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  • Energiearmut in Berlin

Kein Geld, kein Strom, keine Teilhabe

20.000 Energiesperren werden in Berlin jährlich verhängt - mit steigenden Preisen werden es wohl noch mehr

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.

Uwe Hiksch erinnert sich gut an einen früheren Nachbarn, dem regelmäßig der Strom abgestellt wurde. Er sei öfter zu ihm gekommen, um sein Handy aufzuladen. »Das war dramatisch«, sagt Hiksch zu »nd«. Kein Strom bedeutet: kein Licht, keine elektronischen Geräte, also kein Kühlschrank, kein Herd, keine Waschmaschine, kein Computer funktionieren. »Wer Menschen vom Strom abkapselt, nimmt ihnen das Recht auf soziale Teilhabe. Das verstößt gegen die Menschenrechte«, findet Hiksch, der beim Berliner Energietisch und den Naturfreunden Berlin engagiert ist.

Laut Forschungsverbund Ecornet gibt es in der Hauptstadt jedes Jahr etwa 20 000 Strom- und Gassperren. Das bedeutet, dass Energieversorger den Haushalten, die ihre Rechnungen nicht bezahlen beziehungsweise nicht bezahlen können, Strom oder Heizung abstellen, bis eine Schuldentilgungsvereinbarung getroffen wird. Das ist schon ab einem Zahlungsverzug von 100 Euro möglich. Oft seien es nicht die monatlichen Voraus-, sondern hohe Nachzahlungen, die sich Menschen mit geringem Einkommen und ohne Ersparnisse nicht leisten können, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, zu »nd«.

Bei den Stromsperren ist die Zahl 2020 im Vergleich zum Vorjahr zwar um 5652 auf 12 548 gesunken, wie aus einer Antwort der Bundesnetzagentur auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht. Grund dafür war, dass Bürger*innen im ersten Halbjahr 2020 bundesweit ihre Stromzahlungen stunden konnten. Ohne diese coronabedingte Ausnahmeregelung und durch die seit Jahresbeginn höheren Energiepreise ist nun damit zu rechnen, dass die Fälle wieder mehr werden.

Energiearmut fange jedoch nicht erst bei Strom- oder Gassperren an, sondern schon dann, wenn Menschen aus Angst davor nicht mehr heizen, zu Hause im Kalten oder Dunkeln sitzen und Geräte nicht mehr bedienen. »Betroffen sind vor allem Menschen, die mindestens 40 Prozent ihres Nettogehalts für die Warmmiete ausgeben müssen. Bei vielen Haushalten in Berlin sind es sogar 50 Prozent«, sagt Uwe Hiksch. Empfohlen ist, maximal ein Drittel des Einkommens in Miete und Nebenkosten zu investieren.

Deshalb fordern Energietisch und Naturfreunde vom Berliner Senat sofortige Maßnahmen gegen Energiearmut. Anfang Februar übergaben die beiden Initiativen ein entsprechendes Schreiben an die Senatssozialverwaltung. Auch dort wird das Problem gesehen: »Es ist dringend notwendig, gegen Energiearmut vorzugehen. Die vollzogenen Stromsperren der vergangenen Jahre sind ein Warnsignal«, sagt Stefan Strauß, Sprecher der Sozialverwaltung auf nd-Anfrage. Die Hauptforderung von Energietisch und Naturfreunden, ein Verbot der Energiesperren, unterstütze der Senat. Dies könne aber nur auf Bundesebene entschieden werden und wurde zu Beginn der Corona-Pandemie vorübergehend bereits umgesetzt.

»Das erwarte ich aber von einer rot-grün-roten Regierung, dass sie im Bundesrat dahingehend tätig wird«, sagt Hiksch vom Energietisch. In ihrem Koalitionsvertrag versprechen SPD, Grüne und Linke, »sich auf bundespolitischer und europäischer Ebene für ein Verbot von Stromsperren und für die Übernahme von Zahlungsausfällen durch die Sozialleistungsträger« einzusetzen. Außerdem »möchte die Koalition die Zahl der Strom- und Gassperren verringern und bei sozialen Härten ganz vermeiden«. Hiksch kritisiert jedoch, dass dieses Vorhaben »mit der Möglichkeitsform versehen« ist.

Konkret könne und müsse die Berliner Regierung auf Landesebene finanzielle Instrumente wie einen Notfallfonds im Haushalt einplanen, mit dem arme Menschen ohne Anspruch auf Transferleistungen unterstützt werden, da von Energiearmut häufig Familien betroffen seien, deren Einkommen knapp über der Sozialleistungsgrenze liege. Zudem ist die Übernahme von Energieschulden für Transferleistungsempfänger*innen laut Sozialverwaltung bereits gesetzlich vorgesehen.

Auch Reiner Wild vom Mieterverein befürwortet Zuschüsse für Haushalte, die unter einer gewissen Einkommensgrenze liegen. Diese sollten aber nicht mit einem Antrag verbunden sein, das sei nicht niedrigschwellig genug. »Die Zuschüsse könnten zum Beispiel aufgrund der Daten des Finanzamtes erfolgen«, schlägt er vor. Die Senatssozialverwaltung unterstützt die Forderung ebenfalls und denkt laut Sprecher Stefan Strauß über eine steuerliche Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen oder eine Art Energiegeld nach.

Weiter fordern Energietisch und Naturfreunde vom Senat, dass arme Menschen alte Geräte mit hohem Energieverbrauch gegen modernere, energiesparende austauschen können, für die sie kein Geld haben. »Das schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Ein Kühlschrank, der weniger Strom verbraucht, senkt die Rechnung und nützt dem Klima«, sagt Uwe Hiksch vom Energietisch. Stefan Strauß von der Sozialverwaltung verweist in dem Zusammenhang auf das bereits bestehende Projekt Stromspar-Check der Caritas und der Berliner Energieagentur.

Letztlich plädieren Energietisch und Naturfreunde für verstärkte Beratungen durch Sozialträger und Verbraucherzentrale. Diese verfügen bereits über »ein hohes Maß an Kompetenz«, so Strauß. Die Sozialverwaltung rate bei Problemen mit Nachzahlungen, sich so früh wie möglich an die jeweilige bezirkliche Fachstelle Soziale Wohnhilfe zu wenden. Sozialleistungsträger und Jobcenter könnten drohende Stromsperren verhindern.

Sozialstaatssekretärin Wenke Christoph (Linke) betont, man werde sich »schnell mit den verantwortlichen Berliner Verwaltungen und allen Akteuren darüber verständigen, welche weiteren Unterstützungs- und Hilfsangebote es für diese Menschen gibt. Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, hier tätig zu werden und zu unterstützen.«

Langfristig wünscht sich der Energietisch zudem, dass die Berliner Stadtwerke ausgebaut werden und dass sie den Energiekonzern Vattenfall als Grundversorger ablösen. Dieser springt ein, wenn Stromanbieter sich zurückziehen oder pleite gehen. »Eine soziale Energiewende geht nur kommunal und nicht über einen Konzern«, sagt Uwe Hiksch.

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