Widerstandsfähig gegen Sanktionen

Ein Ausschluss aus dem globalen Zahlungssystem Swift könnte Russland hart treffen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), sorgt sich um Russland. Wie ein EZB-Sprecher mitteilte, diskutiert die Aufsicht derzeit mit den wichtigsten Banken über mögliche Risiken, die eine erneute Zuspitzung des Ukraine-Konfliktes mit sich bringen könnte. Mehrere Nato-Länder, darunter Deutschland, drohten Russland jüngst im Fall eines Einmarsches mit Wirtschaftssanktionen.

Dazu gehört ein Ausschluss des Landes aus dem globalen Zahlungssystem Swift. Die in Belgien ansässige Genossenschaft Swift wickelt den Zahlungsverkehr zwischen Tausenden Banken in nahezu allen Ländern ab. Ein Swift-Ausschluss würde Transaktionen mit russischen Unternehmen nahezu unmöglich machen und auch Banken in Russland treffen. So ist die Deutsche Bank traditionell stark in Russland engagiert, die österreichische Raiffeisen-Bank und die französische Société Générale unterhalten größere Tochtergesellschaften in Moskau. Versiegt dieser weltweite Geldfluss über Swift, dürfte Russland auch seine Exporte einstellen. Wozu Gas, Erdöl und Kohle in die EU liefern, wenn der Käufer nicht bezahlen kann?

Russlands Wirtschaft scheint allerdings gewappnet zu sein. Wegen seines Handelsüberschusses ist das Land kurzfristig weniger anfällig als Länder, die wegen eines Defizits ständig auf Kredite aus dem Ausland angewiesen sind und bei denen eine Kappung der Kreditlinien die Wirtschaft erschüttern würde. Einzelne russische Unternehmen dürften allerdings in Schwierigkeiten geraten. Diesen könnte aber vom Staat geholfen werden, der dazu über die nötigen Währungsreserven verfügt. Sie werden auf umgerechnet über 400 Milliarden Euro beziffert.

Das Bruttoinlandsprodukt von umgerechnet knapp 1,3 Billionen Euro steigt 2022 laut Prognosen der russischen Zentralbank um real 2 bis 3 Prozent. Damit kehre Russland auf das durchschnittliche Wachstumsniveau vor Beginn der Corona-Pandemie zurück, erklärt ein Moskauer Wirtschaftsexperte der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Germany Trade and Invest (GTAI). Das Erholungspotenzial nach Corona sei größtenteils ausgeschöpft.

Die bis Ende 2022 verlängerte Fördermengenbegrenzung der OPEC-Staaten sorgt dennoch für sprudelnde Haushaltseinnahmen aus dem Ölexport und stabilisiert die Landeswährung. In Russland fließen Einnahmen ab einem Ölpreis von 44,20 US-Dollar pro Barrel in die Rücklage des Staates. Aktuell ist der Ölpreis doppelt so hoch.

Während Rohstoffpreise vom Ukraine-Konflikt in die Höhe getrieben werden, fallen der Wechselkurs des Rubels und die Notierung der ukrainischen Hrywnja. Von Anfang November bis Ende Januar haben beide Währungen gegenüber dem Dollar etwa 10 Prozent an Wert verloren. Eine Zuspitzung der Krise würde zu weiteren Abwertungen führen und die ohnehin hohe Teuerung anheizen. Die russische Zentralbank könnte darauf wie in der Krim-Krise mit Zinserhöhungen reagieren. Dies dürfte die Inflation mittelfristig wieder unter Kontrolle bringen, gleichzeitig aber das Wachstum bremsen.

Längerfristig könnten Sanktionen sehr wohl tiefergehende Wirkungen zeigen. Sie erhöhen die Unsicherheit für die Wirtschaft und bremsen ausländische Investitionen. Noch sind rund 3700 deutsche Unternehmen in Russland tätig. Doch die Zahl ist seit dem Höchststand des Jahres 2011 (6300) infolge des verschlechterten Geschäftsklimas stark gesunken. So haben die nach dem Krim-Anschluss vom Westen verhängten Sanktionen maßgeblich dazu beigetragen, dass die von Präsident Wladimir Putin angekündigte Diversifizierung der russischen Wirtschaft - weg von der riskanten Konzentration auf Rohstoffe - nicht wie geplant vorangekommen ist.

Folgen zeigen sich in einem Vergleich der russischen Wirtschaftsleistung pro Kopf mit jener der Eurozone. Bis 2013 hatte Russland hier stetig aufgeholt. Gerechnet in Kaufkraftparitäten hatte Russland rund zwei Drittel des Pro-Kopf-Niveaus der Eurozone erreicht, analysiert die Commerzbank. Seit der Krim-Krise sei Russland jedoch wieder deutlicher zurückgefallen.

Gleichzeitig gewinnt China immer mehr Marktanteile. Was auch eine Folge der politischen Annäherung zwischen Moskau und Peking ist. Ebenso zielt Putins Politik nach chinesischem Vorbild auf eine »Lokalisierung« ausländischer Importeure - wer gute Geschäfte in Russland mache, soll Teile der Produktion dorthin verlagern.

Russland ist angesichts seiner Größe und seines Rohstoffreichtums an sich ein attraktiver Handelspartner, mahnt die GTAI. Zudem biete der Modernisierungsbedarf der Industrie bei gleichzeitig guter Finanzausstattung der Konzerne viel Potenzial. Die Agrarwirtschaft ist vom Importeur zu Sowjetzeiten zum weltweit größten Exporteur von Weizen gewachsen und hat einen hohen Bedarf an moderner und »grüner« Landtechnik.

Zugleich ist das Land der größte Verbrauchermarkt in Europa mit einer sehr konsumfreudigen Bevölkerung. Als Produktionsstandort punktet Russland mit gut ausgebildeten Fachkräften bei vergleichsweise niedrigen Löhnen, mit günstigen Energiekosten und verfügbaren Gewerbeflächen. Das gilt allerdings nur, solange Russland an das Zahlungssystem Swift angeschlossen bleibt.

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