- Politik
- Bundespräsidentenwahl
Wieder keine Frau an der Staatsspitze
Zahlen und Fakten zur Bundesversammlung: Wann es einmal richtig eng wurde, welche Frauen bislang kandidiert haben, welche Prominenten diesmal dabei sind
Auch an der Wahl des Bundespräsidenten geht die Corona-Pandemie nicht vorbei. Erstmals seit 1989 wird die Bundesversammlung am Sonntag nicht im Reichstagsgebäude stattfinden, sondern - aufgrund der dort besser einzuhaltenden Abstände - verteilt über mehrere Stockwerke im benachbarten Paul-Löbe-Haus. Neben dem amtierenden Präsidenten Frank-Walter Steinmeier, der von der SPD erneut nominiert und von CDU/CSU, Grünen, FDP und SSW unterstützt wird, treten Gerhard Trabert (parteilos, Vorschlag der Linken), Max Otte (Vorschlag der AfD, CDU-Parteiausschlussverfahren läuft) und Stefanie Gebauer (Freie Wähler) an. Die promovierte Astrophysikerin war erst vor wenigen Tagen nominiert worden. Sie ist die einzige Frau unter den Kandidat*innen, damit erfüllen ausgerechnet die konservativen Freien Wähler die linke Forderung, mehr Frauen für das höchste Staatsamt zu nominieren. Allerdings ist Gebauer ebenso chancenlos wie Trabert und Otte: An einem Sieg Steinmeiers bereits im ersten Wahlgang gibt es keine Zweifel.
Auch in der Vergangenheit verliefen die Wahlen zum Bundespräsidenten zumeist recht flott. In zehn von 16 Bundesversammlungen stand der Sieger bereits nach dem ersten Wahlgang fest. Dreimal brauchte es einen zweiten, dreimal einen dritten Wahlgang. In den ersten beiden Wahlgängen benötigt man für den Sieg die absolute Mehrheit, im dritten reicht die relative. Allerdings wurde es mehrfach knapp: In sieben von 13 Fällen, in denen die Wahl bereits nach dem ersten oder zweiten Wahlgang entschieden war, erreichte der jeweilige Kandidat geradeso die absolute Mehrheit. Zweimal war das Rennen besonders eng: 1969 gewann Gustav Heinemann (SPD) mit nur 0,6 Prozent Vorsprung gegen den CDU-Kandidaten Gerhard Schröder, 2004 lag Horst Köhler (CDU) sogar nur 0,2 Prozent vor Gesine Schwan (SPD).
Nachdem Köhler aufgrund fragwürdiger Aussagen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr (2010) und Christian Wulff wegen Verdachts der Vorteilsnahme (2012) binnen kurzer Zeit zurückgetreten waren, konnten ihre Nachfolger zuletzt auf jeweils breite Mehrheiten bauen: Sowohl Joachim Gauck (2012) als auch Frank-Walter Steinmeier (2017) wurden von allen großen demokratischen Parteien mit Ausnahme der Linken unterstützt und kamen auf 80,4 beziehungsweise 74,3 Prozent. PDS bzw. Linke wiederum haben bislang meistens auf eigene Kandidat*innen gesetzt - mit zwei Ausnahmen: 1994 und 2004, als man mehrheitlich Gesine Schwan unterstützte und beinahe zur ersten Bundespräsidentin der Geschichte gewählt hätte.
Dass es bislang noch keine Frau in dieses Amt geschafft hat, kann man der Linken jedenfalls nicht anlasten - auch wenn sie sich diesmal mit Trabert für einen älteren, weißen Mann entschieden hat. Nach Marie-Elisabeth Lüders (1954, FDP), Annemarie Renger (1979, SPD), Luise Rinser (1984, parteilos auf Vorschlag der Grünen), Hildegard Hamm-Brücher (1994, FDP) und Dagmar Schipanski (1999, CDU) sind PDS bzw. Linke gleich dreimal mit einer Kandidatin angetreten: 1999 nominierte man die Theologin Uta Ranke-Heinemann, 2010 die Soziologin und Journalistin Lukrezia Jochimsen und 2012 die NS-Aufklärerin Beate Klarsfeld.
Die Bundesversammlung setzt sich nach Artikel 54 des Grundgesetzes aus den Bundestagsabgeordneten und der gleichen Anzahl von Delegierten der Landesparlamente zusammen. Auch in diesem Jahr haben die Länder wieder viele Prominente und Personen aus dem Alltag nominiert. Neben Vertreter*innen von Unternehmen und Gewerkschaften sowie Prominenten aus Kultur und Sport befinden sich diesmal, bedingt durch aktuelle Umstände, auch zahlreiche Mediziner*innen sowie mehrere Opfer von Rechtsextremismus unter den Delegierten.
Auffällig: Mit Christian Drosten, Sandra Ciesek und Hans-Georg Kräusslich sitzen gleich drei Virolog*innen bei den Grünen, hinzu kommt mit Christian Karagiannidis ein weiteres Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung. Anders sieht es bei den Pfleger*innen aus: Nur eine Pflegerin steht auf dem Ticket der Grünen, dafür sechs auf der SPD-Liste und zwei auf dem Ticket der Linken - darunter Ricardo Lange, der in seinem jüngst veröffentlichten Buch »Intensiv: Wenn der Ausnahmezustand Alltag ist« über die prekären Arbeitsbedingungen in der Pflege berichtet. Ebenfalls in Reihen der Linken sitzen Semiya Şimşek-Demirtas, die Tochter des ersten NSU-Opfers Enver Şimşek, sowie die NSU-Nebenklägerin Seda Başay-Yıldız.
Die AfD hat derweil den rechten Politaktivisten Carl-Wolfgang Holzapfel eingeladen: Der ehemalige Republikaner war 1973 in Erscheinung getreten, als er ankündigte, ein Flugzeug der British European Airways auf der Linie Stuttgart-Moskau zu entführen, um die Freilassung des damals noch inhaftierten ehemaligen NSDAP-Reichsministers Rudolf Heß zu erreichen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.