Die magische Zahl 9

Claudia Pechstein macht erstmal weiter - die nächsten Winterspiele als Trainerin?

  • Lars Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
Sie kann sogar noch siegen: Das Halbfinale des Massenstartrennens gewann die 49-jährige Berlinerin Claudia Pechstein.
Sie kann sogar noch siegen: Das Halbfinale des Massenstartrennens gewann die 49-jährige Berlinerin Claudia Pechstein.

Nach ihrem beachtlichen neunten Platz in ihrem - vermutlich - letztem olympischen Rennen posierte Claudia Pechstein mit neun Medaillen für die Fotografen. Der deutsche Chef de Mission, Dirk Schimmelpfennig, hatte sie ihr überreicht, eine für jede olympische Medaille ihrer unglaublichen Karriere. Die Motive der Plaketten vom Wappen dieser Winterspiele von Peking bis zur Chinesischen Mauer sollen eine bleibende Erinnerung für die Frau sein, die als erste Frau zum achten Mal bei Olympischen Spielen dabei war. Auch ihr Alter ist für eine deutsche Sportlerin Olympia-Rekord: Am Dienstag, dem 22.2.22, feiert Claudia Pechstein in ihrer Heimat Berlin ihren 50. Geburtstag.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

»Die Medaillen sind fast so schwer wie die echten. Das war eine tolle Geste des Teams - sie haben mich damit wirklich überrascht«, sagte die sichtlich gerührte Pechstein. Nach ihrem Zieleinlauf im Massenstart drehte sie im Eisoval noch zwei Ehrenrunden. Sie machte wie einst Fußballstar Jürgen Klinsmann den »Diver« auf dem Eis, als perfektes Fotomotiv vor den fünf olympischen Ringen. Dann zeigte Pechstein noch die Waage, eine Eiskunstlauf-Figur. Es war eine Erinnerung an die frühen Anfänge ihrer sportlichen Karriere, die sie als Kind zunächst im Eiskunstlauf begonnen hatte.

Schouten siegt - Pechstein beste Deutsche

Das alles sah schon sehr nach Abschied aus. Aber die »ewige« Eisschnellläuferin Pechstein kündigte danach an, dass das nicht ihr letztes Rennen gewesen sei. Sie will auf jeden Fall noch beim Weltcup-Finale am 12. und 13. März im niederländischen Heerenveen dabei sein: »Dann sind hoffentlich wieder Zuschauer dabei.« Und als die Frage nach einem Olympiastart 2026 bei den Winterspielen von Mailand und Cortina kam, wollte sie nichts ausschließen: »Die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Ich habe schließlich vor 20 Jahren schon gesagt, dass ich zurücktrete.«

Zwei Jahrzehnte später war sie an diesem Samstag immer noch dabei. Und zeigte in einem Feld, in dem fast jede Sportlerin altersmäßig ihre Tochter hätte sein können, ihre immer noch große Klasse. Im Halbfinale schaffte sie es dank einer frühen Attacke auf Platz sechs und damit ins Finale. Und dort gewann sie sogar den letzten der Zwischensprints, ehe sie beim dritten Goldtriumph der Eisschnelllauf-Königin Irene Schouten als starke Neunte der Endwertung ins Ziel trudelte. Nur zur Einordnung: Als Pechstein 1992 in Albertville ihre erste Olympia-Medaille gewann, war Schouten noch nicht einmal geboren.

»Dieses Rennen wird immer einen besonderen Platz für mich haben. Ich habe es geschafft, ins Finale zu kommen, ich habe einen Sprint gewonnen und gezeigt, dass ich in meinem Alter noch leistungsfähig bin. Das hat mir kaum einer zugetraut und deshalb kann ich stolz sein«, sagte Pechstein. Ihr neunter Platz war das beste Resultat einer deutschen Eisschnellläuferin bei diesen Winterspielen von Peking. Und ein perfekter Abschied von ihren achten Winterspielen, die mit ihrer Nominierung als deutsche Fahnenträgerin bei der Eröffnungsfeier (»Das war trotz aller Medaillen der I-Punkt meiner Karriere.«) schon mit der Erfüllung eines Traums begonnen hatte.

Noch keine Entscheidung über Zukunft

Es hätten auch neun Olympia-Starts für Claudia Pechstein sein können. Im Juli 2009 wurde sie mit einem indirekten Nachweis durch die Internationale Eislauf-Union (ISU) des vermeintlichen Blutdopings überführt und verpasste wegen der zweijährigen Sperre die Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver. Die spätestens seitdem sehr kontrovers diskutierte Sportlerin weist bis heute alle Vorwürfe zurück und nannte eine von ihrem Vater vererbte Blutanomalie als Grund für die ungewöhnlichen Werte. Sie begann einen Klagemarathon gegen die Entscheidung, der heute noch immer andauert und derzeit beim Bundesverfassungsgericht liegt. Als Motto für dieses Verfahren hat Claudia Pechstein »Siegen oder sterben« ausgegeben.

Ob es sportlich »Aufhören oder Weitermachen« heißt, wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Auch wenn Claudia Pechstein mit der Fortsetzung ihrer Karriere bis Olympia 2026 kokettiert, scheint das sportlich ausgeschlossen. Es gibt allerdings eine andere Möglichkeit zu ihrem »magischen« neunten Olympia-Start zu kommen, um den sie sich wegen der Sperre in Vancouver 2010 betrogen fühlt. Claudia Pechstein hat eine Trainer-Ausbildung an der Trainerakademie des Deutschen Olympischen Sportbundes in Köln begonnen. Ihr Lebenspartner ist Matthias Große, Präsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft. Und der könnte mit Blick auf nunmehr drei Winterspiele in Folge ohne deutsche Medaille sicher sehr gut eine Bundestrainerin mit dieser einmaligen Vita gebrauchen.

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