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Wo der Grenzverlauf über Krieg entscheidet
Zu dem von Russland anerkannten Territorium der Volksrepubliken in der Ostukraine gehören auch Gebiete unter Kiewer Kontrolle
Die Frage nach den Grenzen der Volksrepubliken in der Ostukraine war eigentlich ziemlich klar: »Können Sie mir sagen, ob sich die russische Anerkennung auf deren derzeitige De-facto-Grenzen bezieht - oder auf die Grenzen der Verwaltungsgebiete Donezk und Luhansk?«, wollte ein Korrespondent des US-Nachrichtensenders CNN von Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstagnachmittag wissen.
Die Antwort kann über Krieg und Frieden im Donbass entscheiden. Der Grund: Die von Moskau unterstützten Separatisten beherrschen nur etwa ein Drittel des Territoriums der ukrainischen Verwaltungsgebiete Donezk und Luhansk - erheben aber Anspruch auf deren komplette Kontrolle. Würde Russland die Volksrepubliken in den Grenzen der Verwaltungsgebiete Donezk und Luhansk anerkennen, könnten die Separatisten Moskau um Hilfe bei der Herstellung ihrer territorialen Integrität bitten. Kämpfe mit der ukrainischen Armee, welche weite Teile beider Regionen kontrolliert, wären unausweichlich.
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Das wusste auch der Kremlsprecher, der aber offensichtlich noch keine Sprachregelung von oben hatte. Die Anerkennung beider Gebilde gelte »innerhalb der Grenzen, in denen sie ausgerufen wurden«, antwortete Peskow wenig verständlich laut einem Gesprächsprotokoll der in Lettland ansässigen russischsprachigen Onlinezeitung »Meduza«. Auf welches Jahr sich Peskow beziehe, hakte ein weiterer Korrespondent daraufhin nach. Doch der Kremlsprecher wiegelte ab: »Nein, ich habe nichts hinzuzufügen.« Ob er wenigstens sagen könne, ob die ukrainische Hafenstadt Mariupol zu dem von Moskau anerkannten Gebiet gehören würde? »Ich habe dem nichts hinzuzufügen«, wiederholte Peskow. Die Republiken würden »innerhalb der Grenzen, in denen sie existieren«, anerkannt. Die Reporter reagierten verwirrt. »Ich habe in diesem Fall alles gesagt, was ich zum Thema sagen konnte«, entgegnete Peskow und beendete die Pressekonferenz.
Der Kremlsprecher war nicht der Einzige, der nach der Anerkennung der Volksrepubliken durch Parlament und Präsident nicht wirklich wusste, wo genau die Grenzen der beiden Gebilde künftig verlaufen sollen. Auch Leonid Kalaschnikow, Vorsitzender des Ausschusses für Angelegenheiten der GUS-Staaten, sorgte mit mehreren widersprüchlichen Stellungnahmen für Verwirrung. »Der Beschluss enthält dazu keine genauen Angaben«, wird er mit Anspielung auf den Dumabeschluss von der Zeitung »Wsgljad« (Blick) zitiert. Er gehe aber von einer Anerkennung der Republiken innerhalb der Gebietsgrenzen von Donezk und Luhansk aus. Wenig später ruderte der Abgeordnete der kommunistischen Partei (KPRF) zurück. Eine genaue Festlegung gebe es noch nicht.
Zum Chaos um die Grenzfrage trug auch Vizeaußenminister Andrej Rudenko bei. Dieser erklärte der Nachrichtenagentur Interfax, Moskau werde die Volksrepubliken innerhalb der Grenzen anerkennen, »in denen deren Behörden Rechtsprechung und staatliche Befugnisse« ausübten. Im Staatsfernsehen unterstrich derweil Denis Puschilin, Anführer der sogenannten Donezker Volksrepublik, seinen Anspruch auf die von Kiew kontrollierten Territorien des Donezker Gebietes. »Das weitere Vorgehen wird die Zeit zeigen«, sagte er im Sender Rossija 1.
Für Klarheit in der Grenzfrage sorgte Präsident Wladimir Putin am Dienstagabend selbst. Russland habe die Volksrepubliken innerhalb der von ihren Verfassungen festgeschriebenen Grenzen anerkannt, erklärte er in Moskau vor Journalisten. »Im Rahmen der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk, als diese zur Ukraine gehörten.« Das heißt: Das von Russland anerkannte Gebiet ist wesentlich größer als das von den Separatisten kontrollierte Territorium, in dem etwa vier Millionen Menschen leben. Um den sich daraus ergebenden Konflikt zu lösen, setzt Putin auf Verhandlungen. »Wir rechnen damit, dass alle strittigen Fragen (Anm. der Red.: zum Grenzverlauf) mit den heutigen Kiewer Behörden und der Führung dieser Republiken gelöst werden.«
Im Moment seien Gespräche aber nicht möglich, schränkte der russische Staatschef ein, »da es dort Kampfhandlungen gibt, die sich tendenziell verschärfen«. Der Einsatz der Armee sei daher nicht ausgeschlossen. »Warum glauben Sie, dass das Gute immer machtlos sein muss?«, so Putin. »Das sehe ich nicht so. Ich denke, dass das Gute die Möglichkeit haben muss, sich zu verteidigen.« Bis wohin die russischen Truppen im Falle eines Einsatzes vorrückten, entscheide sich vor Ort und sei von der konkreten Situation »am Boden« abhängig. Wann es zu einem Einsatz komme, sei noch unklar. »Ich habe nicht gesagt, dass die Armee sofort nach unserem Treffen da reingeht.«
Genau dieser Option ebnete allerdings der russische Föderationsrat keine zwei Stunden später den Weg. Die zweite Kammer des Parlaments gab Putins nur kurz zuvor eingegangenem Antrag statt, die russische Armee »in Verbindung mit dem Freundschaftsvertrag mit den Donezker und Luhansker Volksrepubliken« auch außerhalb der russischen Grenzen einzusetzen. Der Wortlaut des Dokumentes beschränkt den Einsatz der russischen Armee allerdings nicht auf den Donbass und die Gebiete Luhansk und Donezk.
Mögliche Vorwände für einen Angriff Moskaus liefert die russische Nachrichtenagentur Ria Novosti unmittelbar nach der Entscheidung des Föderationsrates. Kurz nach Mitternacht meldete die Agentur den Tod zweier Zivilisten in der Luhansker Volksrepublik. Diese seien durch Feuer ukrainischer Streitkräfte ums Leben gekommen, werden die Behörden der Separatistenregion zitiert. 70 Minuten später informierte Ria Novosti in einer Eilmeldung über einen angeblichen Bombenanschlag auf einen Donezker Fernsehsender. Am Mittwochmittag berichtete die Nachrichtenagentur, der russische Inlandsgeheimdienst FSB habe auf der Halbinsel Krim einen geplanten Terroranschlag vereitelt. Der rechtsextreme ukrainische »Rechte Sektor« (Prawyj Sektor) habe eine Kirche in die Luft jagen wollen. Die Meldungen von Ria Novosti waren unabhängig nicht zu überprüfen.
Das Außenministerium in Kiew rief angesichts der drohenden russischen Invasion ukrainische Bürger in Russland dazu auf, umgehend das Land zu verlassen. Außerdem kündigte der ukrainische Sicherheitsrat die Ausrufung des Ausnahmezustands für das gesamte Land für eine Dauer von 30 Tagen an. Das Militär ordnete zudem die Mobilisierung von 250 000 Reservisten im Alter zwischen 18 und 60 Jahren an.
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