Erste russische Stimmen gegen den Krieg werden laut

In Moskau sind Schock, Scham und Sprachlosigkeit häufige Reaktionen

  • Ute Weinmann, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.

Schock, Scham und Sprachlosigkeit. Am frühen Donnerstagmorgen gab Wladimir Putin das Startsignal für eine militärische Sonderoperation gegen die Ukraine. Die ersten Reaktionen auf diese Rede in sozialen Netzwerken offenbarten das Unvermögen, in Worte zu fassen, woran zuvor kaum jemand glauben mochte. Doch eines hatten viele Menschen in Russland sofort begriffen: Jetzt herrscht Krieg. Erste Bilder von Raketenangriffen auf zahlreiche ukrainische Städte ließen keinerlei Zweifel oder Relativierungen mehr zu.

In den Tagen zuvor gingen in Moskau nur Einzelne mit Plakaten auf die Straße, um gegen einen drohenden Krieg zu protestieren. Auch am Mittwoch, der in Russland ein Feiertag war - ausgerechnet der »Tag des Verteidigers des Vaterlandes«. Nun, wo es nicht mehr um einen bevorstehenden Krieg geht, sondern der Kreml Tatsachen geschaffen hat, erheben jedoch immer mehr Menschen ihre Stimme. Zu ihnen zählen etliche Vertreterinnen und Vertreter des russischen Kulturbetriebs wie die Sängerin Semfira, Egor Kreed oder der Rapper Morgenstern, gegen den in der Ukraine vor einiger Zeit wegen Gewalt- und Drogenpropaganda ein Auftrittsverbot verhängt worden war. Aber auch russische Fernsehgrößen wie Maxim Galkin oder Talkmaster Iwan Urgant halten nicht mit ihrer Antikriegshaltung zurück, sogar die Eiskunstläuferin Jewgenija Medwedjewa outete sich als Kriegsgegnerin.

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»Der von Putins Regime angezettelte Krieg gegen die Ukraine ist ein Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit«, schreibt die Menschenrechtsorganisation Memorial in ihrer Erklärung und fordert eine sofortige Beendigung der Aggressionen. Übrigens: Für kommenden Montag steht die Urteilsverkündung der Berufungsinstanz des Obersten Gerichts über die Auflösung von Memorial International an.

Russische Medien sind angehalten, ab sofort über den Konflikt nur noch auf der Grundlage offizieller Mitteilungen zu berichten. In einer Erklärung, die innerhalb weniger Stunden über hundert Unterschriften unter sich vereinigte, verurteilen Journalist*innen die Militäroperation, für die es keinerlei Rechtfertigung gebe, und sehen die volle Verantwortung bei Russland. »Es ist offensichtlich, dass die Ukraine für unser Land keine Bedrohung darstellt. Der Krieg gegen sie ist ungerecht und komplett sinnlos.«

Bis zum frühen Nachmittag hatte die Polizei nach Angaben der Organisation OVD-Info in Moskau, Jekaterinburg, Omsk, Nowosibirsk, Wladiwostok und weiteren Städten bereits etwa 50 Menschen wegen ihres offenen Antikriegsprotestes auf der Straße festgenommen. Für Donnerstagabend 19 Uhr rief die Menschenrechtlerin und Oppositionelle Marina Litwinowitsch zu landesweiten Kundgebungen auf. »Jeder, der Mensch bleibt, darf heute nicht weinen, sich nicht ängstigen, sondern muss einfach hinausgehen und sagen, dass er gegen den Krieg ist«, schrieb sie in ihrem Telegram-Kanal. Im Anschluss meldete sie Versuche, ihren Account zu hacken. Beim Versuch, das Haus zu verlassen, wurde sie festgenommen.

Aber es gibt sie auch - die Unentschlossenen und Kriegsbefürworter. Jewgenij Stupin, in lokale Bürgerproteste stark involvierter Abgeordneter für die Kommunistische Partei KPRF im Moskauer Stadtparlament, initiierte auf seinem Telegram-Kanal noch am Morgen eine Abstimmung. Seine Bezugsgruppe - Linke, aber auch Aktivistinnen und Aktivisten aus dem liberalen Spektrum - waren aufgerufen, auf die Frage zu antworten: »Unterstützen Sie den von Putin verordneten Einmarsch in die Ukraine?« Immerhin 75 Prozent antworteten mit einem klaren Nein, während neun Prozent den Angriff als Verteidigungsakt gegen die Nato werteten und der Rest sich nicht entscheiden mochte.

So manche Vertreter der rechten Szene hielten sich bislang mit Äußerungen zur Ukraine zurück, aber mit der Anerkennung der Volksrepubliken im Donbass schlugen sie sich auf die Seite Russlands. Roman Juneman, rechter Moskauer Lokalpolitiker, befand, die Anerkennung hätte früher stattfinden sollen. Dafür kassierte er in seiner Anhängerschaft auch viel Kritik. Wladislaw Posdnjakow, dessen »Männerstaat« in der Vergangenheit durch rassistische und antifeministische Kampagnen in der Öffentlichkeit für viel Aufmerksamkeit gesorgt hatte und als extremistische Gruppierung in Russland verboten ist, geriet angesichts der Kriegsnachrichten offenbar regelrecht in Ekstase. Der Grund: Er dürfe sich als Vertreter eines mächtigen Landes fühlen, vor dem alle in Angst erstarren.

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