Wissenschaft da, wo die Wölfe heulen

Zukunftsforum schlägt eine Innovationsachse Berlin-Lausitz vor

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

Spätestens 2038, vielleicht bereits 2030 ist Schluss für die Tagebaue und Braunkohlekraftwerke in der Lausitz. Zulieferer und Dienstleistungen mitgerechnet hängen daran schätzungsweise 11 000 bis 20 000 Jobs. Was so ein Verlust bedeutet, erlebte das Revier Anfang der 1990er Jahre, als etliche Tagebaue quasi über Nacht stillgelegt worden sind. »Das war ein Strukturwandel, der unvorbereitet kam«, erinnert der Cottbuser Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU). »In den Köpfen der Menschen, in den Arbeitslosen- und Abwanderungsstatistiken und nicht zuletzt in den öffentlichen Haushalten sind die Geschehnisse von damals noch heute präsent.«

Darum macht der Kohleausstieg vielen Menschen Angst, auch wenn es so aussieht, als ob es der Lausitz am Ende gar nicht an Arbeitsplätzen mangeln wird, sondern an Fachkräften. Denn es gehen mehr Berufstätige in Rente als Schulabgänger nachrücken. Aber das sind auch keine rosigen Aussichten, würde es doch heißen, dass die Gegend langsam ausstirbt. Seit der Wende büßte sie 20 Prozent ihrer Bevölkerung ein. Es wird erwartet, dass der Schwund bis 2030 noch einmal elf Prozent beträgt.

»Das Image der Region ist schlecht: Hier gibt es Wölfe und ansonsten ist nicht viel«, beschreibt Gesine Grande die Lage. Die Präsidentin der Technischen Universität Cottbus sieht aber Hoffnungsschimmer. Die Geburtenrate habe sich etwas erholt, und als der US-Konzern Tesla verkündete, eine Autofabrik in Grünheide zu bauen, hätten weltweit viele nachgesehen, wo Brandenburg liegt.

Das Zukunftsforum Berlin-Brandenburg glaubt, die Gelegenheit sei günstig für eine Innovationsachse Berlin-Lausitz. Die Region verfüge über 50 Hochschulen und 40 Institute, die so dicht beieinander liegen wie sonst nirgendwo in der Bundesrepublik. Diese geballte Kompetenz sollte für die wirtschaftliche Entwicklung genutzt werden. Am Montag stellte das Zukunftsforum ein zehnseitiges Memorandum dazu vor, dem es 16 Seiten positiver Stellungnahmen beifügte. 35 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft haben unterschrieben.

Die Länder Berlin und Brandenburg sollten je zwei Personalstellen für die Koordinierung der Innovationsachse bereitstellen, empfehlen die Unterzeichner. Mit der Potsdamer Staatskanzleichefin Kathrin Schneider (SPD) habe man bereits darüber gesprochen und sei auf Interesse gestoßen, erklärt Hermann Borghorst. Der 74-Jährige gehörte von 1991 bis 2001 der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus an und zählt zu den Gründern der Wirtschaftsinitiative Lausitz.

Berlin-Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) hat er auf seiner Seite. Denn Hikel erkennt das Problem, dass in der Hauptstadt Flächen fehlen, wenn sich Betriebe und Institute vergrößern wollen, und die Beschäftigten hätten es schwer, eine Wohnung zu finden. Bei ihm wäre noch Platz, versichert Luckaus Bürgermeister Gerald Lehmann (parteilos).

Erste Projekte in diese Richtung gibt es. So sollen in Lübbenau im Spreewald Arbeitsmöglichkeiten für Mitarbeiter der Wissenschaftsstadt in Berlin-Adlershof geschaffen werden. Diese könnten dann in Lübbenau leben und arbeiten und müssten nur noch zwei oder drei Tage in der Woche nach Adlershof pendeln. Außerdem soll in Cottbus ein Wissenschaftspark entstehen. Der Startschuss dafür fällt am 7. März. Die Achse Berlin-Lausitz könnte Vorbild für ähnliche Achsen Berlin-Szczecin oder Berlin-Leipzig werden, glauben die Unterzeichner des Memorandums. Noch vor der Sommerpause wollen sie eine Lösung für die gewünschte Koordinierungsstelle finden. Ein Gespräch mit Senatskanzleichef Severin Fischer ist vorgesehen.

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