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Ein »neuer Ostblock« wächst
Die derzeitigen Spannungen sind Ausdruck einer sich verändernden außenpolitischen Orientierung Russlands
»Es ist das Schicksal jeder Generation, in einer Welt unter Bedingungen leben zu müssen, die sie nicht geschaffen hat.« Zitat: John F. Kennedy. Wer wollte dem einstigen US-Präsidenten da widersprechen?
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
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Für das Schicksal heutiger Generationen war das Jahr 1985 eine wichtige Wegmarke. Der Landwirtschaftsexperte Michail Gorbatschow, ein Mann aus der sowjetischen Parteiprovinz, wird Generalsekretär der KPdSU. Er hat Visionen, schiebt den altgedienten Außenminister Andrej Gromyko auf den Posten des Staatsoberhauptes ab, ernennt Eduard Schewardnadse, den bis dahin fast unbekannten Parteichef von Georgien, zum Nachfolger für globale Angelegenheiten. Beide setzen deutlich neue Akzente.
Durch sein Gipfeltreffen mit dem US-Präsidenten Ronald Reagan gibt Gorbatschow der Welt die Hoffnung, dass man aus der lebensgefährlichen Spirale des Wettrüstens entkommen kann. Zugleich bemüht sich der erste Mann der UdSSR um ein neues Verhältnis zum westlichen Europa. Nicht zufällig prägte er im Herbst 1985 bei einem Besuch in Paris die Formulierung vom »gemeinsamen Haus Europa«. Gorbatschow griff damit die Idee eines in der Nachkriegszeit bedeutsamen und höchst eigenwilligen Franzosen auf. Präsident Charles de Gaulle träumte gleichfalls von einem Europa »vom Atlantik bis zum Ural«. Nur politisch oberflächliche Zeitgenossen behaupteten eine Verwandtschaft zwischen beiden Visionen.
Gorbatschows Hausgleichnis wurde zum Konzept erhoben und erlangte 1988 nicht zuletzt aufgrund der Probleme im Innern der Sowjetunion sowie denen im sozialistischen Block strategische Bedeutung. Die seit der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 geltende Breschnew-Doktrin über die begrenzte Souveränität der »Bruderstaaten« löste sich im Nichts auf. So wie wenig später die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken.
Die Idee vom »europäischen Haus« bestimmte weiter die Außenpolitik Moskaus. Man war vor allem darauf bedacht, eine drohende Isolation Russlands zu verhindern. Im Dezember 1991 äußerte Präsident Boris Jelzin – so wie einst der Diktator Stalin – den Wunsch, »auf lange Sicht« der Nato beizutreten. Vergeblich. Russland bekam keinen Mietvertrag im »Haus Europa«. Die ohne UN-Mandat erfolgte Nato-Intervention in Ex-Jugoslawien 1999 machte Moskau klar, dass es – bei gutem Benehmen – allenfalls eine Besenkammer beziehen könnte.
Die Bomben, die auf Belgrad fielen, brachten auch das »europäische Haus« zum Wanken. Dennoch: Selbst Wladimir Putin, der die Jelzin-Ära im Jahr 2000 beendete, unternahm durchaus europafreundliche Ausflüge. Vor dem Deutschen Bundestag regte er 2001 an, Europa solle »seine eigenen Möglichkeiten mit den menschlichen, territorialen und natürlichen Ressourcen Russlands sowie mit den russischen Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen vereinigen«.
Das Echo war ernüchternd. Die USA und die Nato dachten nicht an eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Man rückte – demokratisch legitimiert durch den Willen zahlreicher Staaten – militärisch weiter an Russlands Grenzen heran. 2008 schickte Moskau Truppen, um die Offensive des georgischen Präsidenten gegen Südossetien und damit das Streben Georgiens in die Nato zu stoppen. Aber: Moskau blieb gesprächsbereit. Ende 2009 schlug Putin einen europäischen Sicherheitsvertrag vor. Abermals ohne Erfolg. Mit der Einverleibung der Krim setzte Moskau der Nato ein weiteres Stoppzeichen. Putin rechtfertigte sein Tun mit den Worten: »Sie haben uns ein ums andere Mal betrogen, Entscheidungen hinter unserem Rücken gefällt, uns vor vollendete Tatsachen gestellt. So war es bei der Nato-Osterweiterung und beim Aufbau militärischer Infrastrukturen an unseren Grenzen.«
Laut Wladislaw Surkow, unlängst noch einer von Putins außenpolitischen Beratern, war die Krim-Annexion für Russland zugleich das Ende seiner vielen vergeblichen Versuche, »in die ›gute Familie‹ der europäischen Völker einzuheiraten«. Ist es denkbar, dass der Westen in seiner Arroganz noch immer nicht realisiert, dass Russland seinen strategischen Kurs gerade radikal überarbeitet?
Mit den Erfahrungen der gescheiterten GUS-Vereinigung sucht das Land nach Möglichkeiten, um Länder aus dem postsowjetischen Raum wieder um sich zu scharen. Belarus ist gebucht, das russische Parlament plädiert bereits offen für eine Angliederung der selbst ernannten Republiken Donezk und Luhansk. Abchasien und Südossetien könnten folgen. Kasachstan weiß die Hilfe bei der Niederschlagung der jüngsten Unruhen zu schätzen, andere ehemalige Südrepubliken nehmen gerne Hilfe bei der Abwehr des drohenden Islamismus an.
Zielstrebig, nahezu bündnispolitisch, baut Russland Beziehungen zu anderen wichtigen, nicht-westlichen Staaten auf. Dass dabei gegenseitige Ermahnungen zur Verbesserung der jeweiligen Menschenrechtssituation sowie Vorschläge zur Demokratieförderung keine Rolle spielen, versteht sich. Mit dem Iran werden gemeinsame Manöver abgehalten. Venezuela, Kuba und Nicaragua sind auf Moskaus Hilfe angewiesen und bereit für Gegenleistungen. Höchst aktive und rigide Außenpolitik auf lange Sicht betreibt Russland in Syrien, Libyen und in einigen zentralen Ländern Afrikas. Regimechance hat man von den USA gelernt.
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Bei Russlands »Brautschau« steht China obenan. Man hat einen gemeinsamen Gegner: den Westen. Während Russland wieder von einer Regional- zur Globalmacht aufsteigt, will China die USA als Welthegemon ablösen. Beides führt zu Konflikten. Während Russland von den USA und der restlichen Nato vor allem in Europa »Sicherheitsgarantien« einfordert, wehrt sich China gegen das von Washington im asiatisch-pazifischen Raum geschmiedete Bündnissystem, in das sich die Nato ebenfalls eingliedern lässt. Was liegt näher, als Abwehrkräfte zu bündeln? Zumal dann, wenn man selbst – wie Moskau und Peking – territoriale Ansprüche erhebt. Mancherorts wird bereits über das Entstehen eines neuen »Ostblocks« sinniert, der bis nach Nordkorea reichen würde.
Noch ist die Vision übertrieben. Doch könnte die aggressive Politik des Westens dazu führen, dass dieser Prozess beschleunigt wird. Bereits jetzt entwickeln Russland und China »ein neues Modell der Zusammenarbeit«, lobte Putin unlängst in einem Gespräch mit seinem chinesischen Partner Xi Jinping. Angesichts zunehmender geopolitischer Spannungen, so behauptet Russlands Präsident, spiele die russisch-chinesische Nachbarschaft eine »stabilisierende Rolle im Weltgeschehen«. Beide Länder haben Vetokraft im UN-Sicherheitsrat und verfolgen zunehmend ähnliche Interessen. Zum Beispiel in der Wirtschaft. 2020 exportierten Russland und China jeweils Waren im Wert von etwa 50 Milliarden US-Dollar ins Nachbarland. Die Pipeline »Sila Sibiri«, die seit 2019 Erdgas aus Jakutien nach China befördert, macht Russland weniger abhängig von Abnehmern in Westeuropa. Im Gegenzug verkaufen die Chinesen Maschinen, Elektronik und Konsumgüter in den flächenmäßig größten Staat. Dabei sind die Gewichte klar gesetzt: Mit 15 Billionen US-Dollar ist das chinesische Bruttoinlandsprodukt heute zehnmal so groß wie das russische. Doch Peking sorgt dafür, dass Moskau sich auf Augenhöhe wähnt.
Es gibt viele Beispiele effektiver Kooperation. So hat China Ambitionen, den bald eisfreien Nördlichen Seeweg zu nutzen. Zudem will man auf dem Meeresgrund Glasfaserkabel nach Westen verlegen, um seinen Datenverkehr US-amerikanischem Zugriff zu entziehen. Was Wunder, dass Peking Sympathien für Moskaus Arktis-Strategie hegt.
Die gemeinsame Arbeit beider Staaten in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) – Arbeitssprachen sind Chinesisch und Russisch – könnte sich doch noch als wichtiges Instrument erweisen. Mitglieder sind Indien, Kasachstan, Kirgistan, Pakistan, Tadschikistan und Usbekistan. In der Region leben 40 Prozent der Weltbevölkerung.
Nicht nur für »Erbsenzähler« wichtig: China hat 2,2 Millionen aktiven Soldaten, 1,7 Millionen Reservisten und die größte Flotte der Welt. Russland, das militärtechnisch die Spitze mitbestimmt, verfügt über mindestens 850 000 aktive Soldaten sowie zwei Millionen Reservisten. Gemeinsame Manöver sind normal. Nach Zahlen des Friedensforschungsinstituts Sipri gab China 2020 insgesamt 252 Milliarden US-Dollar für sein Militär aus: viermal so viel wie Russland. Dafür sind Moskaus Truppen – trotz weiterer Nato-Aufrüstung vor seinen Grenzen – technologisch in der Lage, ein stabiles militärisches Gegengewicht zu erzeugen. Unter anderem dadurch, dass man mit Hyperschallraketen bestückte U-Boote entlang der US-Küste kreuzen lässt. Die Abschreckung auf einem höheren und gefährlicheren Niveau hilft auch China.
Wichtiger als militärische Stärke scheint jedoch das: Die US-Staatsverschuldung liegt über 30 Billionen Dollar. Das ist der höchste Stand aller Zeiten. Fast acht Billionen Dollar davon schulden die USA ausländischen Investoren. Hauptgläubiger ist – neben Japan – die Volksrepublik China.
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