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First Nations auf dem Eis
Gleich drei indigene Spielerinnen wirkten im olympischen Eishockeyfinale mit
Am Ende sah das olympische Eis nur noch eine rote Jubelwolke. Die Schlusssirene war kaum verhallt, da fluteten Frauen in den roten Trikots von Team Kanada das Eis und sprangen geschlossen in die Luft. Die Freude nach dem 3:2 war einfach grenzenlos. Mittendrin in der Wolke Jocelyne Larocque. Die 33-jährige Verteidigerin hatte es zum Schluss noch einmal spannend gemacht. Beim 3:1 für Kanada musste sie auf die Strafbank. Die USA verkürzten im Powerplay auf 3:2. Mehr ließ Kanada aber nicht zu. Und so gewann das Team mit zwei indigenen Spielerinnen gegen das, das nur eine Frau mit Wurzeln in den First Nations auf dem Eis hatte.
Jocelyne Larocque, die zur Nation der Metis zählt, holte bereits ihre zweite Goldmedaille für Kanada bei ihrem dritten olympischen Auftritt, während ihre Teamkollegin Jamie Lee Rattray sich über ihr erstes Gold freute. Bei Silbermedaillengewinner USA war Abby Roque die erste indigene Athletin.
Der Jubel auf dem Eis in Peking fand in der Bar »Provincial Kitchen« in Edmonton sein Echo. Eingefleischte Fans des Kultklubs Edmonton Oilers hatten es sich zu bester Fernsehzeit am Abend nicht nehmen lassen, das Finale im Fraueneishockey in ihrer Stammkneipe anzuschauen. »Hey, unsere Frauen sind gut, sie werden die USA schlagen«, erzählte Cameron, einer der Fans, schon vor dem Anpfiff gegenüber »nd«.
Kanada und die USA beherrschen das Fraueneishockey. Das hat mehrere Gründe. Seit 2001 trägt die NCAA, der Verband für College-Eishockey in Nordamerika, eine Frauenmeisterschaft aus. Generell hat Eishockey höheren Stellenwert in Nordamerika; es heißt hier nur Hockey und dass man es auf dem Eis spielt, ist selbstverständlich. Und dann gibt es noch den schieren Willen einzelner Eishockeymädchen, es ihren männlichen Altersgenossen gleichzutun.
So wie es bei US-Spielerin Abby Roque, Angehörige der Ojibwe First Nation, der Fall war. Sie war oft dabei, wenn ihr Vater als Trainer, den Jungs Tipps und Tricks verriet. In den Pausen ging sie allein aufs Eis und probierte aus, was sie gerade gesehen hatte. Später spielte sie in Teams mit den Boys - und war sich ihrer doppelten Sonderrolle immer bewusst. »In den USA sind indigene Spieler eher ungewöhnlich. In Gesprächen mit anderen Spielern, aber auch in der Beschäftigung mit der Geschichte dieses Sports, habe ich mitbekommen, wie viel rassistische Beleidigungen es gab und gibt und wie schwer es indigene Sportler haben«, erzählte sie später.
Ihre kanadischen Rivalinnen hatten es da leichter. Dort waren in den 1970er Jahren indigene Bildungseinrichtungen gegründet worden, aus Protest gegen die staatlichen Internatsschulen, wo indigene Kinder nicht nur ihrer Herkunftskultur entfremdet, sondern oft auch misshandelt und sexuell missbraucht wurden. Diese neuen Indigenen-Schulen etablierten schnell eigene Sportprogramme. Dazu gehört auch Eishockey. Die Edmonton Oilers unterstützen etwa die indigene Hockey Akademie der Ben Cafe Robe Society. Der frühere Oilers-Verteidiger Jason Strudwick ist dort Trainer: »Wir wollen nicht nur Fertigkeiten im Hockey vermitteln, sondern auch ein generelles Balancegefühl für den Körper sowie für Kraft, Flexibilität und Koordinationsgefühl sorgen. Und außerdem geht es uns um eine freundliche Atmosphäre des Miteinanders«, sagt Strudwick.
Bei weißen Oilers-Fans kommen solche Aktivitäten gut an, erzählt Cameron. »Wir hatten im letzten Jahr mit Ethan Bear auch einen Spieler mit indigener Herkunft im NHL-Kader. Die Oilers haben ihn dann leider verkauft. Aber unter uns Fans war er sehr beliebt, auch, weil er von hier kam«, sagt er.
Einige Oilers-Anhänger suchten nach einer Niederlage allerdings die Schuld bei Bear und beleidigten ihn rassistisch im Netz. Der Spieler setzte sich über Twitter zur Wehr: »Ich stehe hier, um mich gegen dieses Verhalten zu wehren. Ich bin stolz auf meine Herkunft, stolz, von der Ochapowace First Nation zu sein.« Er erklärte zudem, diese Botschaft auch »für die nächste Generation, für einen Wandel« in die Welt zu setzen. Sein Aufruf erfuhr große Resonanz in Kanada - und machte ihn bei der Mehrheit der Fans noch beliebter.
Von jenen Sportinfrastrukturen, die sich für indigene Athletinnen und Athleten öffneten oder die gar extra für sie geschaffen wurden, profitierten auch die aktuellen Olympiasiegerinnen. Jocelyne Larocque aus der Ethnie der Metis kam gemeinsam mit ihrer älteren Schwester zum Eishockey. Rassistische Diskriminierung habe sie nicht dabei erfahren, berichtet sie rückblickend: »Die Geschichte unserer Unterdrückung ist mir aber bewusst. Schon meine Eltern haben mich damit vertraut gemacht«, sagte sie kanadischen Medien. Dass sie 2014 als erste indigene Olympiateilnehmerin der kanadischen Eishockey-Auswahl herausgestellt wurde, machte sie zwar einerseits stolz. »Andererseits ist das auch traurig, die Erste zu sein. Fraueneishockey ist zwar noch eine relativ junge Sportart. Es gibt sie aber auch schon einige Jahrzehnte«, sagte sie 2014 anlässlich ihres ersten Olympiasieges.
Mittlerweile ist sie eine hochdekorierte Athletin, unter anderem mit zwei olympischen Goldmedaillen und zwei WM-Titeln. In Kanada ist sie eine bekannte Persönlichkeit. Immer wieder besucht sie Schulen und Sportvereine der First Nations. »Ich möchte ein Beispiel geben. Denn wenn man nicht von bestimmten Dingen erfährt, kann man auch nicht davon träumen und sie als Inspiration für das eigene Leben nehmen«, begründet sie ihr Engagement. Mitspielerin Jamie Lee Rattray, auch sie eine Metis, hat sogar ihre eigene Hockeyschule aufgemacht und coacht gelegentlich indigene Teams in Toronto.
Larocque und Rattray sind die Gesichter eines Wandels. Indigene Medaillengewinner im olympischen Eishockey gab es bereits vor knapp 100 Jahren. Bei den Spielen 1924 holte Clarence »Taffy« Abel mit den USA Silber im Eishockey. Seine Herkunft hatte er allerdings zuvor stets verschwiegen; er hätte sonst wohl kaum den Weg in den »weißen Sport« geschafft.
Abel war sogar Fahnenträger bei der Eröffnungszeremonie. Es ist Zeit, eine solche Ehre auch einmal indigenen Athlet*innen zukommen zu lassen, die ihre Herkunft nicht mehr verschweigen müssen.
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