Kurswechsel in Potsdam

Berliner Träger übernimmt Leitung der Fachstelle Antisemitismus in Brandenburg

  • Maximilian Breitensträter
  • Lesedauer: 4 Min.

Bedrohungen und tätliche Angriffe auf offener Straße, Verschwörungserzählungen und Hetze in den sozialen Netzwerken: Antisemitismus ist auch in Brandenburg ein ernsthaftes Problem. Für das Jahr 2020 registrierte die Polizei landesweit 147 antisemitisch motivierte Straftaten - der höchste Wert seit Einführung der Statistik 2001.

Um den wachsenden Hass auf Juden und Israel wirksam zu bekämpfen, hat die Landesregierung im Mai 2019 die Fachstelle Antisemitismus Brandenburg ins Leben gerufen, finanziert aus Mitteln der Staatskanzlei. Die Entscheidung fiel zeitlich zusammen mit der Einsetzung von Antisemitismusbeauftragten im Bund und in mehreren Ländern, unter anderem in Berlin. Doch anstatt nur eine einzelne Ansprechperson für das Thema zu berufen, wollte man sich in Brandenburg breiter aufstellen: Die Fachstelle soll neben dem Monitoring antisemitischer Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze auch Betroffene beraten, als Expertengremium Politik und Justiz zur Seite stehen sowie die Zivilgesellschaft über aktuelle Ausdruckformen von Antisemitismus aufklären.

Seit Januar hat die Fachstelle mit Sitz in Potsdam eine neue Leitung: Die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) aus Berlin hat sich der Aufgabe angenommen. Die KIgA, seit vielen Jahren bundesweit aktiv als Träger von Bildungsprojekten gegen Antisemitismus und Diskriminierung, hatte nach einem Interessensbekundungsverfahren durch das Land Brandenburg zum 1. Januar den Zuschlag für die Stelle bekommen, die zuvor beim Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ) der Universität Potsdam angesiedelt war.

Für Dervis Hizarci, den Vorstandsvorsitzenden der KIgA, ist die Übernahme der Einrichtung ein wichtiges Anliegen. Man sei sich »der Aufgabe und des Vertrauens, das in uns gesetzt wird, sehr bewusst«, sagt Hizarci. Derzeit befinde man sich in der Aufbauphase. »Es ist völlig klar, dass wir nicht mit fertigen Schablonen aus Berlin kommen können. Die Angebote müssen zu Brandenburg passen.« Es gehe darum, entsprechende Formate für das Land zu entwickeln.

Im Vordergrund müsse dabei stets die Perspektive der von Antisemitismus Betroffenen stehen. »Wir planen die Umsetzung eines umfassenden Aktionspakets gegen Antisemitismus«, sagt Hizarci. Teil dieses Pakets sollen kontinuierlichen Fort- und Weiterbildungsprogramme für Multiplikator*innen, Sicherheitsbehörden und Verwaltungsmitarbeiter*innen zum Themenbereich werden. Weitere Schwerpunkte lägen auf dem Sichtbarmachen jüdischen Lebens in Brandenburg und dem interreligiösen Dialog. Dafür will die Initiative eng mit dem Beratungsnetzwerk Tolerantes Brandenburg zusammenarbeiten. Die Beratung für Menschen, die von Antisemitismus betroffen sind, wird von der Opferperspektive Brandenburg übernommen.

»Es gibt jüdische Gemeinden in Potsdam, Brandenburg an der Havel, Cottbus, Frankfurt (Oder), Bernau und anderen Orten im Land, doch vielen Menschen ist das gar nicht bewusst. Sie haben kaum Berührungspunkte zu aktuellem jüdischen Leben«, sagt der KIgA-Vorsitzende. Auch dieser Aspekt werde für die Arbeit der Fachstelle künftig von Bedeutung sein. »Zwei Punkte sind uns besonders wichtig: die Einbeziehung jüdischer Gemeinden und der Blick auf die gesamte Fläche des Bundeslandes.« Begegnungen und das Gespräch auf Augenhöhe seien immer noch der beste Weg, um Vorurteile und Stereotype ad acta zu legen. Ab März wolle man mit der konkreten Arbeit vor Ort beginnen.

Miriam Rürup, seit rund einem Jahr Leiterin des MMZ, freut sich auf die Zusammenarbeit mit dem Berliner Träger. »Es ist gut, dass wir mit der KIgA nun einen weiteren, erfahrenen Kooperationspartner im Kampf gegen antisemitische Einstellungen in Brandenburg an unserer Seite haben«, sagt die Historikerin.

Die Entscheidung, die Fachstelle aus ihrem Institut auszugliedern, habe man gemeinsam mit der Staatskanzlei und dem bisherigen Leiter Peter Schüler getroffen. »Wir alle hatten das Gefühl, dass die Fachstelle in unseren, auf die wissenschaftliche Forschung ausgerichteten Strukturen am MMZ nicht ausreichend als eigenständige Stelle mit politischer Wirkungskraft in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde«, erläutert Rürup. Auch könnte durch die Ansiedlung an einem akademisch geprägten Institut der Eindruck fehlender zivilgesellschaftlicher Verankerung entstanden sein. »Das kann - etwa für von antisemitischen Anfeindungen oder Übergriffen Betroffene - durchaus auch eine Hemmschwelle darstellen.«

Die Neubesetzung durch die KIgA bietet aus Sicht der MMZ-Leiterin nun die Chance für einen Kurswechsel der Fachstelle hin zu einem »eigenständigen Akteur, der sichtbar in die Zivilgesellschaft hineinwirkt«. Das MMZ werde weiterhin unterstützend zur Seite stehen.

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