Moskaus widersprüchliche Signale

Russland bemüht sich um Entspannung und schafft zugleich Möglichkeiten zur Eskalation

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Signale, die Moskau am Tag des Besuches von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Russland aussandte, waren durchaus widersprüchlich.

Einerseits mühte sich der Kreml sichtlich um Zeichen einer Entspannung der Ukraine-Krise. Das Verteidigungsministerium überraschte am Dienstagvormittag mit der Ankündigung eines Rückzugs von Teilen der an der ukrainischen Grenze aufmarschierten Truppen. »Einheiten der Militärbezirke Süd und West, die ihre Aufgaben erfüllt haben, werden bereits auf Schienen und Transporter verladen«, erklärte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums Igor Konanschenkow in einer Videobotschaft. Die Truppen, die an Manövern auf der von Russland annektierten Krim teilgenommen hatten, würden nun in ihre Heimatbasen zurückkehren - unter anderem in die Kaukasusrepubliken Dagestan und Nordossetien. Um die Ankündigung zu unterstreichen, veröffentlichte das Verteidigungsministerium Videos einer abziehenden Panzerkolonne und der Verladung von Panzern, Schützenpanzern und Geschützen auf Bahnwaggons.

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Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte bereits am Montagabend während eines Treffens mit Präsident Wladimir Putin ein Ende nicht näher spezifizierter Übungen angekündigt. Zuvor sprach sich Außenminister Sergej Lawrow gegenüber dem Staatschef für eine diplomatische Lösung des Streits mit dem Westen über die Ukraine aus.

Allerdings handelt es sich bisher lediglich um einen Teilabzug. Die übrigen Militärmanöver würden fortgesetzt, erklärte Schoigu. Sie sollen aber in nächster Zeit beendet werden. Gegenwärtig führt Russland Militärübungen in der Barentssee, dem Schwarzen Meer und in der Ostsee durch. Auch im Mittelmeer, der Nordsee, im Ochotskischen Meer und Teilen von Atlantik und Pazifik übt das russische Militär.

In der Ukraine wurde die russische Ankündigung zurückhaltend aufgenommen. »Erst wenn wir einen Abzug sehen, dann glauben wir an eine Deeskalation«, sagte Außenminister Dmytro Kuleba am Dienstag. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßte die Meldung und sprach von »Grund zu vorsichtigem Optimismus«. Ein Sprecher des französischen Präsidenten nannte die Rückzugspläne ein »positives Zeichen für Deeskalation« - falls sie sich bewahrheiten sollten.

Nur kurz nach dem Signal zur Entspannung erhöhte Moskau dann wieder den Druck auf die Ukraine. Während einer Plenarsitzung am Dienstag wurde in der Duma über zwei Initiativen zur Vorbereitung einer russischen Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk in der Ostukraine beraten. Die Parlamentarier stimmten letztlich für einen bereits Ende Januar von den russischen Kommunisten (KPRF) eingebrachten Vorschlag, der den russischen Präsidenten zu einer Anerkennung der beiden prorussischen Separatistengebiete auffordert. Die einen Tag zuvor von der Regierungspartei Einiges Russland eingebrachte Initiative, der zufolge der Aufruf zuvor noch ins Außenministerium geschickt worden wäre, fand überraschenderweise nicht genug Unterstützung. Der verabschiedete Vorschlag soll nun umgehend Wladimir Putin vorgelegt werden.

Die Anerkennung der beiden Gebiete solle dem Schutz der dort lebenden russischen Staatsbürger vor äußeren Bedrohungen dienen, erklärte Duma-Sprecher Wjatscheslaw Wolodin (Einiges Russland). Gegenwärtig sei ihr Leben direkt bedroht, so der Politiker in einem Gespräch mit der russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti. Washington und Europa verschärften die bestehenden Spannungen mit Waffenlieferungen an die Ukraine, Kiew halte sich nicht an die Vereinbarungen.

Wolodin bezog sich mit seinen Aussagen auf die inzwischen mehr als 700 000 Menschen mit russischen Pässen, die in den beiden Gebieten leben. Moskau verteilt in der Region seit 2019 in einem vereinfachten Verfahren die begehrten Dokumente an Hunderttausende Menschen.

Mit einer Anerkennung der ostukrainischen Separatistenhochburgen würde Moskau faktisch aus dem Minsker Abkommen aussteigen, zu dessen Einhaltung es die Ukraine immer wieder drängt: Das 2015 beschlossene Vertragswerk zur Befriedung des Krieges im Osten der Ukraine sieht nämlich einen Verbleib der Separatistengebiete im ukrainischen Staatsverband vor.

Die Ukraine warnte Russland daher umgehend vor einem solch weitgehenden Schritt. Sie betrachtet Luhansk und Donezk weiterhin als Teile des eigenen Staatsgebietes. »Im Falle der Anerkennung tritt Russland de facto und de jure aus den Minsker Vereinbarungen aus - mit allen Konsequenzen«, sagte Außenminister Dmytro Kuleba in Kiew vor Journalisten.

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