Eine »grausame« Entscheidung

Per Präsidialerlass will US-Präsident Joe Biden Mittel der afghanischen Zentralbank umwidmen

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Kurz vor dem Valentinstag hat Joe Biden den Afghan*innen ein ganz besonderes Geschenk präsentiert, ein vergiftetes – und damit viel Empörung sowohl in den USA als auch in Afghanistan ausgelöst. Per Präsidialerlass sollen sieben Milliarden Dollar an Reserven der afghanischen Zentralbank, die bei der amerikanischen Notenbank FED lagern, wieder freigegeben werden. Das Geld soll zunächst auf ein FED-Konto gelenkt werden. Dann soll die Hälfte mit Erlaubnis eines Richters an humanitäre Hilfsorganisationen fließen, die in Afghanistan arbeiten.

Rund 3,5 Milliarden Dollar aber sollen zurückgehalten werden, um damit möglicherweise Terroropfer in den USA zu entschädigen. Derzeit gibt es Klagen mehrerer Hinterbliebenenfamilien der Anschläge vom 11. September 2001, die Entschädigung einfordern und auch die Regierung in Afghanistan belangen wollen, schließlich habe das Land unter der Taliban-Herrschaft Al-Qaida-Anführer Osama Bin Laden Unterschlupf geboten. Schon vor Jahren hatten sie in Abwesenheit der Angeklagten entsprechende Gerichtsentscheidungen erreicht, sogenannte Säumnisurteile; diese waren jedoch rein symbolischer Natur, weil keine Auszahlung durchgesetzt werden konnte.

Mit dem Zusammenbruch der afghanischen Regierung im Sommer 2021 und dem Einfrieren der sieben Milliarden Dollar der afghanischen Zentralbank änderte sich dies. Mehrere Gruppen von US-amerikanischen Terroropfern setzten die Biden-Regierung gerichtlich unter Druck, die Mittel zu beschlagnahmen. Mehrmals erbat sich die US-Regierung mehr Zeit – um sich nun so zu entscheiden. Afghanistans Ex-Präsident Hamid Karzai wiederum rief Joe Biden am Sonntag dazu auf, die Entscheidung rückgängig zu machen. Schließlich seien auch die Afghanen Opfer des Terrorismus.

In einer Stellungnahme nannte die afghanische Zentralbank Bidens Erlass »eine Ungerechtigkeit gegenüber dem afghanischen Volk«. Die Reserven der Zentralbank seien dazu gedacht, Geldpolitik zu betreiben sowie die Wirtschaft im Land zu fördern und nicht Eigentum von Regierungen oder Parteien und würden nicht genutzt, um deren »Ziele und Forderungen« zu bezahlen – ein Verweis auf die Eigenständigkeit der Zentralbank.

Die sieben Milliarden Dollar in US-Hand – ein Großteil davon stammt ursprünglich aus Spenden westlicher Länder – sind der Großteil der Auslandswerte der afghanischen Zentralbank. Diese besitzt auch noch Devisen in Höhe von zwei Milliarden Dollar, die auf Bankkonten in Deutschland, der Schweiz, Großbritannien und den Vereinigten Arabischen Emiraten verteilt sind. Die US-Regierung will mit dem Präsidialerlass »sicherstellen, dass die Gelder nicht den Taliban in die Hände fallen« und die Menschen im Land erreichen.

Doch laut Schah Mohammad Mehrabi, einem der zwei in den USA sitzenden Mitglieder des Boards der afghanischen Zentralbank, ist die »Da Afghanistan Bank« unabhängig von den Taliban. Man solle die Arbeit der Zentralbank zwar überwachen, könne ihr aber vertrauen, umsichtig mit dem Geld umzugehen, so Mehrabi.

Die US-Regierung wirbt damit, größter Unterstützer und internationaler Geldgeber zu sein – seit vergangenem August habe man Hilfe im Wert von mehr als 516 Millionen Dollar bereitgestellt, über unabhängige Hilfsorganisationen und in Zusammenarbeit mit der Uno. Die Entscheidung Bidens, die 3,5 Milliarden Dollar für US-Terroropfer zurückzuhalten sei »kurzsichtig, grausam und wird eine Katastrophe verschlimmern, die schon ihren Lauf nimmt und Millionen Afghanen betreffen, von denen viele kurz vor dem Verhungern sind«, erklärte die Gruppe »Afghans For Better Tomorrow«.

Die progressiven Aktivisten aus der afghanischen Diaspora appellieren an die Familien der 9/11-Opfer, die Gerichtsverfahren zu überdenken und einzustellen. Geld zu beschlagnahmen, das dem afghanischen Volk gehöre, würde »nicht Gerechtigkeit, sondern nur weitere Misere und Tod« bringen. Schon vor dem Präsidialerlass hatte sich die Gruppe unter Verweis auf 23 Millionen vom Hungertod bedrohte Afghanen für eine Freigabe der sieben Milliarden Dollar eingesetzt.

Auch eine Gruppe von 40 progressiven Demokraten-Parlamentariern hatte sich im Dezember in einem Brief dafür eingesetzt, die umfangreichen finanziellen Sanktionen gegen Afghanistan, die das Land »tiefer in die ökonomische und humanitäre Krise treiben«, aufzuheben. Anfang Februar scheiterte im US-Repräsentantenhaus ein Anhang zum sogenannten Competes Act – einem Gesetz zur Förderung des Wettbewerbs mit China – zur Überprüfung der ökonomischen Folgen der Sanktionen gegen Afghanistan. Mit 175 zu 255 Stimmen wurde der Vorschlag von Pramila Jayapal, Anführerin der Parteilinken, abgelehnt; auch rund 44 zentristische Demokraten stimmten mit der Republikaner-Fraktion. Angesichts der Tatsache, dass möglicherweise rund eine Million afghanische Kinder in diesem Winter verhungern könnten, warnte Jayapal in einer Rede davor, dass die Sanktionen und die durch sie ausgelöste »Spirale nach unten« mehr zivile Opfer fordern könnten als 20 Jahre Krieg in Afghanistan.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.