnzahlungen und einen zusätzlichen Arbeitgeberbeitrag von einem Prozent für Jahreslöhne ab 50 000 Dollar vor, der wie in Deutschland vom Lohn der Beschäftigten abgezogen würde.

Wohlhabende mit einem Jahreseinkommen von mehr als 150 000 Dollar sollen zudem eine Zusatzabgabe zahlen, die abgestuft 0,5 bis 2,5 Prozent bei Jahreseinkommen von über 2,5 Millionen Dollar beträgt. Die Steuererhöhung zur Finanzierung der Krankenversicherung hätte per Volksabstimmung eingeführt werden sollen.

Calras Entscheidung, nicht abstimmen zu lassen, habe »denjenigen Deckung geboten, die bei einer Abstimmung gezwungen gewesen wären zu zeigen, wo sie stehen«, erklärte die Krankenpflegergewerkschaft California Nurses Association, die wochen- und monatelang mit Aktionen und Anrufen Wähler und Abgeordnete mobilisiert hatte. Das wäre wichtig, weil die Parteilinkenvereinigung in dem Staat vor der Wahl angekündigt hatte, bei den nächsten Wahlen keine Abgeordneten zu unterstützen, die sich nicht für die allgemeine Krankenversicherung einsetzen.

Kalifornien ist seit ein paar Jahren fest in der Hand der Demokraten. Sie halten 56 der 80 Parlamentssitze - eine satte absolute Mehrheit von 70 Prozent. Derzeit sind aber vier ihrer Mandate unbesetzt. Offenbar war die Kampagne von Versicherungsgesellschaften, Krankenhausbetreibern und Lobbygruppen - den Profiteuren von Amerikas teurem, überwiegend privatwirtschaftlich organisiertem Gesundheitssystem - so erfolgreich, dass Calra fürchtete, nicht die nötigen 41 Demokraten-Stimmen zusammenzubekommen.

Dass die Abstimmung nicht zustande gekommen ist, sei eine »Niederlage für Progressive«, urteilt das Politmagazin »Politico«. Tatsächlich ist das Vorhaben der landesweiten staatlichen Krankenversicherung - seit langem ein wichtiges Ziel der Linken - derzeit angesichts knapper Mehrheitsverhältnisse im US-Kongress - und weil das Weiße Haus in der Hand eines »moderaten« Demokraten Joe Biden ist - eingefroren.

Das progressive Kalifornien nimmt politisch oft eine Vorreiterrolle ein, etwa bei der Einführung strengerer Abgasstandards oder dem Ausbau von Solarpanelen auf Häusern. Mit der erfolgreichen Einführung der allgemeinen Krankenversicherung hätte man deren Überlegenheit demonstrieren können, so die Hoffnung linker Strategen. Stattdessen ist die jahrzehntelange Geschichte des Scheiterns dieses Ziels - der erste Versuch in Kalifornien war 1918 - in den USA nun um ein Beispiel reicher. 1994 lehnten die Bürger in einer Volksabstimmung in Kalifornien ein solches System ab. In den 2000er Jahren setzte der republikanische Gouverneur Arnold Schwarzenegger zweimal mittels Veto weiteren Versuchen ein Ende. 2017 war zuletzt ein Gesetz dazu im Staatsparlament versandet.

Der amtierende Gouverneur Newsom erklärte ein Jahr später, er sei »Politiker leid, die erklären, sie unterstützten eine Einheitskasse, doch es sei noch zu früh oder es sei zu teuer«. Nun erklärte der Gouverneur, dessen Demokraten in den letzten Jahren mehrere Millionen Dollar Spenden aus der privaten Gesundheitsindustrie erhalten haben, zu AB1400: »Niemand hat mir den Plan vorgestellt. Wenn man in Verantwortung ist, muss man Ideale umsetzen, das ist harte Arbeit.«

Newsom kündigte an, er wolle nun ab 2024 mit rund 2,7 Milliarden Dollar an zusätzlichen Mitteln für die staatliche Krankenversicherung MediCal auch alle Nichtversicherten einbeziehen, unabhängig von Alter, Einkommen oder Staatsbürgerschaft. Damit wäre nominell eine »universelle Krankenversicherung« im Staat erreicht - mit einem hohen Anteil privater Versicherer und ihren begrenzten und zuzahlungspflichtigen Leistungen zusätzlich zu immer weiter steigenden Krankenkassenbeiträgen.

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