120 Jahre modern

Die Berliner U-Bahn feiert Jubiläum mit Sanierungsstau

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.
Hinter dem ehemaligen U-Bahnhof Stralauer Tor ragt an der Spree heute das inzwischen in Büroflächen umgewandelte Eierkühlhaus in den Himmel.
Hinter dem ehemaligen U-Bahnhof Stralauer Tor ragt an der Spree heute das inzwischen in Büroflächen umgewandelte Eierkühlhaus in den Himmel.

Diesen Dienstag vor 120 Jahren wurde die Berliner U-Bahn mit der sogenannten Ministerfahrt in Betrieb genommen. Vom Potsdamer Platz zum Bahnhof Zoo, von dort zum Stralauer Tor und schließlich zurück zum Potsdamer Platz führte die Fahrt. Der Fahrgastbetrieb wurde drei Tage später auf dem sechs Kilometer langen Teilstück vom Stralauer Tor zum Potsdamer Platz aufgenommen, es waren noch nicht genug Wagen für das gesamte Netz vorhanden.

Bis Jahresende fuhren Züge der damaligen Gesellschaft für Elektrische Hoch- und Untergrundbahnen in Berlin auf rund elf Kilometern Strecke. Von Ost nach West durchgehend von der Warschauer Brücke bis zum damaligen Bahnhof Knie, dem heutigen Ernst-Reuter-Platz sowie den kleinen Abzweig vom Gleisdreieck, wo es damals noch keinen Bahnhof gab, zum Potsdamer Platz. Der Bahnhof Stralauer Tor, der später in Osthafen umbenannt worden ist, wurde nach den Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs nicht wieder aufgebaut. Bis zum Ersten Weltkrieg war der Großteil des sogenannten Kleinprofilnetzes mit schmaleren Fahrzeugen fertig gebaut. Auf den knapp 36 Kilometern fahren nun U1 bis U4.

Heute misst das Netz zusammen mit den sogenannten Großprofillinien U5 bis U9 rund 155 Kilometer. Im ersten Pandemiejahr 2020 zählten die Berliner Verkehrsbetriebe rund 372 Millionen Fahrgäste, ein Jahr zuvor waren es noch 596 Millionen. Angesichts des eklatanten Fahrzeugmangels bei der U-Bahn ist das vielleicht sogar die nötige Verschnaufpause gewesen. Viel zu lange Jahre sind wegen des Berliner Sparkurses keine neuen Züge beschafft worden. Die ältesten noch im Einsatz befindlichen Exemplare sind mit dem Baujahr 1964 nur etwas weniger als halb so alt wie das Berliner Netz.

Doch Mitte Dezember dieses Jahres soll der erste Vier-Wagen-Zug der neuen Fahrzeuggeneration J und JK für Groß- und Kleinprofil eintreffen. Bis zum Frühjahr 2023 sollen alle 24 Testwaggons, je die Hälfte für Groß- und Kleinprofil, des Herstellers Stadler Pankow abgeliefert sein, die dann »auf Herz und Nieren geprüft« werden, wie die BVG auf nd-Anfrage mitteilt. Unter anderem in einem Wind-Klima-Kanal, wo sie ihre Tauglichkeit bei jedem Wetter unter Beweis stellen müssen.

606 Wagen sind inklusive Ersatzteilversorgung für 32 Jahre fest bestellt - für rund 1,2 Milliarden Euro. Weitere fast 900 Wagen können laut Vertrag außerdem bestellt werden. Knapp 1300 Wagen sind derzeit im Einsatz. »Im Jahr 2024 werden wir auch für den Fahrgast spürbar wieder mehr Fahrzeuge zur Verfügung haben«, verspricht BVG-Sprecher Nils Kremmin. Bereits seit drei Jahren ist der Takt in der Hauptverkehrszeit auf mehreren Linien gestreckt worden.

»Die alte Dame ist wie alle Senioren: Sie braucht Pflege«, sagt Jens Wieseke, Sprecher des Berliner Fahrgastverbands IGEB. »Aber Modernisierung ist wichtig. Nicht nur neue Fahrzeuge, sondern auch hinter den Kulissen mit moderner Signaltechnik«, so Wieseke weiter.

Zudem sind Investitionen in die Infrastruktur der Berliner U-Bahn verschleppt worden. Kein Wunder angesichts der vielen nicht enden wollenden Baustellen, dass kürzlich erst eine Diskussion in den sozialen Netzwerken aufkam, welcher denn der scheußlichste U-Bahnhof der Stadt sei. Der Umsteigepunkt Bismarckstraße von U2 und U7 ist ein heißer Kandidat, ebenso wie zahlreiche Stationen an der U8, wie Pankstraße, Heinrich-Heine- oder Schönleinstraße.

Eine der umfangreichsten Sanierungen steht auf der nördlichen U6 an. Der Bahndamm und die Brücken des 1958 eröffneten Abschnitts zwischen Kurt-Schumacher-Platz und Borsigwerke müssen komplett erneuert werden. Ab November soll die Strecke für rund zweieinhalb Jahre deswegen gesperrt werden. Jährlich fließt ein dreistelliger Millionenbetrag in die Sanierung, 2020 waren es 125 Millionen Euro, dieses Jahr soll es noch mehr Geld sein.

Auf eine weitere Herausforderung macht Fahrgastvertreter Jens Wieseke im Zusammenhang mit der Lieferung neuer Züge aufmerksam: »Die vielen zusätzlichen Fahrzeuge brauchen mehr Platz zum Reparieren mit mehr Werkstattkapazitäten und auch Platz zum Abstellen.« Das ist also ebenfalls eine anspruchsvolle Planungs- und Bauaufgabe für die BVG.

Wo da die planerischen und finanziellen Kapazitäten für die vor allem von der SPD gewünschten U-Bahn-Neubaustrecken herkommen sollen, bleibt ihr Geheimnis.

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